Die Mitte sollte unter Pfister ein dritter Orientierungspunkt werden, ist aber ein Spektrum aus progressiven Strömungen und konservativen Dynamiken geblieben. Nun sucht sie jemanden, der diese Fliehkräfte bündelt.
Die zentrale Aussage platzierte die neueste Findungskommission der Mitte schon, bevor sie ihre erste Medienkonferenz begonnen hatte. Allein durch ihren Auftritt wollte sie jede Frage nach einer Quote vorwegnehmen und die ganze Breite der Partei demonstrieren.
Die Vertreter der Kommission für die Nachfolge von Parteipräsident Gerhard Pfister folgten einer Choreografie, als sie am Donnerstag vor die Presse traten. Sie taten es in einer strikten Reihenfolge: eine Deutschschweizerin, ein Romand, eine Deutschschweizerin, ein Tessiner. Die Redezeit teilten sie paritätisch zwischen Geschlechtern und den beiden grössten Landessprachen.
Für die Nachfolge von Pfister gilt: Bis zum 28. April müssen alle Kandidaten ihre Dossiers einreichen. Anschliessend wird die Kommission Anhörungen mit allen Kandidaten durchführen. Ein Co-Präsidium ist möglich, wenn das Präsidium zur Hälfte aus einem Vertreter der Bundesversammlung besteht. Einzelkandidaturen nimmt die Kommission nur von National- oder Ständeräten entgegen.
Etwas konkreter skizzierte Regina Durrer, Nidwaldner Nationalrätin und Vizepräsidentin der Kommission, das Anforderungsprofil: «Das neue Präsidium muss eigenständige Positionen für die Partei herausarbeiten, es muss aber auch intern verschiedene Anliegen der Mitglieder moderieren.»
Der erste Teil dieser Aussage klingt wie der Wunsch nach einem neuen Pfister, der zweite allerdings relativiert ihn. Laut seinen Kritikern war der fehlende Austausch mit der Fraktion und der Basis ein Manko des abtretenden Präsidenten.
Es geht für die Mitte in den kommenden Wochen also um die Frage, wie sehr sich das neue Präsidium an Gerhard Pfister orientieren und wie stark es sich von ihm unterscheiden soll.
Spiritus Rector der Mitte
In den vergangenen Jahren war Pfister Architekt und Spiritus Rector der Mitte. Er versuchte, seine Partei als dritten Block zwischen rechts und links zu positionieren. Er schärfte das sozialpolitische Profil der Partei und predigte intern Geschlossenheit. Dann kam der vergangene Januar.
Innerhalb weniger Tage kündeten zuerst Parteipräsident Pfister und dann Mitte-Bundesrätin Viola Amherd ihren Rücktritt an. Noch bevor Pfister öffentlich erklären konnte, ob er für Amherds Nachfolge kandidieren wolle, erklärte die Vizepräsidentin der Partei, Yvonne Bürgin, dass sie einen jüngeren Kandidaten bevorzugen würde. Dann attackierten die Mitte-Frauen den Parteipräsidenten.
Die Kritik aus der eigenen Partei brachte zutage, was Pfister lange übertünchen konnte: Er rang mit seinen Kollegen nicht nur um eine einheitliche Positionierung; die Opposition sass schon im Fraktionszimmer.
Pfister blieb in der Öffentlichkeit souverän und liess sich keine Kränkung anmerken. Doch wer wollte, konnte in seiner Rede anlässlich der Delegiertenversammlung Ende Februar eine Antwort an seine Kritiker heraushören. Pfister sprach davon, dass eine starke Partei auch kontroverse Diskussionen aushalte. «Für mich entscheidend ist, dass wir diese Diskussionen fair und zielgerichtet führen. Und dass wir sie dort führen, wo sie hingehören: in den zuständigen Gremien.»
Überdehnung einer Partei
Auch nach Pfister bleibt die Mitte ein Spektrum unterschiedlicher Interessen und Prägungen. Es gibt die Mitte-Frauen, die progressiven urbanen Kräfte, welche die Nähe zu Europa und zur GLP suchen. Daneben trotzt eine konservative Gruppe dem Linksdrall aus der Parteizentrale und trauert im Stillen noch immer wegen des Untergangs der alten CVP. Die neue Mitte nach Pfisters Prägung gibt es erst in Ansätzen. Jemand muss sie zusammenführen.
Eigentlich hat Pfister im Januar erklärt, nach seiner straffen Führung während der Transformation der Partei gebe es nun wieder mehr Raum für Partizipation. Das stimmt nur bedingt.
Weil Pfister die Partei so radikal umgebaut hat, ist eine starke Parteiführung wichtiger denn je. Indem er den christlichen Bezug der Partei opferte und sie nach links öffnete, hat er das Spektrum der Partei erweitert. Möglicherweise hat er es sogar überdehnt.
