Neben seine Leidenschaft für Jets und schnittige Autos trat auch eine ausgeprägte Liebe für die Schönheit der Schweizer Alpen. Der britische Architekt, bekannt für seinen sanften Modernismus, wird 90 Jahre alt.
Die ästhetische Eleganz und technische Brillanz von Flugzeugen hat den englischen Star-Architekten Norman Foster schon als jungen Mann fasziniert. Anfang der fünfziger Jahre diente Foster, noch vor seinem Architekturstudium, in der britischen Luftwaffe. Die Kombination aus Schönheit und Technik, wie sie moderne Jets oder Lokomotiven repräsentieren, prägte auch sein Verständnis der Baukunst. Es machte ihn erst zu einer Schlüsselfigur der spätmodernen Architektur und dann zu einem der bekanntesten und erfolgreichsten Baukünstler der Welt.
Sein 1967 in London gegründetes Architekturbüro ist heute das grösste in England. Es betreut Projekte rund um den Globus. Auch wenn Foster altersbedingt nicht mehr selbst an allen Entwürfen Anteil hat, nimmt er über seine 2017 in Madrid gegründete Foster-Stiftung weiterhin grossen Einfluss auf die zeitgenössische Architektur und Stadtbaukunst. Die Kombination von Ingenieurwesen und Architektur mündet bei Foster in eine technikoptimistische Baukunst, die Innovation und Fortschritt impliziert und dabei gestalterisch stets akribisch und makellos ist.
In der Schweiz ist Foster als Architekt besonders 2002 mit der Chesa Futura in St. Moritz bekannt geworden. Dieses blasenförmige Holzgebäude an einem Südhang oberhalb des Ortskerns ruht auf acht schlanken Stahlstützen. Seine Fassade ist mit 250 000 handgeschnittenen Lärchenschindeln verkleidet. Die Eiform verleiht dem Gebäude ein günstiges Verhältnis von Volumen zu Aussenfläche und ist zugleich eine Anspielung auf einen Entwurf von Fosters grossem Vorbild: Der genial-verrückte amerikanische Ingenieur Richard Buckminster Fuller lebte Foster die Liebe zu modernen Verkehrsmitteln und kinetischer Architektur vor.
Lehrmeister Natur
Der zweite wichtige Lehrmeister des Briten war hingegen die Natur. Einfache Gesetze der Physik wie die Konvektion beispielsweise nutzt Foster in seiner «High-Tech-Moderne», um auf Klimatisierung wo immer möglich zu verzichten. Foster liebt Elemente wie Klappen oder Kiemen, die frische Luft ins Gebäude leiten. Er ist stets bestrebt, Technik und Natur zusammenzuführen und für umweltfreundliche Architektur dienstbar zu machen.
Auch das «Gherkin» genannte, gurkenförmige Hochhaus in der City von London, neben den HSBC-Hauptgebäude in Hongkong Fosters prominentester Wolkenkratzer, hat mit der Schweiz zu tun: Als Swiss Re Building wurde der Turm bei seiner Fertigstellung im Jahr 2003 zum Wahrzeichen von Ost-London. Trotz seiner durchgängig gebogenen Form gibt es am Swiss-Re-Gebäude nur ein einziges gebogenes Glas an der Spitze des Turmes. Überall sonst sind die Glasscheiben wie Schuppen bei einem Tier angeordnet.
Für sein Lebenswerk erhielt Foster 1999 den begehrten Pritzker-Preis. Für sein Büro arbeiten heute mehr als 2000 Mitarbeiter in zwölf Ländern der Welt. Das Architekturbüro ist damit das grösste eines Pritzker-Preisträgers. Und diese «Architekturmaschine» führt bemerkenswert präzise Arbeiten in erstaunlich hoher Zahl aus. Das Büro ist damit weder ein Architektur-Atelier noch ein anonymes Grossbüro. Foster löst die Barriere zwischen Architektur, wie sie gerne in den Feuilletons beschrieben wird, und dem Rest des Baugeschehens auf. Trotz aller Internationalität ist Foster zugleich urbritisch: Im Jahr 1999 wurde er zum Lord von der Thames Bank geadelt. Zum Ritter geschlagen und als Mitglied des Verdienstordens durfte Foster zeitweise mit der Königin zu Mittag speisen.
