Er sei der Schweiz überdrüssig geworden, wurde dem Chef von Novartis unterstellt. Doch Vas Narasimhan will beim Basler Pharmakonzern weitermachen. Seine neuen Wachstumsziele lösen allerdings wenig Begeisterung aus.
Manchmal müssen ausländische Konzernchefs gegenüber der Schweiz ihre Liebe öffentlich bezeugen. Vas Narasimhan, der CEO des Pharmaunternehmens Novartis, sagte am Donnerstag, zugeschaltet aus London, an einer Telefonkonferenz: «Ich liebe Novartis und die Schweiz. Sie dürfen mich gerne entsprechend zitieren.»
Weitermachen auch unter neuem Präsidium
Nachdem der Amerikaner längere Zeit das Gespräch mit der Schweizer Öffentlichkeit gemieden hatte und dieses Jahr nicht einmal mehr an der Bilanzmedienkonferenz aufgetreten war, fragten sich manche Mitarbeitende am Basler Hauptsitz, ob er mit einer baldigen Rückkehr in seine amerikanische Heimat liebäugle. Doch Narasimhan, der seit Februar 2018 im Amt ist, scheint festen Willens zu sein, seine Aufgabe bei Novartis weiterzuführen.
Daran ändert auch die Ernennung von Giovanni Caforio nichts, der ab der kommendem Generalversammlung Anfang März 2025 den langjährigen bisherigen Verwaltungsratspräsidenten Jörg Reinhardt ablösen soll. Caforio, ein gebürtiger Römer, verbrachte seine bisherige Karriere hauptsächlich beim amerikanischen Konkurrenten Bristol Myers-Squibb. Reinhardt hatte hingegen bereits Anfang der 1980er Jahre bei Sandoz, einer der beiden Vorgängergesellschaften von Novartis, seine Laufbahn gestartet.
«Kein Strategiewechsel»
Er freue sich auf frische Einsichten, sagte Narasimhan. Doch es sei «kein Strategiewechsel» zu erwarten. «Caforio steht voll und ganz hinter der Strategie von Novartis.»
Narasimhan hatte als CEO bei Novartis keinen einfachen Start. So entpuppte sich das Geschäft mit Generika, das erst vor einem Jahr verselbständigt wurde, als Bremsklotz.
Auch tat sich das Unternehmen zunächst schwer bei der Lancierung verschiedener umsatzträchtiger Produkte wie des Herzmedikaments Entresto oder des Krebsmittels Pluvicto. Mittlerweile verspürt Novartis aber deutlich mehr Rückenwind, und der Konzernchef nutzte die Gelegenheit, um sich in London im Gespräch mit Journalisten und Investoren selbst auf die Schultern zu klopfen.
So betonte er, dass Novartis mittlerweile, als reiner Anbieter von innovativen Medikamenten, zweistellig in Lokalwährungen wachse. Auch habe es der Konzern geschafft, bei der Profitabilität überproportional zum Umsatz zuzulegen.
Wachstumsziel leicht erhöht
Die von Investoren vielbeachtete Kennziffer der Kernbetriebsgewinnmarge, die ausserordentliche Posten wie Restrukturierungsaufwendungen ausklammert, dürfte im laufenden Jahr nach Erwartung der Novartis-Führung einen Wert von knapp unter 40 Prozent erreichen. 2018, im ersten Amtsjahr Narasimhans, war sie im fortgeführten Geschäft noch unter 30 Prozent gelegen.
An der Investorenkonferenz bekräftigte das Management sein Ziel, die Kernbetriebsgewinnmarge bis 2027 auf 40 Prozent und mehr zu hieven. Beim Umsatz erwartet das Unternehmen für den Zeitraum von 2023 bis 2028 neu statt 5 Prozent Wachstum pro Jahr 6 Prozent.
Harry Kirsch, der Finanzchef von Novartis, sagte, ein zusätzlicher Prozentpunkt mute auf den ersten Blick bescheiden an. Aber ausgehend von einem Umsatz von ungefähr 50 Milliarden Dollar, wie er für dieses Jahr erwartet werde, verschaffe er dem Unternehmen über die gesamte Periode gleichwohl Mehreinnahmen von über 2,5 Milliarden Dollar.
