Der Konflikt um eine Moschee in Ayodhya hat über Jahrzehnte die Politik in Indien geprägt. Kaum ist er zugunsten der Hindu-Nationalisten entschieden, erheben diese Anspruch auf weitere Heiligtümer der Muslime.
Ein Jahr ist es her, dass der indische Premierminister Narendra Modi in einer pompösen Zeremonie den Ram-Tempel in Ayodhya eingeweiht hat. Der Bau des Tempels war zutiefst umstritten. Denn das Heiligtum für den Gottkönig Rama wurde an der Stelle einer Moschee errichtet, die 1992 von Hindu-Nationalisten zerstört worden war. Die Einweihungsfeier markierte den Abschluss eines Streits, der die indische Politik über Jahrzehnte geprägt hatte. Das Ende der Konflikte um die religiösen Stätten in Indien bedeutete dies freilich nicht.
Im Gegenteil: Es scheint vielmehr, als fühlten sich die Hindu-Nationalisten durch ihren Erfolg in Ayodhya ermutigt, die Umwandlung weiterer Moscheen in Tempel zu fordern. Das jüngste Ziel ihrer Kampagne ist die Freitagsmoschee von Sambhal. Die religiös gemischte Provinzstadt liegt im nordindischen Teilstaat Uttar Pradesh, der seit 2017 von dem radikalen Hindu-Mönch Yogi Adityanath regiert wird.
Nachdem mehrere Hindus behauptet hatten, dass die Moschee in Sambhal an der Stelle eines im 16. Jahrhundert zerstörten Hindu-Tempels errichtet worden sei, ordnete ein Gericht am 19. November eine Untersuchung durch den Archeological Survey of India (ASI) an. Nur Stunden später traf ein Team des staatlichen archäologischen Diensts in der Moschee ein, um zu prüfen, ob sich in dem Gebäude Hinweise auf einen Tempel finden liessen.
Adityanath heizt den Streit in Sambhal weiter an
Als die Archäologen am 24. November für eine zweite Untersuchung zurückkehrten, kam es zu Zusammenstössen zwischen muslimischen Anwohnern und der Polizei, bei denen fünf Muslime getötet wurden. Seither zieht der Streit um die Moschee immer weitere Kreise. Am Freitag war auch das Oberste Gericht in Delhi gezwungen, sich mit dem Fall zu befassen. Im Bemühen, den Disput zu entschärfen, wiesen die Richter die städtischen Behörden von Sambhal an, zunächst keine weiteren Schritte in dem Konflikt zu unternehmen.
Doch am gleichen Tag heizte Yogi Adityanath den Streit weiter an, als er die Muslime aufforderte, die Moschee den Hindus zu überlassen. Es gebe Beweise, dass die Moschee in Sambhal 1526 auf den Ruinen eines Vishnu-Tempels erbaut worden sei, sagte der Chefminister von Uttar Pradesh bei einer Hindu-Veranstaltung am Freitag. Die Muslime sollten die Wahrheit anerkennen und als Geste der Versöhnung die Moschee freiwillig den Hindus übergeben.
Eigentlich verbietet es ein Gesetz von 1991 in Indien, religiöse Stätten umzuwandeln. Das Gesetz, das ein Jahr vor der Zerstörung der Babri-Moschee in Ayodhya erlassen worden war, bestimmt, dass der Status quo zum Zeitpunkt von Indiens Unabhängigkeit 1947 erhalten bleiben müsse. Das Parlament wollte damit weitere Konflikte um Moscheen und Mausoleen vermeiden. Die einzige Ausnahme, die das Gesetz vorsah, war die damals umkämpfte Babri-Moschee in Ayodhya.
