Rund achtzig Tage sind die Teilnehmer der Vendée Globe allein unterwegs. Den Unwettern und Wellen trotzen auch sechs Seglerinnen. Eine von ihnen ist die Schweizerin Justine Mettraux. Sie traut sich viel zu.
Für die Segler und Seglerinnen und ihre Crews in Les Sables d’Olonne ist die Woche vor dem Start der Vendée Globe anstrengend. Die To-do-Listen sind lang, der Terminkalender der Skipper und Skipperinnen randvoll. Alle wollen etwas, die Sponsoren, die Organisatoren, die Medien. Dazu von zehn Uhr morgens bis zum frühen Abend der nicht endende Strom der Besucher, darunter viele Schulklassen, die an den vierzig Booten mit gezücktem Handy vorbeischlendern.
Justine Mettraux nimmt diesen Zirkus, zumindest äusserlich, gelassen hin. Das gehöre dazu, sagt die Schweizerin mit einem leichten Lächeln. Aber es ist ihr anzumerken, dass sie sich danach sehnt, endlich loszulegen. Endlich das Ziel in Angriff zu nehmen, auf das sie sich seit zehn Jahren vorbereitet. Die Vendée Globe, die alle vier Jahre stattfindet, der «Everest der Meere», der Gral des Hochseesegelns. Ein Solorennen um die Welt. Rund achtzig Tage auf hoher See, ausgesetzt den Stürmen und Wellen.
Mettraux wird ein gutes Abschneiden zugetraut. «Ich habe die Mittel dazu», sagt die 38-jährige Genferin selbstbewusst. In den Qualifikationsrennen war sie nie weit weg von Sam Davies, der zurzeit besten Offshore-Seglerin der Welt. Die Engländerin nimmt ihre vierte Vendée Globe in Angriff. Nach dem vierten Platz 2008/2009 musste sie das Rennen zweimal aufgeben, segelte die Strecke beim zweiten Mal gleichwohl zu Ende. Ihr neues Boot und ihre guten Klassierungen in den letzten vier Jahren machen sie zur Mitfavoritin für den Sieg. Sie ist davon überzeugt, dass eines Tages eine Frau die Vendée Globe gewinnen wird. «In unserem Sport gibt es keinen Unterschied zwischen Mann und Frau», sagt Davies.
Uneinigkeit über eine Frauenquote
Das sieht auch Alain Leboeuf so. «Ja, eine Frau kann gewinnen», sagt der Präsident der Vendée-Globe-Organisation. Es komme nicht nur auf die physische Kraft an. Auf dem Meer könnten Frauen ihre mentale Stärke und ihr taktisches Vermögen ausspielen. Leboeuf erwähnt Ellen MacArthur, die 2001 das Rennen auf dem zweiten Platz beendete und mit etwas Glück auch hätte gewinnen können. «Entscheidend ist», so der Franzose, «dass das Gesamtpaket stimmt.»
Für Mettraux und viele andere Hochseeseglerinnen ist Ellen MacArthur das grosse Vorbild. Die Engländerin, nicht einmal 1 Meter 60 gross, machte 2000/2001 mit ihrem Kampf gegen die Elemente und ihrem beherzten Rennen die Vendée Globe über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt. MacArthur zeigte, zu welch ausserordentlichen Leistungen die Frauen auf den Weltmeeren fähig sind. Fünfzehn Jahre zuvor hatte die Französin Isabelle Autissier mit ihren Solofahrten und spektakulären Havarien, eine davon als eine von zwei Debütantinnen an der Vendée Globe, für Schlagzeilen gesorgt. Sie hatte als eine der Ersten die Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen durchaus in der Lage sind, die Weltumseglung zu bestreiten.
