Staatsgarantie oder nicht? Die Schweizer Politik sollte die Antwort kennen, bevor sie über die künftige Regulierung der UBS entscheidet. Die unklare Kommunikation des Bundesrats im Fall Credit Suisse erschwert eine Antwort.
Die Credit-Suisse-Krise ist noch nicht ausgestanden. Die politischen Nachwehen werden das Thema dieses Jahr wieder in den Vordergrund rücken. Die Übernahme der CS durch die UBS war mit staatlichen Verlustgarantien und Liquiditätshilfen subventioniert. Der erste Eindruck bei der Verkündung des Rettungspakets im März 2023: Grossbanken haben trotz dem Regulierungsschub nach der Finanzkrise von 2008 noch immer eine Staatsgarantie – dies dürfte umso mehr auch für die vergrösserte UBS gelten. Der Fall rief nach einem erneuten Hinterfragen der Grossbankenregulierung.
Der Bundesrat will seine Vorschläge für eine Reform der Regeln diesen Frühling vorlegen – etwa Ende März oder Anfang April. Bevor die Politik entscheidet, ist aber die Klärung der zentralen Vorfrage anzustreben: Hat die UBS immer noch eine Staatsgarantie, da die volkswirtschaftlichen Schäden einer Pleite inakzeptabel hoch wären?
Bejaht man diese Frage, wäre eine massive Regelverschärfung zum Beispiel durch eine Vervielfachung der geforderten Kapitalpolster der Bank zum Schutz der Steuerzahler eine logische Folgerung – auch wenn dies die Bank zu einer starken Schrumpfung oder zur Verlagerung des Hauptsitzes ins Ausland zwingen würde. Ein sanfterer Kurs wäre in diesem Fall höchstens dann zu rechtfertigen, wenn es stichhaltige Belege über einen hohen gesellschaftlichen Nutzen der Grossbank gibt, der die finanziellen und politischen Risiken der Staatsgarantie mehr als aufwiegen würde. Die Diskussion über solche Belege ist bisher nicht weit gediehen.
Techniker glauben an ihr Werk
Nach der Finanzkrise von 2008 wurde die Grossbankenregulierung weltweit deutlich verschärft. Die Verschärfung umfasste neben strengeren Vorgaben zu Liquidität und Eigenmitteln für die grössten Institute auch Krisenpläne, die im Ernstfall eine «geordnete» Sanierung oder Liquidierung einer Grossbank ohne volkswirtschaftliche Kernschmelze ermöglichen sollten.
In der Schweiz sollte man die für das Inland als «systemrelevant» bezeichneten Geschäfte wie etwa den Zahlungsverkehr und Teile des inländischen Kreditgeschäfts vom Rest trennen können, um deren Weiterführung ohne Unterbruch auch in einem Notfall zu ermöglichen. Es soll nicht passieren, dass von einem Tag auf den anderen Hunderttausende von Kunden keine Rechnungen mehr bezahlen, kein Geld von ihrem Lohnkonto abheben und keine Kredite mehr bekommen können.
Funktioniert diese Notfallplanung? Studien in den letzten Jahren auf Basis von Marktdaten liessen mutmassen, dass die Finanzmärkte trotz den Reformen nach 2008 immer noch bis zu einem gewissen Grad an eine Staatsgarantie für systemrelevante Banken glauben. Die Credit Suisse hätte der erste Fall einer global systemrelevanten Bank sein können, der eine konkrete Antwort liefert.
Glaubt man den vorliegenden Expertenberichten, wäre der globale Abwicklungsplan für die Credit Suisse umsetzbar gewesen. Dies sagte der im September 2023 publizierte Bericht einer vom Finanzdepartement bestellten Expertengruppe. Die Gruppe stützte sich auf Gespräche mit den Finanzmarktaufsichtsbehörden in der Schweiz (Finma), in Grossbritannien, den USA und der EU.
Eine besonders pikante Bemerkung des Berichts: Zum Teil seien ausländische Behörden sogar enttäuscht gewesen, dass die Schweiz die vorgesehenen Krisenpläne im Fall CS nicht durchgespielt habe. Frei übersetzt: Gewisse ausländische Behördenvertreter hätten gerne gesehen, ob die Sache funktioniert, solange ein anderes Land (in diesem Fall die Schweiz) das Versuchskaninchen spielt.