Optimistisch trotz dem Verlust von Patenten
In den kommenden fünf Jahren, also bis 2029, rechnet Novartis neu mit einem jährlichen Umsatzwachstum von 5 Prozent in Lokalwährungen. Der Konzern traut sich dabei zu, Mindereinnahmen wegen verschiedener Nachahmerprodukte mehr als wettmachen zu können. Die beiden zurzeit umsatzstärksten Medikamente, Entresto und Cosentyx, dürften im Hauptmarkt USA voraussichtlich Mitte 2025 beziehungsweise 2029 Konkurrenz durch Nachahmerprodukte erhalten.
Laut Novartis befinden sich im Portfolio neben Entresto und Cosentyx noch sechs weitere Produkte, die einen Spitzenumsatz von 3 bis 8 Milliarden Dollar versprechen. Allerdings fehlt es dem Konzern auch damit weiterhin an wahren Umsatzrennern, die in der Pharmabranche mittlerweile zweistellige Milliardenbeträge pro Jahr einbringen. Mehrere Konkurrenten wie Abbvie oder Merck & Co. haben solche im Portfolio.
Aufholpotenzial im US-Markt
Diese Konzerne wachsen auch im amerikanischen Markt deutlich schneller, der für Medikamentenhersteller nach wie vor mit Abstand am lukrativsten ist. Novartis hat sich zwar zum Ziel gesetzt, unter die fünf grössten Anbieter in Amerika vorzustossen. Doch dies werde seine Zeit brauchen, räumte Narasimhan ein. In den nächsten drei bis vier Jahren wird es Novartis seiner Erwartung nach wohl erst auf den sechsten oder siebten Platz schaffen.
Das Schweizer Unternehmen hat viel aufzuholen. Anders als die meisten grossen Medikamentenhersteller, einschliesslich seines Lokalrivalen Roche, erwirtschaftet es in den USA noch immer weniger als die Hälfte des Umsatzes. Gegenwärtig liege der Anteil bei 40 Prozent, sagte Narasimhan.
Das Einfachste, um in den USA rasch an Masse zuzulegen, wäre der Kauf eines Konkurrenten. Doch Novartis will in Amerika primär organisch wachsen. Auch sonst strebt das Unternehmen weiterhin keine grossen Übernahmen an. Man bleibe der Strategie treu, vor allem kleinere Transaktionen mit einem Wert von unter 3 Milliarden Dollar zu vollziehen, sagte Kirsch, der Finanzchef.
Missratene Wette auf Biotechfirma Morphosys
Angesprochen auf den missratenen Kauf der deutschen Biotechfirma Morphosys, erklärte das Management, man sei eine Wette eingegangen. Der Konzern sah sich jüngst zu einer Wertberichtigung von 800 Millionen Dollar gezwungen, nachdem er Morphosys nur wenige Monate zuvor für umgerechnet 2,9 Milliarden Dollar übernommen hatte.
Auslöser dafür war, dass beim Hauptprodukt von Morphosys in der abschliessenden Phase III der klinischen Entwicklung Bedenken wegen der Sicherheit auftauchten. Novartis hätte, gestand Narasimhan nun ein, den Ausgang dieser Studie abwarten können. Allerdings wäre der Kauf von Morphosys dann, sofern die Studie ein positives Resultat gezeigt hätte, «doppelt so teuer» geworden.
Anleger reagierten am Donnerstag zurückhaltend auf die Versprechen der Novartis-Führung. Der Aktienkurs stieg bis zum Handelsschluss lediglich geringfügig um 0,6 Prozent auf 91.56 Franken.
Ende August war die Notierung noch auf einen neuen Höchststand von über 102 Franken geklettert. Offenbar glauben Investoren, dass die Luft bei Novartis vorläufig draussen ist, und schauen sich nach lukrativeren Investitionsmöglichkeiten um.