Der Migros-Kommunikationschef Christian Dorer schreitet beim «Blick» ein, was dort Fragen zu einem Inseratestopp aufkommen lässt. Ausgerechnet bei der Zeitung, die Dorer selbst jahrelang geführt hat.
Das ganze Poulet für 6.95 Franken, das Zehnerpack Eistee für 4.95. Wer nach den Sonderangeboten der Migros sucht, muss nur mittwochs den «Blick» aufschlagen. In der Regel findet man die «Wochenhits» auf Seite 6.
Die Nummer eins im hiesigen Detailhandel und die Boulevardzeitung sind eng miteinander verflochten. Beide verkörpern auf ihre Art und Weise Schweizer Volkstümlichkeit. Der «Blick» berichtet häufig und vertieft über die Migros. Diese wiederum schaltet auf den verschiedenen Blick-Kanälen gerne Inserate. Auch der gedruckten Zeitung bleibt sie treu.
Doch vor kurzem stellte eine Intervention der Migros diese symbiotische Beziehung auf die Probe, wie Recherchen zeigen. Ende März präsentierte die Migros die Geschäftszahlen für das Jahr 2023. Diese sahen nicht besonders rosig aus. In einem grossen NZZ-Interview sagte der Migros-Chef Mario Irminger: «Wir können es uns nicht leisten, weiterzumachen wie bisher.»
Wie die meisten anderen Schweizer Medien auch schrieb die «Blick»-Wirtschaftsredaktion kritisch über die Entwicklung bei der Migros. Ein Text ist den Verantwortlichen jedoch in den falschen Hals geraten.
Christian Dorer – seit Februar Kommunikationschef der Migros – griff zum Zweihänder. Er verschickte eine E-Mail, welche man durchaus als Drohung verstehen konnte. Dorer machte in der Berichterstattung Polemik aus. Und er stellte die Frage, wie er angesichts dieser die beim «Blick» investierten Millionen intern rechtfertigen könne.
Drohung, ja oder nein?
Stellte die Migros damit einen Inserateboykott in Aussicht, wenn der «Blick» künftig nicht einen freundlicheren Ton anschlägt? Klar ist: Auf der «Blick»-Redaktion verstand man es so. Die E-Mail machte intern rasend schnell die Runde. Insider sagen, dass danach alle Artikel über die Migros vor der Publikation über den Schreibtisch von der «Blick»-Chefredaktorin Steffi Buchli mussten.
Buchli antwortet auf eine entsprechende Anfrage ausweichend: «Ich verantworte die Blick-Inhalte. Ja, es ist so, dass ich gewisse Inhalte vor Publikation lese und allenfalls mit den zuständigen Journalistinnen und Journalisten beziehungsweise Ressorts bespreche.»
Darüber hinaus hält die Medienstelle des Ringier-Verlags, welcher den «Blick» herausgibt, fest: «Unsere Redaktionen und Ressorts arbeiten unabhängig und ohne jegliche Einflussnahmen.» Natürlich komme es aufgrund der Berichterstattung zu «Kundenfeedbacks», die mal positiv, mal negativ sein könnten. Diese schaue man sich im Sinne einer «gesunden Kritikfähigkeit» an, aber nicht, weil wirtschaftlicher Druck ausgeübt werde.
Die Migros bestätigt auf Anfrage die Existenz der E-Mail, will aber nichts von einer Drohung wissen. Sie schreibt: «Im vorliegenden Fall hat der Kommunikationschef den Blick kontaktiert, weil in der Berichterstattung faktische Fehler vorlagen. Dies hat die Redaktionsleitung dann auch eingeräumt. Die Migros verstand das nicht als Drohung mit wirtschaftlichen Konsequenzen. Sie kann gut mit kritischer Berichterstattung leben, solange sie faktisch korrekt ist.»
