Nordkorea schickt Soldaten nach Russland – allem Anschein nach für einen Einsatz im Krieg gegen die Ukraine. Eine solche Eskalation sollte für den Westen inakzeptabel sein. Nur eine heftige Antwort könnte den Kreml beeindrucken.
Im Ukraine-Krieg ist bald mit einem neuen Akteur zu rechnen: Bodentruppen aus Nordkorea. Die Berichte über die Verlegung nordkoreanischer Einheiten nach Russland müssen als glaubwürdig eingestuft werden. Sie beruhen nicht nur auf südkoreanischen Geheimdienstinformationen, sondern auch auf Videos aus Militärstützpunkten im Osten Russlands. Dort werden die Soldaten des Kim-Regimes in russische Uniformen gesteckt und bereiten sich offenbar auf einen Fronteinsatz vor. Südkorea spricht von insgesamt 12 000 Mann, die Russland unterstützen sollen.
Dieser dramatische Schritt markiert eine Zäsur und scheint die westlichen Regierungen überrumpelt zu haben. Die offizielle Reaktion des Weissen Hauses ist voller Widersprüchlichkeit: Ein Sprecher des amerikanischen Präsidenten wies auf die Gefährlichkeit dieser Entwicklung hin, stellte sie zugleich aber als Verzweiflungsakt des Kremls dar. Diese beiden Dinge passen nicht zusammen. Nichts deutet darauf hin, dass Putin verzweifelt ist. Er sieht sich vielmehr auf der Siegerstrasse und holt sich Verstärkung bei einem Verbündeten, um weiter an Schlagkraft zu gewinnen. Es hat keinen Sinn, diesen Schachzug als Zeichen der Schwäche kleinzureden. Nötig sind nicht Beschönigungen, sondern scharfe Gegenreaktionen.
Aus drei Gründen gefährlich
Truppen eines ostasiatischen Staates auf einem europäischen Kriegsschauplatz: Man muss in den Annalen der Militärgeschichte weit zurückblättern, um Präzedenzfälle zu finden. Das kaiserliche Japan schickte im Ersten Weltkrieg einen Teil seiner Flotte ins Mittelmeer, um den Entente-Mächten beizustehen. Vor acht Jahrhunderten stiessen die Reitertruppen des Mongolenherrschers Batu Khan bis nach Mitteleuropa vor. Weder der eine noch der andere Fall lässt sich sinnvoll mit der jetzigen Intervention Nordkoreas vergleichen.
Der Diktator Kim Jong Un plant zweifellos nur eine begrenzte Aktion, denn gleichzeitig will er gegen Südkorea und dessen Verbündeten Amerika gerüstet bleiben. Doch 12 000 Mann oder in Zukunft auch ein Mehrfaches davon kann er angesichts seiner Millionenarmee gut entbehren. Aus drei Gründen ist sein faktischer Kriegseintritt besorgniserregend. Erstens hilft Nordkorea damit, Putins Personalprobleme zu lindern. Russlands Behörden bezahlen inzwischen Prämien in der Höhe von mehreren Durchschnittsjahreslöhnen, um neue Vertragssoldaten anzuwerben. Ganz offensichtlich stockt die Rekrutierung für den Krieg.
Zweitens wird die russisch-nordkoreanische Allianz nun noch enger. Es wächst die Wahrscheinlichkeit, dass Russland daraus auch sonstige militärische Ressourcen schöpfen wird. Nordkorea soll bereits 8 Millionen Stück Munition geliefert haben. Das ist mehr als Russlands Bedarf an Artilleriegranaten für ein ganzes Jahr.
Drittens ist zu befürchten, dass Nordkorea für seine Waffenbruderschaft fürstlich entlöhnt wird. Eines der brutalsten Regime der Welt wird dadurch gestärkt. Ob Kim mit Dollarmilliarden aus den sprudelnden russischen Erdöleinnahmen bezahlt wird oder Zugang zu russischer Atomraketentechnologie erhält – in jedem Fall wird er profitieren und zu einer grösseren Gefahr für seine Nachbarn werden.
Wie also sollte der Westen reagieren? Zunächst gilt es, zu erkennen, dass Europäer und Amerikaner mit ihrem ständigen Appeasement zu dieser gefährlichen Entwicklung geradezu eingeladen haben. Diktatoren wie Putin oder Kim wittern westliche Schwäche und nutzen sie aus. Sie kalkulieren mit gutem Grund, dass sie für ihre Tabubrüche nicht büssen müssen. Aus dieser fatalen Lage muss der Westen herausfinden. Eine Antwort wäre, der Ukraine nun den Einsatz weitreichender westlicher Waffen gegen Ziele im Innern Russlands zu erlauben, was Kiew seit langem wünscht. Aber auch über eine spiegelbildliche Reaktion wäre nachzudenken: Für den Fall, dass die nordkoreanischen Soldaten in der Ukraine auftauchen, sollte die Nato ihrerseits die Verlegung eigener Bodentruppen im selben Umfang in die Westukraine androhen.
Eine solche Verlegung hatte Frankreichs Präsident bereits im Februar ins Spiel gebracht, doch lief er am Widerstand seiner Verbündeten auf. Solche Einheiten müssten keine Kampfmissionen übernehmen, aber sie könnten Bewachungsaufgaben im Hinterland erledigen und damit die ukrainische Armee entlasten.
Darf Putin ungestraft eskalieren?
Gegner einer konsequenten Unterstützung der Ukraine schreien auf solche Vorschläge jeweils «Kriegstreiberei!» und «Achtung, Eskalation!». Doch dieselben Kreise hängen dem längst widerlegten Irrglauben an, dass sich Putin mit Besänftigungen zum Frieden bewegen lasse. Sie schauen wortlos zu, wie Putin seinen Vernichtungskrieg ausweitet, ohne die westliche Zurückhaltung bei der Lieferung gewisser Waffensysteme zu honorieren. Eskalieren dürfen in dieser verqueren Logik immer nur die anderen. Auch Südkorea hat sich schwer getäuscht: Jahrelang verzichtete es auf Waffenexporte an die Ukraine, in der Illusion, Russland damit gütig stimmen zu können. Dennoch hat sich Putin nun voll auf die Seite Nordkoreas gestellt.
Gewiss, in einem Krieg ist es immer eine Option, abzuwarten und auf das Beste zu hoffen. Für Regierungen, die ihre Bürger mit unangenehmen Realitäten verschonen wollen, ist dies sogar das Bequemste. Doch Europas Sicherheit ist nicht gedient, wenn schulterzuckend hingenommen wird, wie Moskau auf der ganzen Welt Söldner für seinen Eroberungszug rekrutiert und nun sogar die Armee Nordkoreas heranzieht.