Doch statistisch gesehen ist der Frauenanteil an der berühmten Regatta mager. Unter den 115 Skippern, die jemals bei der Vendée Globe an den Start gingen, befinden sich lediglich zwölf Frauen. Von den zehn Ausgaben waren drei Regatten eine reine Männerangelegenheit. Catherine Chabaud war 1996/1997 die erste Frau, welche die Vendée Globe beendete. Mit 24 Jahren war Ellen MacArthur die bisher jüngste Teilnehmerin, sie wird jetzt durch die erst 22 Jahre alte Violette Dorange abgelöst.
Während für Justine Mettraux eine Frauenquote an der Vendée denkbar wäre, ist Leboeuf strikt dagegen. Man werde weiterhin alle Teilnehmer gleich behandeln. Hingegen werde man an der nächsten Vendée Globe nicht nur eine, sondern mehrere Wildcards vergeben, um einer Frau, die zum Beispiel wegen einer Mutterschaft nicht das ganze Qualifikationsprogramm habe segeln können, entgegenzukommen. Leboeuf bezieht sich auf den Fall der Französin Clarisse Crémer, die nach der letzten Vendée Globe wegen ihrer Mutterschaft den Sponsor verlor und nur in extremis die Qualifikation für das jetzige Rennen schaffte. Mit den zusätzlichen Wildcards sollen solche Fälle abgefedert werden.
Fangemeinde in den sozialen Netzwerken
Clarisse Crémer, deren Mann Tanguy Le Turquais ebenfalls an der Vendée Globe teilnimmt, ist in Frankreich sehr populär. Sie hält mit 87 Tagen den Frauenrekord des Rennens. Ihre Popularität beruht auf ihrer spontanen und fröhlichen Art. Sie hat eine grosse Fangemeinde, genau gleich wie Violette Dorange, mit 23 Jahren ein paar Wochen jünger als der Schweizer Alan Roura bei seiner ersten Teilnahme 2016. Sie ist damit die jüngste Teilnehmerin in der Geschichte der Regatta. Mit dem umsatzstärksten Fast-Food-Konzern der Welt im Rücken ist Dorange ein Glücksfall für die Organisatoren; sie hat zurzeit weit über 100 000 Follower in den sozialen Netzwerken.
Eine grosse Fangemeinde hat auch die 51 Jahre alte Pip Hare. Mit ihrem Kommunikationstalent war sie eine Bereicherung während der letzten Vendée Globe. Als die Londonerin 17 Jahre alt war, wurde sie von Isabelle Autissier inspiriert. Doch sie kam erst spät zum professionellen Regattasport, vor vier Jahren war sie in der Offshore-Szene nahezu unbekannt. Das änderte sich während des Rennens. Sie fand eine treue Gefolgschaft, die sich an ihrem britischen Humor erfreute, mit dem sie diverse Havarien überstand.
Ein halbes Jahr jünger ist ihre Landsfrau Samantha Davies. Die in Cambridge diplomierte Ingenieurin kann auf eine 25 Jahre lange Segelkarriere zurückblicken. «Ich möchte mit Engagement segeln und ganz vorne mit dabei sein. Ich weiss, dass das Boot und ich dazu in der Lage sind», sagt sie. Ihr Segelschiff trägt erneut den Namen «Initiatives-Cœur», eine Initiative zugunsten einer Organisation, die Kinder mit Herzfehlern unterstützt. 360 Kindern konnte auf diese Weise geholfen werden; wenn die Vendée Globe zu Ende ist, sollen es 500 Kinder sein.
Isabelle Joschke heisst die sechste Frau an der Vendée Globe. Die Deutschfranzösin ist eine Wiederholungstäterin, sie musste an der letzten Vendée Globe aufgeben, segelte den Kurs aber trotzdem zu Ende. Sie gilt als engagierte Verfechterin der Gleichstellung im Sport, insbesondere im Hochsee-Rennsport. Ihre Botschaft, geäussert in einer englischen Zeitung: «Ja, man kann eine Frau sein, feminin und klein, und trotzdem einen harten und körperlich anstrengenden Beruf wie das Weltumsegeln ausüben.»
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