So klar ist der Sachverhalt allerdings nicht. Zwar ist es üblich, dass Kommunikationsabteilungen mit Journalisten Kontakt aufnehmen, wenn in einem publizierten Bericht Fehler vorliegen.
In diesem Fall wurde aber nicht nur der Verfasser des Textes angeschrieben. Sondern auch leitende Redaktoren sowie Verlagsmitarbeiter von Ringier, die mit dem Erstellen journalistischer Inhalte nichts zu tun haben. Das tut in der Regel nur, wer eine Botschaft platzieren will.
Mithilfe von Internet-Archivdiensten ist es zudem möglich, die erste publizierte Version des fraglichen Artikels ausfindig zu machen. Grobe Mängel sind darin nicht zu erkennen, höchstens Flüchtigkeitsfehler. Der tags darauf in der Zeitung abgedruckte Text unterscheidet sich von der Urversion nur in Details. Ein Hinweis darauf, dass im Nachhinein nichts Wesentliches korrigiert werden musste.
Seit Ende März sind im «Blick» zahlreiche weitere Beiträge über die Migros erschienen, durchaus auch kritische. Von aussen ist nicht zu erkennen, dass die Migros deswegen weniger inserieren würde.
Zweitgrösstes Werbebudget
Dennoch ist der Fall bedenklich. Die unabhängigen Medien sind weltweit unter Druck, weil die Werbeausgaben der Inserenten statt wie früher zu ihnen zu den ausländischen Online-Giganten Google und Facebook fliessen. Das verschafft den Firmen, die ihre Werbung bei journalistischen Produkten schalten, automatisch mehr Gewicht.
Ohnehin kommt der Migros auf dem Schweizer Werbemarkt eine Sonderstellung zu. Sie ist nach der Hauptrivalin Coop die Firma, die über das zweitgrösste Marketingbudget verfügt. 313 Millionen Franken gab sie vergangenes Jahr für Werbung aller Art aus (Coop: 396 Millionen). Hinter den beiden Detailhändlern tut sich eine grosse Lücke auf. Procter & Gamble (u. a. Pampers, Always, Gillette) folgt mit 78 Millionen auf Rang drei.
Kommt hinzu: Kaum einer kennt die wirtschaftlichen Abhängigkeiten des «Blick» von seinen Inseratekunden so genau wie der Migros-Kommunikationschef Christian Dorer. Er hatte die Publikation bis Frühling 2023 sechs Jahre lang als Chefredaktor geführt. Den Posten gab er dem Vernehmen nach nicht freiwillig ab.
Schliesslich heuerte er bei der Migros an. Diese hatte vergangenes Jahr die Kommunikationsabteilung neu aufgestellt, im Wissen darum, dass 2024 Restrukturierungen anstehen und deshalb viel über sie berichtet werden würde. Als Chef gesucht wurde gezielt eine Person mit journalistischer Erfahrung, welche die Mechanismen der Medien von innen kennt.
Die Migros liess die Frage offen, ob die Intervention Dorers angesichts dieser Umstände nicht besonders heikel sei. Ebenso, ob sie als mächtige Inserentin in der Schweizer Medienlandschaft verantwortungsbewusst mit ihrer Rolle umgehe.
Völlig unbegründet sind die Sorgen des «Blick» vor einem Inseratestopp jedenfalls nicht. Solche sind kein neues Phänomen. Überliefert ist ein Fall, der sich vor Jahren ereignete und in die Ära des damaligen Migros-Chefs Herbert Bolliger fiel. Die «Sonntags-Zeitung» berichtete über einen fragwürdigen Preisvergleich. Daraufhin erschien in der Zeitung auf einmal keine Migros-Werbung mehr. Das kostete den damaligen Tamedia-Verlag laut Insidern einen Millionenbetrag.
Der grosse Unterschied: Dannzumal gab es vorab keine warnende E-Mail. Bereits gebuchte Inserate wurden über Nacht einfach gestrichen.