Sind wir die letzte Generation, die noch eine eisbedeckte Arktis im Sommer erlebt? Je nach weiterer Entwicklung bei den Treibhausgas-Emissionen schwindet das Meereis dort.
(dpa)
Der September ist üblicherweise der Höhepunkt des arktischen Sommers und der Monat mit der geringsten Eisbedeckung in der Arktis. Schon in diesem oder einem der nächsten Jahre könnte er nach geltender Definition erstmals seit Beginn der Aufzeichnungen eisfrei sein, hat ein Forschungsteam errechnet. Dies ist demnach der Fall, wenn der monatliche Durchschnittswert weniger als eine Million Quadratkilometer Meereis beträgt. Irgendwann im Zeitraum zwischen 2035 und 2067 könnte die Arktis erstmals durchgängig im September eisfrei sein, bei deutlich verringertem Treibhausgas-Ausstoss erst etwas später, heisst es im Fachmagazin «Nature Reviews Earth & Environment».
Infolge einzelner Ereignisse mit hohem Eisverlust, etwa bei ungewöhnlicher Wärme über mehrere Wochen, könnte es bereits in diesem oder in einem der kommenden Jahre zu einem eisfreien September kommen, erläutert die Gruppe um Alexandra Jahn von der University of Colorado in Boulder (USA). Sie hatte langjährige Messdaten einbezogen und mit Modellrechnungen kombiniert.
Der September ist langjährigen Beobachtungen zufolge der Monat mit der geringsten Menge an Packeis. In den 1980er-Jahren waren im September typischerweise noch 5,5 Millionen Quadratkilometer des Nordpolarmeers von Eis bedeckt. Seit Beginn von Satellitenmessungen des Packeises im Jahr 1978 ist die Fläche im Durchschnitt um 78 000 Quadratkilometer jährlich geschrumpft, allerdings nicht linear von Jahr zu Jahr. Verschiedene Rückkopplungssysteme sorgen dafür, dass die Eisfläche trotz des fortschreitenden Klimawandels in manchen der vergangenen Jahre wieder leicht angewachsen ist, wie die Forschenden erläutern.
Zu diesen Rückkopplungssystemen gehört in erster Linie die Atmosphäre. «Insgesamt macht die atmosphärische Variabilität etwa 75 Prozent der internen Variabilität des arktischen Meereises aus», schreiben die Studienautoren. Die Eismenge ist also stark von der jeweiligen Witterung abhängig, in geringerem Masse auch von einströmendem warmem Wasser aus den benachbarten Ozeanen.
Jahn und Kollegen nutzten ausgewählte Modelle des Climate Model Intercomparison Project 6 (CMIP6). Mit ihnen simulierten sie die Veränderung der Eisbedeckung unter verschiedenen Szenarien der künftigen Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen.
Bei einem Szenario mit mässigen Emissionen (SSP2-4.5) könnten mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 66 Prozent im Jahr 2100 bereits drei Monate – August, September und Oktober – eisfrei sein. Im Falle eines weiterhin hohen Treibhausgas-Ausstosses (SSP5-8.5) zeigen die Modelle eine eisfreie Spanne über sechs Monate. Die Bedingungen für ein eisfreies Nordpolarmeer könnten hierbei für den August bis 2050, für Dezember bis 2090 erreicht sein.
«Wenn es in den nächsten Jahrzehnten wieder zu eisfreien Bedingungen in der gesamten Arktis kommt, wird es wahrscheinlich das erste Mal seit mindestens 80 000 Jahren sein, wenn nicht sogar seit über 115 000 Jahren», schreibt das Team um Jahn mit Bezug auf frühere Studien.
Dass die Arktis auch im Winter eisfrei bleibt, wird den Forschern zufolge voraussichtlich erst im 23. Jahrhundert und nur bei extremer Erwärmung eintreten. Es wäre nach derzeitigem Kenntnisstand das erste Mal seit etwa 47 Millionen Jahren, dass die Arktis das ganze Jahr über eisfrei bleibt.