Die mutige Herausforderin Nikki Haley gibt das Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur auf – aber nicht ihre politischen Standpunkte.
Nun ist auch die letzte Spannung aus dem amerikanischen Vorwahlkampf gewichen. Donald Trump hat die letzte Konkurrentin souverän aus dem Weg geräumt und ist der triumphale Sieger bei den Republikanern. Bei den Demokraten steht der amtierende Präsident Joe Biden ohnehin fest. Es kommt also aller Voraussicht nach in acht Monaten zum ungeliebten Duell von Ex-Präsident gegen Präsident.
Trotz den aus historischer Sicht beeindruckenden Ergebnissen Trumps ist die Wahl weiterhin völlig offen. Für Trump spricht die überaus loyale Unterstützung seiner Anhängerschaft, die im Gegensatz zu 2016 breiter in die sozialen Schichtungen Amerikas eingedrungen ist. Das Stereotyp vom verbitterten, alten, weissen Mann aus den vernachlässigten ehemaligen Industriezentren des Mittleren Westens, der, enttäuscht von den traditionellen Eliten in Washington, den Aufsteiger Trump wählt, gilt zwar noch, aber längst nicht mehr ausschliesslich.
Trump braucht Haleys Wähler
Trump kann zudem auf die Schwäche seines Gegners setzen. Ähnlich wie 2016, als er eine selbstgefällige und äusserst unbeliebte frühere Aussenministerin Hillary Clinton besiegt hatte, steht ihm diesmal ein äusserst unbeliebter Präsident Biden gegenüber. Dieser getraut sich kaum, vor seine Wählerschaft zu treten, aus Angst vor einem altersbedingten Lapsus. Trump ist zwar nur drei Jahre jünger und leistet sich auch immer wieder einen Aussetzer. Aber sein Auftreten sprüht vor Selbstbewusstsein und Energie, die seine Anhänger mitreissen.
Ein sehr bedeutender Faktor spricht allerdings gegen Trump: Die Wähler wissen nach seiner ersten Präsidentschaft sehr viel besser als 2016, mit wem sie es tun haben. Dieses Wissen hat schon 2020 dazu geführt, dass sie ihn als Präsidenten abgewählt haben. Und Trumps Verhalten seit diesem Wahltag hat weitere gewichtige Argumente geliefert, die gegen seine Wiederwahl sprechen. Seine sehr realen Versuche, die legitime Wahl Joe Bidens nicht nur zu leugnen, sondern zu hintertreiben und entgegen den Bestimmungen der amerikanischen Verfassung im Amt zu bleiben, sind ein Grund für freiheitlich denkende Bürger, Trump ihre Stimme zu verweigern.
Die Vorwahlergebnisse zeigen Trumps Stärke und Schwäche zugleich. Er vermag seine loyale Basis zu begeistern und für sich zu mobilisieren wie kein anderer. Aber die Wähleranteile, die ihm Haley trotz ihrer für alle sichtbaren Chancenlosigkeit im Kampf um die Nomination regelmässig abgenommen hat, sind ein Problem. Haley erhielt im Durchschnitt etwa ein Viertel der Stimmen. Ein Teil davon hat sie mit ihren Stärken als talentierte Politikerin einer jüngeren Generation und mit einem klassischen konservativen Profil verdient. Ein anderer Teil der Stimmen kommt von Wählern, die Trump aus Überzeugung und mit guten Gründen vom Weissen Haus fernhalten wollen. Wenn es ihm nicht gelingt, den Grossteil beider Wählergruppen Haleys zu sich zu ziehen, wird er es sehr schwer haben im November.
Mutiges und geschicktes Taktieren Haleys
Genau auf dieses Problem zielte Haley am Mittwoch mit ihrer Rede ab. Sie sicherte Trump nicht ihre Unterstützung zu und forderte ihre Wähler nicht dazu auf, dem voraussichtlichen Kandidaten Trump zu folgen. Sie forderte Trump vielmehr dazu auf, sich die Stimmern ihrer Wähler zu verdienen, indem er sich ihnen zuwendet. Das ist analytisch und politisch geschickt. Würde Trump tatsächlich auf Haleys Wähler zugehen, würde er seine Wahlchancen deutlich erhöhen; Haley hat klargemacht, dass sie keineswegs einen Sieg des Demokraten Biden wünscht.
Gleichzeitig könnte Haley darauf hoffen, dass einige der politischen Ziele, für die sie als überzeugte Republikanerin einsteht, doch noch erreicht werden könnten: sinkende Staatsschulden und eine geringere Rolle des Staates in der Gesellschaft zum Beispiel, Bündnistreue zu den Nato-Partnern der USA oder die Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen das imperiale Russland.
Trump wird sich kaum zähmen lassen
Wie realistisch ist Haleys Hoffnung? Nach allem, was man von Trumps Persönlichkeit und politischem Vorgehen weiss, sind die Chancen gering, dass er Haleys Appell folgen wird. Kann sich jemand einen Donald Trump vorstellen, der seiner Kritikerin vergibt, plötzlich und dauerhaft in das Gewand eines moderaten Politikers schlüpft und klassische konservative Positionen vertritt? Was würde seine treue Anhängerschaft davon halten? Und wie glaubwürdig wäre eine solche Metamorphose?
Das führt zum Schluss, dass Haley ihre Anwärterschaft auf die republikanische Präsidentschaftskandidatur nicht nur ausgesetzt hat, wie sie am Mittwoch erklärte. Sie dürfte endgültig vorbei sein. Es wird keinen Schulterschluss mit Trump geben. Die erstaunlich mutige und konsistente Haley könnte deshalb noch einige Zeit ein Stachel in Trumps Präsidentschaftskampagne bleiben.
Das spielt den Demokraten in die Hände. Trotzdem sollten sie aufpassen, dass sie nicht den Fehler von Clintons Wahlkampfteam 2016 wiederholen und selbstgefällig werden. Dafür gibt es durchaus Anzeichen, etwa wenn die miserablen Umfrageergebnisse für Biden einfach als irrelevant betrachtet werden oder wenn Biden weitgehend vor der Wählerschaft abgeschirmt wird. Es wäre töricht und riskant für die Demokraten, darauf zu setzen, dass der mutige Widerstand Haleys gegen Trump ihnen die Wiederwahl Bidens sichern wird. Das müssen sie schon selbst tun.