Der Begriff «Abwicklung» einer Bank steht hier für ein behördlich ausgelöstes Krisenszenario; in der Schweiz ist dafür die Finma zuständig. Dies kann zum Beispiel eine Sanierung bedeuten, mit dem Auswechseln des obersten Managements, Teilverkäufen, der Auslagerung der kranken Geschäftsteile in eine Auffanggesellschaft und der Umwandlung der speziell für Krisen geschaffenen Sonderanleihen in Eigenkapital der Bank zwecks Finanzierung der Verluste. Es kann auch einen globalen Konkurs der Bank mit separater Weiterführung der systemrelevanten Teile bedeuten.
Eine ähnliche Botschaft wie die Schweizer Expertengruppe verkündete im Oktober 2023 auch ein Bericht des Financial Stability Board (FSB), das eine zentrale Rolle bei der Festlegung globaler Standards für die Bankenregulierung spielt. In diesem Gremium sitzen Vertreter von Finanzministerien und Notenbanken aus rund 25 bedeutenden Finanzplätzen sowie internationalen Organisationen. Laut dem FSB war der globale Abwicklungsplan für die Credit Suisse pfannenfertig vorbereitet gewesen, und es habe keine materiellen Hindernisse zur Umsetzung gegeben.
Mehr Skepsis bei Ministern
Externe Beobachter äusserten zum Teil aber auch Zweifel. Ein oft gehörter Einwand: dass die Aufsichtsbehörden sagten, das von ihnen selbst aufgebaute Notfallregime hätte funktioniert, sei verständlich, aber wenig aussagekräftig. Und ob es wirklich ohne gravierende Folgen funktioniert hätte, könne niemand im Voraus genau wissen. Eine bedeutende Quelle des Zweifels ist die Wahrnehmung, dass in der Hitze der CS-Krise im vergangenen März auf Ministerebene in der Schweiz und im Ausland weit mehr Skepsis vorgeherrscht hat als bei den «Technikern».
Die Schweizer Finanzministerin Karin Keller-Sutter sagte am 19. März bei der Verkündung des CS-Pakets vor den Medien, dass der «Konkurs» der Credit Suisse einen riesigen Schaden auf dem Schweizer Finanzplatz verursache und internationale Ansteckungsgefahren gebracht hätte.
Hätte die Finma das Notregime ausgelöst, wäre es nicht gleich zum Konkurs der CS gekommen, sondern zu einer Sanierung, die unter anderem durch die Wandlung von Spezialanleihen über 50 Milliarden zusätzliches Eigenkapital für die Bank geschaffen hätte. Laut einem Bericht der Finma vom Dezember wäre damit Kapital zum Auffangen von Verlusten von total 111 Milliarden Franken zur Verfügung gestanden. Doch es gab grosse Zweifel, ob eine solche Sanierung das Vertrauensproblem der Bank nachhaltig hätte lösen können. Bei anhaltenden Abflüssen von Kundengeldern hätte die Eigenkapitalspritze das bittere Ende unter Umständen nicht abgewendet, sondern nur aufgeschoben.
Regierung sät Zweifel
Auch die Botschaft des Bundesrats an das Parlament von Ende März zum CS-Paket sprach von enormen volkswirtschaftlichen Kosten des Extremszenarios eines «ungeordneten Ausfalls der Credit Suisse» von geschätzt über 1000 Milliarden Franken – als ob es die vorbereitete Alternative einer «geordneten» Sanierung mit Vermeidung einer volkswirtschaftlichen Kernschmelze nicht gegeben hätte.
Die damalige Botschaft des Bundesrats vermerkte auch, dass das Finanzdepartement kurz vor Verkündung des CS-Pakets Vorbereitungen getroffen habe, «um die Credit Suisse notfalls vorübergehend verstaatlichen zu können». Der Nachsatz: «Dies für den Fall, dass eine Übernahme durch die UBS bis zum Sonntag, 19. März 2023, gescheitert wäre.» Das verstärkte den Eindruck, dass man im Bundeshaus nicht an eine geordnete Sanierung gemäss den vorbereiteten Krisenplänen glaubte.
