Die Stadt pocht auf ihre Zuständigkeit, da die Senkung der Höchstgeschwindigkeit keine Auswirkungen ausserhalb von Zürich habe.
Die öffentliche Auflage läuft noch. Doch der Kanton kündigt bereits rechtliche Schritte an. Es geht um die Absicht der Stadt Zürich, auf der Seestrasse in Wollishofen von der Albisstrasse bis zur Stadtgrenze, wo heute als Limite 50 Kilometer pro Stunde gilt, permanent Tempo 30 einzuführen. 100 Seiten umfassen die Unterlagen und Gutachten, die noch bis am Montag eingesehen werden können.
Bekanntgemacht hat der Regierungsrat seine Absicht in einer am Donnerstag publizierten Antwort an die Kantonsräte Marcel Suter (SVP. Thalwil) und Fabian Müller (FDP, Rüschlikon). Eingereicht haben die beiden Vertreter vom linken Seeufer die Anfrage erst am 8. April. Für die Beantwortung benötigte die zuständige Sicherheitsdirektion von Mario Fehr (parteilos) die Frist von drei Monaten bei weitem nicht.
Tatsächlich handelt es sich um eine Neuauflage des Streits um Tempo 30, und zwar auf der Rosengartenstrasse in Wipkingen. Dazu läuft das Verfahren derzeit. Unbestritten ist, dass die Städte Zürich und Winterthur gemäss Strassengesetz nicht nur für Bau und Unterhalt der überkommunalen Strassen auf ihrem Gebiet zuständig sind, sondern auch für die Signalisation.
Laut der kantonalen Signalisationsverordnung brauchen Massnahmen vorher die Zustimmung der Kantonspolizei, wenn sie den Verkehr auf Durchgangsstrassen ausserhalb des Stadtgebiets beeinflussen. Die Stadt Zürich habe der Kantonspolizei kein solches Gesuch gestellt, weshalb letztere die Anordnung nicht habe prüfen können, schreibt der Regierungsrat.
Seiner Ansicht nach wäre eine Zustimmung in diesem Fall jedoch «zwingend» nötig gewesen. Die Temporeduktion in Wollishofen betreffe eine Durchgangsstrasse bis zur Stadtgrenze und könne deshalb Auswirkungen auf das ausserstädtische Strassennetz haben, heisst es weiter. Deshalb werde die Kantonspolizei die Verfügung anfechten. Aus der Antwort geht nicht hervor, ob der Kanton ein Versäumnis rügt, oder nach Prüfung der Sachlage Tempo 30 auf diesem Strassenabschnitt ablehnen würde.
Kein Einfluss auf die Kapazität
Klar ist indes, dass die Stadt auf ihrer Kompetenz zur Anordnung besteht. Der Verkehr auf der Seestrasse laufe auch mit Tempo 30 flüssig und die Signalisation habe keinen Einfluss auf Durchgangsstrassen ausserhalb des Stadtgebiets, schreibt das Sicherheitsdepartement auf Anfrage. Letztlich werde die Frage im Rechtsverfahren geklärt.
Das städtische Sicherheitsdepartement stützt seine Haltung auf ein Gutachten seiner Dienstabteilung Verkehr. Demnach wird die Hierarchie im Strassennetz durch Tempo 30 nicht gestört. Die Seestrasse sei heute die einzige Strecke mit Tempo 50 an einer in sich geschlossenen Tempo-30-Zone. Da sie die direkteste Verbindung zwischen dem linken Seeufer und dem Stadtzentrum darstelle, sei kein Ausweichverkehr zu erwarten.
Laut Gutachten ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht relevant für die Leistungsfähigkeit einer Ortsdurchfahrt. Diese werde in städtischen Gebieten massgeblich von Abzweigungen und Querungen für Fussgängerinnen und Fussgänger bestimmt. Das neue Regime bringe weder einen Kapazitätsabbau noch eine Beeinflussung des Verkehrs ausserhalb von Zürich.
Folgen hat es jedoch für den Busverkehr auf dieser Strecke. Weil die Wendezeiten der Linien 161 und 165 sowie für den Nachtbus 16 knapp bemessen sind, muss jeweils ein zusätzlicher Kurs eingesetzt werden, wofür zwei weitere Fahrzeuge zu beschaffen sind. Die Mehrkosten für den öffentlichen Verkehr trage die Stadt Zürich, heisst es im Gutachten.
Zweck von Tempo 30 ist primär der Lärmschutz an der Seestrasse. Im Abschnitt zwischen dem Hoffnungsweg und der Stadtgrenze ist bei fast allen Liegenschaften der Immissionsgrenzwert überschritten. Etwa 195 Anwohner sind davon betroffen. Zwischen Hoffnungsweg und Albisstrasse ist der Grenzwert für 260 Personen am Tag und 310 in der Nacht überschritten.
Im äusseren Abschnitt, der zudem mit einem lärmarmen Belag versehen wird, können tagsüber alle Anwohner von übermässigem Lärm geschützt werden, in der Nacht 41 Prozent. Im inneren Abschnitt, wo der Belag erst später saniert wird, ist der Effekt weit geringer (19 Prozent am Tag, 6 Prozent in der Nacht).
Tempo-30-Moratorium ausgeschlossen
Ins Gewicht fällt schliesslich die verbesserte Verkehrssicherheit. Trotz nachteiligen Folgen für den öV und einer minimen Fahrzeitverlängerung für den Strassenverkehr (etwa 26 Sekunden auf 1,3 Kilometern) sei der Lärmschutz höher zu gewichten, lautet das Fazit. Die Einführung einer Tempo-30-Zone erweise sich somit als verhältnismässig.
Die Seestrasse in Wollishofen wird nicht nur Gegenstand eines Rechtsstreits, sondern ist auch ein weiteres Beispiel im Ringen um Temporeduktionen auf Hauptstrassen in Bund und Kanton. Der Zürcher Regierungsrat hat vor kurzem im Grundsatz zwei Volksinitiativen unterstützt, mit denen Tempo 30 eingedämmt werden soll. Die Fragesteller wollten deshalb auch wissen, ob er bis zur Volksabstimmung ein Moratorium verfügen könne.
Dazu bleibt die Regierung wortkarg. Zu den Initiativen habe sie sich ausführlich geäussert. Es gebe keine Veranlassung, von ihrer Haltung abzuweichen. Und sie bestätigt, dass gemäss Signalisationsverordnung die Zuständigkeit für Verkehrsanordnungen in Zürich und Winterthur bei den städtischen Behörden liege. Für ein Moratorium zur Einführung von Tempo 30 bestehe keine Rechtsgrundlage, stellt sie fest.