Zwar kannte schon die alte CVP einen sozialen, einen konservativen und einen wirtschaftsliberalen Flügel, doch dazwischen gab es ein verbindendes Element: Die Vertreter dieser Gruppierungen entstammten demselben katholischen Milieu. Nun hat Pfister die Partei säkularisiert und damit ein Vakuum geschaffen. Ausgefüllt hat er es selbst. Mit seiner Medienpräsenz und seinem rhetorischen Talent.
Wer Pfister beerben will, muss nach dem Vorbild Pfisters zum Gesicht der Partei werden. Innerhalb der Mitte trauen das viele Stimmen vor allem einem zu: dem Walliser Nationalrat Philipp Matthias Bregy.
Mehr Bauchgefühl wagen
An der Delegiertenversammlung in Visp referierte nach Pfister auch Philipp Matthias Bregy. Mit einer Powerpoint-Präsentation erklärte er, weshalb die Individualbesteuerung der FDP für manche zu mehr Steuern führen würde. («Das kann doch nicht sein, liebe Parteikolleginnen und -kollegen.») Dann erklärte er die Vorzüge der neuen Initiative der Mitte zur Abschaffung der Heiratsstrafe.
Pfister doziert oft wie an der Universität. Bregy hingegen gestikuliert viel, bildet einfache Sätze, witzelt. Er redet auch im Parlament, als wäre er in einem Festzelt.
Bregys politische Heimat ist zwar die konservative Mitte Oberwallis, doch im Parlament zeichnet er sich durch Kompromissbereitschaft und immer wieder auch durch flexible Positionen aus. Bei Bregy ergeben sich Lösungen im lockeren Gespräch. Er politisiert, als wäre der Parlamentsbetrieb ein Live-Sport. Vielleicht ist er der Moderator, den Regina Durrer an der Pressekonferenz beschrieb.
Bregy gilt für viele Beobachter jedenfalls als klarer Favorit für die Nachfolge Pfisters. Doch neben ihm gibt es weitere Möglichkeiten.
Wachstumsmarkt Zürich
Wenn Vertreter der Mitte Strategien für die Zukunft ausbrüten, kommen sie früher oder später auf den Kanton Zürich zu sprechen. Hier ist die Mitte, anders als in Bregys Heimat, nicht ein Synonym für politische Macht, sondern eine liberal-progressive Kleinpartei mit einer Transfrau als Co-Präsidentin. Sie ist näher am urbanen Zeitgeist als am politischen Katholizismus.
Die Zürcher Mitte-Wähler wohnen in den suburbanen Agglo-Gemeinden der Pfnüselküste, im Limmat- oder Glatttal, in den alten Reihenhäusern am Stadtrand Zürichs. Also dort, wo neu gebaut und renoviert wird. Alles Orte, die junge Familien anziehen. Zürich ist ein Wachstumsmarkt, den die Mitte erschliessen will. Ein Zürcher Parteipräsidium wäre ein klares Signal.
Doch die Zugewinne sind bis jetzt bescheiden. Hier, wo die Mitte-Wähler Stockwerkeigentum, aber nicht das Parteibuch vererben, muss die Partei ihre Machtbasis erst aufbauen. Sie ist ein politisches Startup.
Trotzdem werden die Nationalrätinnen Nicole Barandun und Yvonne Bürgin dieser Tage öfter genannt. Barandun war bereits als mögliche Nachfolgerin von Bundesrätin Amherd im Gespräch, sagte aber ab. Sie ist Präsidentin des Stadtzürcher Gewerbeverbandes. Bürgin ist seit 2021 Vizepräsidentin der Mitte Schweiz und seit 2022 Gemeindepräsidentin von Rüti.
Barandun und Bürgi sassen beide im Zürcher Kantonsrat und wurden 2023 in den Nationalrat gewählt. Beide sind an einer Kandidatur interessiert. Bürgin sagt allerdings, entscheidender sei, dass eine Führungsposition innerhalb der Partei mit einer Frau besetzt werde. Nach der Wahl von Martin Pfister in den Bundesrat solle nun eine Frau Parteipräsidentin oder, im Falle einer Wahl von Bregy, Fraktionspräsidentin werden.
Ob sie kandidieren will, lässt Bürgin noch offen. Vermutlich will sie abwarten, was Philipp Matthias Bregy tut. Der will sich im Verlauf der kommenden Woche entscheiden.
Sicher ist: Am 28. Juni wird die Delegiertenversammlung über die Nachfolge von Gerhard Pfister entscheiden. Und damit auch über die künftige Ausrichtung der Partei.