Das Theater am Neumarkt schreibt schwarze Zahlen. Dennoch wird die gegenwärtige Dreierintendanz ausgewechselt. Auf die drei Frauen folgt ein Mann mit Schnauz.
Ab der Saison 2025/26 wird das Theater Neumarkt von Mathieu Bertholet geleitet. Der Westschweizer Theatermacher, in den letzten neun Jahren Direktor am Theatre Poche in Genf, wird in die Fussstapfen der 2019 eingesetzten Dreierintendanz von Hayat Erdogan, Tine Milz und Julia Reichert treten, wie am Donnerstag an einer Medienkonferenz bekanntgegeben wurde.
In der Zürcher Theaterszene herrscht derzeit so viel Spannung, dass man hinter dem Stabwechsel am Neumarkt leicht einen weiteren Konflikt vermuten könnte. Aber die Neubesetzung ist in diesem Falle offenbar der Tradition des Theaters geschuldet, das in seiner bald sechzigjährigen Geschichte regelmässig nach vier bis sechs Jahren auf Umbrüche und Neuanfänge gesetzt hat.
Das erklärte der Verwaltungsratspräsident Thoms Busin an der Medienkonferenz. Und er ergriff die Gelegenheit, um auf die erfreuliche Auslastung am Theater Neumarkt in der letzten Saison hinzuweisen. Mit 17 000 Besucherinnen und Besuchern liege die Zahl gar über dem Durchschnitt präpandemischer Jahre.
Ein Berater, kein Herrscher
Im Mittelpunkt der Medienkonferenz aber stand der neue Intendant Mathieu Bertholet, ein Mann mit dichter dunkler Mähne und einem markanten Schnauz, der in seinem eleganten, grau glänzenden Lederanzug selbstbewusst zum Podium inmitten des Theatersaals schritt.
Den hierarchisch anmutenden Titel eines Intendanten wolle er im Französischen als Concierge verstanden haben. Er wolle nicht Alleinherrscher sein, erklärte der 1977 im Wallis geborene Sohn einer Aargauerin in fliessendem Hochdeutsch. Vielmehr suche er als Berater und Ermöglicher die Zusammenarbeit mit dem Ensemble und dem Publikum. Aus diesem Grund will er Leserräte, Publikumsräte und Gremien innerhalb des Ensembles schaffen, die alle Einfluss auf das Programm nehmen sollen.
Mathieu Bertholet hat an der Universität der Künste in Berlin szenisches Schreiben studiert. Seine Bühnenkompetenz erweiterte er überdies durch Kurse in Tanz. Erste Erfahrungen als Autor und Übersetzer sammelte er an der Comédie de Genève. In Lyon und Lausanne gab er Theaterunterricht in den Fächern Text und Regie, bevor er 2015 die Direktion am Poche in Genf übernahm, einer Bühne, die dem Neumarkt ähnlich sei. Das Poche sei etwas kleiner, es handle sich aber auch um ein altes, schwer zugängliches Haus inmitten der Altstadt.
Mathieu Bertholet erklärte mit Eifer und Euphorie, dass er das Westschweizer System eines Produktionstheaters mit dem Deutschschweizer Modell eines Ensembletheaters kombinieren wolle. Die eher technischen Ausführungen liefen darauf hinaus, dass er dem Zürcher Theater mehr Flexibilität verspricht: Theatermacher in der Romandie seien «unglaublich gelenkig».
Mehr als Konzepte zu Theatertechnik und Management interessierten eigentlich die künstlerischen Ideen des neuen Neumarkt-Intendanten. Bertholet liess sich jedoch nicht auf Äste hinaus und versprach lediglich, den theatralen Röstigraben zu überwinden – was ein paar Tüten Convenience-Rösti unterstrichen, die auf dem Podium ausgebreitet lagen.
Attraktive Kontroversen
Man darf am Theater Neumarkt in den nächsten Jahren wohl mit einer steigenden Zahl Westschweizer bzw. französischer Stücke rechnen. Überhaupt liegt Bertholet die sprachliche Diversität in der Schweiz am Herzen – er denke da allerdings auch an Sprachen aus dem Balkan, an Portugiesisch oder Spanisch. Für das Theater Neumarkt hat Mathieu Bertholet bereits als Übersetzer des Stücks «Der Untalentierte Mister R.» gearbeitet. Sonst scheint seine Vernetzung mit der Zürcher Kulturszene gering. Man traut es dem charismatischen Kommunikator aber zu, hier rasch Anschluss zu finden.
Was hat den Walliser eigentlich bewogen, sich für die ausgeschriebene Intendantenstelle zu bewerben? Zürich, dass sei zum einen immer sein Traum gewesen, wenn er als Kind seine Grosseltern in Aarau besucht habe. Zum andern staune er über die Brisanz des Theaters in Zürich: dass Intendanten gar abgesetzt würden, das könne man sich in der Romandie nicht vorstellen. Bertholet aber wertet die Zürcher Kulturkämpfe positiv – als Zeichen gesellschaftlicher Relevanz.