Einfachheit und Leichtigkeit
Begonnen hatte Fosters Karriere deutlich schlichter: Nach dem Studium in Manchester und Yale reiste er ein Jahr lang durch Amerika – begleitet von seinem Freund Richard Rogers. Mit ihm gründete er ein Büro. In ihrem ersten fertiggestellten Haus filmte Stanley Kubrick sein Meisterwerk «A Clockwork Orange». Mit günstigen Standardmaterialien gebaut, kombinierten die darauf folgenden Werke industrialisierte Einfachheit mit ästhetischer Leichtigkeit, um «mit weniger mehr zu erreichen», wie Foster es nannte.
Das Team 4 genannte Büro löste sich 1967 auf und Foster gründete sein eigenes Büro. Berühmt wurde es mit dem Bau des Hauptsitzes der Firma Willis Faber & Dumas in Ipswich, 1975. Das Versicherungsgebäude bot moderne offene Büroetagen, deren Amöbenform sich aber dem mittelalterlichen Grundstückszuschnitt anpasste. Die schwarze Glasfassade reflektiert ihre Umgebung am Tag und leuchtet am Abend wie ein Aquarium.
International machte sich Foster 1986 mit einem Bau des Hauptsitzes der Hongkong and Shanghai Banking Cooperation in Hongkong einen Namen. Foster gab dem damals teuersten Bauwerk der Geschichte ein Tragwerk aus Hängebrücken, das die Bankkunden von unten mittels Rolltreppen in ein faszinierendes Tageslicht-Atrium schaufelt. Fosters Mantra, dass «Qualität eine Geisteshaltung ist», stammt aus dieser Zeit.
Eine Spezialität von Foster sind Verkehrsbauten wie die grossen Flughäfen London-Stansted, Peking oder Hongkong, die U-Bahn-Station Canary Wharf in London, die Millennium Bridge in London oder das elegante Millau-Viadukt in Frankreich. Fosters Apple-Hauptgebäude in Cupertino, Kalifornien, die feine Überdachung des grossen Hofs des British Museum in London, das zarte Schatten auf die Natursteinoberflächen des Altbaus wirft, oder die Reichstagskuppel in Berlin gehören zu seinen späten Meisterstücken. Sich selbst beschreibt der Architekt als Problemlöser für schöne Dinge. Sein Charisma wird von einer sympathischen Mischung aus Ehrgeiz und Understatement geprägt.
Sein zweites und einstweilen letztes Werk in der Schweiz, das Murezzan, ebenfalls in St. Moritz, ist ein Beitrag zur modernen alpinen Architektur. Das sanierte Albana- und Posthotel mit Wohnungen, Geschäften und Galerien hat Foster zu einem gemischt genutzten Zentrum in der Innenstadt zusammengefasst. Die Fassaden sind mit traditionellem Sgraffito verputzt und die Erkerfenster haben raumhohe Verglasungen, um herrliche Ausblicke auf den St. Moritzersee zu erlauben.
Das Restaurant hingegen erinnert an eine Engadiner «Stüva». Die Chesa auf der anderen Seite der Via Serlas hat eine hohe Kolonnade und eine Holzfassade, die Blicke der Passanten um die Kurve lenkt – in Richtung eines Berghauses, in dem Foster seinen Hauptwohnsitz hat. In der zweiten Lebenshälfte trat bei dem britischen Meisterarchitekten neben die Leidenschaft für Jets und schnittige Autos eine ausgeprägte Liebe für die Schönheit der Schweizer Alpen.