Matthias Schulz eröffnet seine Zürcher Intendanz als Pianist bei einem Liederabend mit Elīna Garanča und mit einer aufwendigen Neuproduktion des «Rosenkavaliers» von Richard Strauss. Wohin die Reise künstlerisch geht, ist trotzdem noch ungewiss.
Die neue Intendanz von Matthias Schulz am Opernhaus Zürich beginnt mit einem Höhepunkt. Denn Richard Strauss, in solchen Dingen wenig prüde, eröffnet seine Oper «Der Rosenkavalier» mit der berühmtesten musikalischen Schilderung eines Orgasmus. Die Feldmarschallin – gemeint ist eigentlich Kaiserin Maria Theresia – hat eine leidenschaftliche Liebesnacht mit ihrem deutlich jüngeren Gespielen verbracht, dem Grafen Octavian, der in ihren Armen recht eigentlich zum Mann geworden ist. Nun liegen die beiden ermattet im fürstlichen Bett und träumen noch ein wenig zwischen Nacht und Tag dahin: «Wie du warst! Wie du bist!»
Man kann nicht umhin, das als zart ironischen Kommentar zur speziellen Situation des Opernhauses zu hören. Denn die Oper Zürich befindet sich nach manchem Höhenflug der vergangenen Jahre derzeit in einer ähnlichen Phase des Übergangs zwischen dem, was war, und dem, was noch nicht ist. Nach dreizehn prägenden Spielzeiten ist im Sommer die Ära des Intendanten Andreas Homoki zu Ende gegangen – sie war in vieler Hinsicht ein Gegenentwurf zur noch acht Jahre länger währenden Intendanz seines Vorgängers Alexander Pereira, die in Zürich unvergessen ist. Nun soll der 48 Jahre alte Deutsche Matthias Schulz, ehedem Intendant der Berliner Lindenoper, dem Haus am Sechseläutenplatz wiederum ein neues programmatisches Profil verpassen. Die dreitägige Eröffnung am Wochenende vermittelte eine erste, noch etwas diffuse Ahnung davon.
Alte Ausstattung, neue Regie
Es begann mit einem Liederabend, den der neue Intendant gemeinsam mit der Mezzosopranistin Elīna Garanča vor vollem Haus bestritt. Was für eine schöne Geste, denkt man, dass Schulz die vom Nischendasein bedrohte Kunst des klassischen Liedes hier derart prominent an den Anfang stellt. Auch die Idee, sich für einmal als ausübender Künstler zu präsentieren – Schulz ist ausgebildeter Pianist und Kulturmanager in Personalunion –, hat einen sympathischen Zug. In der Praxis tut sich Schulz allerdings nur bedingt einen Gefallen.
Der programmatisch anspruchsvolle Abend – unter anderem mit Liedern von Henri Duparc und Schumanns «Frauenliebe und -leben» – geht dank der erfahrenen Liedsängerin Garanča reibungslos über die Bühne; atmosphärisch wirkt er indes mächtig angestrengt. Erst bei den Arienschmankerln im Schlussteil finden die beiden zu einem befreiten Miteinander. Ein lockerer angelegtes Moderationsformat, bei dem man Schulz und Garanča auch gesprächsweise kennengelernt hätte, wäre die ergiebigere Lösung gewesen.
Nach einer gut besuchten «Open Night» im Opernhaus und einem Rahmenprogramm mit der Uraufführung von Simon Steen-Andersens «Rosenkavalier»-Paraphrase «Wie du warst! Wie du bist!» im Bernhard-Theater folgte dann die eigentliche Eröffnungspremiere am Sonntag und damit das erste greifbare Statement der Intendanz Schulz. Die bis heute meistgespielte Strauss-Oper zum Auftakt einer Ära zu programmieren, ist an sich weder ein Wagnis noch sonderlich originell. Wie man die ästhetisch heikle «Komödie für Musik» jedoch umsetzt und wen man damit betraut – das verrät einiges über den künstlerischen Geist, der künftig am Opernhauses weht.