Inzwischen gibt es Streit um elf islamische Stätten
Nach der Zerstörung der Moschee durch einen Hindu-Mob im Dezember 1992 ging der Fall durch die Instanzen. 2019 entschied das Oberste Gericht in Delhi schliesslich, dass die Hindus das Recht hätten, an der Stelle der zerstörten Moschee den ersehnten Ram-Tempel zu errichten. Zugleich bekräftigte das Gericht unter dem Vorsitz von Dhananjaya Y. Chandrachud aber die Gültigkeit des Gesetzes von 1991 und betonte, dass andere religiöse Stätten respektiert werden müssten.
Dies hält die Hindu-Nationalisten allerdings nicht davon ab, die Umwandlung weiterer Moscheen zu fordern. Im Fokus stehen dabei vor allem die Gyanvapi-Moschee in der für Hindus heiligen Stadt Varanasi sowie die Shahi-Idgah-Moschee in Mathura. Hindu-Aktivisten behaupten, sie sei am Geburtsort von Krishna erbaut worden. Insgesamt gibt es in Indien derzeit Streit um elf religiöse Stätten der Muslime, wovon allein sieben im nordindischen Teilstaat Uttar Pradesh liegen.
Ein Zufall ist das nicht: Modis Hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) verfolgt in dem Teilstaat unter Yogi Adityanath einen besonders radikalen Kurs. So wie Modi den Bau des Ram-Tempels in Ayodhya vergangenes Jahr für den Wahlkampf eingesetzt hat, nutzt Adityanath den Streit um die Moscheen in Varanasi, Mathura, Sambhal und anderen Städten zur Mobilisierung der Hindu-Wählerschaft. Dass dies in Sambhal zu Spannungen zwischen Hindus und Muslimen führt, hält ihn nicht davon ab, den Konflikt weiter anzuheizen.
Sprengstoff für das Miteinander der Religionsgemeinschaften
Eigentlich ist Indien ein säkularer Staat, in dem Religion und Politik getrennt sind. Adityanath sagt dagegen: «Indien ist ein Land, das fest im Glauben verwurzelt ist.» Er vertraue darauf, dass die Justiz den Glauben der Hindus respektieren werde, äusserte er mit Blick auf die laufende Debatte über das Gesetz von 1991. Das Oberste Gericht hatte das Gesetz selbst geschwächt, als es 2022 unter Chandrachud urteilte, dass Moscheen zwar nicht umgewandelt werden dürften, es aber erlaubt sei, zu prüfen, ob an ihrer Stelle ein Tempel gestanden habe.
Damit öffnete der oberste Richter die Tür für weitere Petitionen, die eine Untersuchung zu den Ursprüngen von Moscheen forderten. Jüngst reichten Hindus eine Petition ein, die behauptete, dass sich unter dem Dargah Sharif in Ajmer die Überreste eines Tempels befänden. Das Mausoleum des Sufi-Heiligen Khwaja Moinuddin Chishti in Rajasthan ist eines der bedeutendsten Heiligtümer der Muslime in Indien, aber zugleich auch ein wichtiger Pilgerort für Hindus.
Der Schrein ist damit ein Zeugnis des synkretistischen Charakters des Sufismus in Indien, in dem sich Elemente des orthodoxen Islam und des Hinduismus vermischen. Den Hindu-Nationalisten passt diese Vermischung der Religionen nicht. Denn ihre Politik basiert auf der Spaltung von Hindus und Muslimen. Dafür sind die Kampagnen zur Umwandlung von Moscheen ein wichtiges Mittel.
Die Kampagne für den Bau des Ram-Tempels in Ayodhya gilt vielen Hindu-Nationalisten bis heute als Vorlage zur Mobilisierung der Wählerschaft. Allerdings zeigt der Fall auch die Grenzen dieser Politik auf: Nur sechs Monate nach der triumphalen Einweihung des Tempels durch Modi erlitt die BJP bei der Parlamentswahl eine demütigende Niederlage im Wahlkreis von Ayodhya. Offensichtlich waren am Ende vielen Wählern dort die Lage der Wirtschaft, die steigende Inflation und die hohe Arbeitslosigkeit wichtiger als der Bau des Tempels.