Später kam oft der Hinweis, dass mit der Übernahme durch die UBS eine bessere Variante verfügbar gewesen sei und darum die Krisenpläne nicht ausgelöst worden seien. Doch das genügt für sich allein bei weitem nicht als Beleg für die Glaubwürdigkeit dieser Krisenpläne. Der beim Lesen der Regierungsbotschaft naheliegende Schluss, dass die CS bei einem Scheitern der Übernahme durch die UBS verstaatlicht worden wäre, ist laut Stimmen aus dem Bundeshaus allerdings eine Überinterpretation.
Einigermassen gesichert scheint zurzeit nur, dass es im Fall CS auf Ministerebene im In- und Ausland gegenüber den vorbereiteten Krisenplänen weit mehr Zweifel gab als bei den Aufsichtsbehörden. Das kann mit Differenzen im technischen Wissen zu tun haben. Oder mit Überoptimismus der technischen Architekten der Krisenpläne. Oder mit der Tatsache, dass im Ernstfall vor allem die Politiker vor den Kameras hinstehen müssen und nicht die Techniker.
Die Krisenpläne sind wenig wert, wenn sie zwar nach Ansicht der Behörden funktionieren würden, aber die Politiker im Ernstfall aus Angst vor den kurzfristigen Folgen das Auslösen solcher Pläne verhindern. Formal ist in der Schweiz laut Gesetz die Finma für das Auslösen der Krisenpläne zuständig. Doch angesichts der Tragweite eines solchen Entscheids ist es verständlich, wenn die Aufsichtsbehörden politische Rückendeckung wollen.
Schlechtes Omen
Ist also für den Fall einer Krise der UBS ein Notszenario, das auch die Pleite beinhalten kann, nur eine theoretische Option oder eine glaubwürdige Variante? Und ist damit die Wahrscheinlichkeit einer Staatsgarantie für die UBS eher bei 60 bis 90 Prozent oder bei 10 bis 20 Prozent? Diese Fragen lassen sich zurzeit von aussen nicht schlüssig beantworten.
Das ist ein schlechtes Omen für die kommenden Debatten zur Reform der Grossbankenregulierung. Solange nicht mehr Klarheit dazu herrscht, erscheinen manche der zurzeit diskutierten Reformvorschläge nur als Nebenschauplätze, wie etwa strengere Stresstests in Sachen Liquidität, die Möglichkeit eines früheren Eingreifens durch die Finma, eine Bussenkompetenz für die Aufsichtsbehörde und verschärfte Bonusregeln. Man wartet auf Erhellung durch den Bundesrat.
Zu fragen ist auch, wie sich die Glaubwürdigkeit des Abwicklungsszenarios mit Sanierung oder Pleite stärken lässt. Eine wiederholt genannte Hürde sind rechtliche Unsicherheiten in den USA: Deren Börsenaufsicht SEC will sich nicht im Voraus verpflichten, bei einer nächsten Krise ihr Einverständnis zur Umwandlung von Krisenanleihen in Eigenkapital zu geben. Das sät Unsicherheit.
Losgelöst davon stellt sich in der Schweiz die Frage, wer die abschliessende Kompetenz und damit die Verantwortung haben soll, im Krisenfall auf den roten Knopf zu drücken. Einer der befragten Fachleute empfiehlt, die alleinige Kompetenz der Finma für das Auslösen von Krisenplänen gesetzlich noch stärker zu verankern und dies mit der Zusage anzureichern, dass die Politik entsprechende Entscheide der Behörde nicht im Nachhinein untergraben wird.
Dies soll die Hemmschwelle für die Finma senken. Andere Stimmen bezeichnen es dagegen als sinnvoll, dass bei Beschlüssen von solcher Tragweite der Bundesrat mitredet. Die Nationalbank liefert indes ein Beispiel, dass auch eine «technische» Behörde volkswirtschaftlich sehr bedeutende Entscheide ohne direkte Einmischung der Politik treffen kann.
Noch schwieriger ist die Frage, wie man die Hemmschwelle von Finanzministern vor dem Drücken auf den Knopf senken will. Sachdienliche Hinweise sind hochwillkommen.