Die Konstellation des Produktionsteams für den Zürcher «Rosenkavalier» ist unkonventionell. Mit der Dirigentin Joana Mallwitz, die immer wieder für die Nachfolge von Riccardo Chailly beim Lucerne Festival Orchestra ins Gespräch gebracht wird, und der gefeierten Regisseurin Lydia Steier liegen sowohl die musikalische wie die szenische Leitung in Frauenhand. Mindestens ebenso interessant ist indes der Dritte im Bunde, der österreichisch-irische Künstler Gottfried Helnwein, dessen Bühnenbilder und Kostüme die Optik der Produktion wesentlich bestimmen.
Helnweins Ausstattung stammt ursprünglich aus einer Inszenierung von 2005 in Los Angeles, bei der Maximilian Schell Regie führte. Steier sah sie 2007, verguckte sich nach eigener Aussage in die Ästhetik und beschloss, Helnweins Bilder eines Tages von Schells anscheinend recht starrem Arrangement zu befreien. Das Verfahren hat ein bekanntes Vorbild: 2017 re-inszenierte Vera Nemirova in Salzburg Wagners «Walküre» im historischen Bühnenbild von Günther Schneider-Siemssen, dem bevorzugten Ausstatter Karajans. Nemirova scheiterte bei dem Versuch, dessen Imaginationen von ihrer monumentalen Statik zu befreien. Lydia Steier gelingt es deutlich besser, Helnweins ästhetisches Konzept auch szenisch zu beleben.
Die stärksten Momente entstehen dann, wenn Steier die in wenigen Grundfarben gehaltenen Kostüme nicht bloss ausstellt wie im überladenen Lever des ersten Aufzugs, sondern die perfekte Oberfläche der Bilder durch eigene Zutaten aufbricht. So erblickt die Marschallin mitten im Getümmel plötzlich sich selbst als alte Frau, freilich im Kleid eines Mädchens: ein magischer Moment, der unmittelbar ihre grosse Reflexion über Zeit und Vergänglichkeit initiiert – der philosophische Höhepunkt des Stücks. Auch Diana Damrau, die in der Rolle zuvor eher leichtgewichtig wirkt, dringt hier stimmlich in tiefere Dimensionen vor.
Fragwürdiger Schürzenjäger
Steier hinterfragt zudem den robusten Humor der Komödienhandlung um den Baron Ochs, indem sie aufzeigt, wie schmal der Grat ist zwischen dem derben Schürzenjägertum dieses Möchtegern-Don-Juans und einem unverhohlen übergriffigen Sexismus. Im dritten Akt erinnern überlebensgrosse Frauenporträts an die namenlosen Opfer, die solche Weinstein-Typen ausserhalb lustiger Opernhandlungen auf dem Gewissen haben können. Günther Groissböck unterstreicht die Abgründe der Opernfigur, indem er den Ochs, wie schon bei seinem überragenden Debüt in Salzburg 2014, in seiner ganzen virilen Selbstbezogenheit und Überheblichkeit vorführt.
Musikalisch profitiert der Abend von der Detailarbeit von Joana Mallwitz, die nach kurzem Übersteuern zu Beginn erfreulich gut mit der Akustik des Opernhauses zurechtkommt. Während sie mit Groissböck auf ein virtuos zugespitztes Parlando in den Ochs-Szenen abzielt, gibt sie den Frauenstimmen mehr Raum zur Entfaltung. Sie könnte die Stimmen sogar noch mehr tragen, wenn sie gelegentlich weniger aufs Tempo drückte.
Angela Brower in der Hosenrolle des Octavian und Emily Pogorelc bei ihrem beachtlichen Haus- und Rollendebüt als Sophie nutzen das Fundament für weit ausschwingende Kantilenen – die Zaubermomente jeder «Rosenkavalier»-Aufführung. Pogorelc gelingt dabei auch noch das Kunststück, die Emanzipation ihrer Rolle vom willenlosen Heiratsobjekt zur selbstbewussten jungen Frau aufzuzeigen. Sänger und Dirigentin werden denn auch am Ende gefeiert. Bei Ausstattung und Regie ist sich das Publikum merklich uneins. Zumindest das ist in Zürich nichts Neues.









