Die amerikanischen Tech-Giganten wollen weniger abhängig von Nvidia sein. Doch derzeit führt kein Weg an den Hochleistungs-Chips für KI vorbei. Ein Ende des Höhenflugs der Nvidia-Aktien ist nicht in Sicht.
Es ist wieder Nvidia-Tag. Seit der Lancierung von Chat-GPT vor 18 Monaten wird kein Unternehmensergebnis mit grösserer Spannung erwartet. Nvidia ist nicht nur der führende Hersteller von Hochleistungs-Chips, das Unternehmen ist regelrecht der Taktgeber der künstlichen Intelligenz (KI). Ist Nvidia in Schwung, so ist es auch die KI-Revolution.
Denn die Prozessoren des kalifornischen Unternehmens sind nach wie vor unumgänglich, um KI-Software in Rechenzentren effizient zu betreiben. Kurz: Ohne Nvidia-Technik gibt es kein Chat-GPT. Insofern ist Nvidia die wohl wichtigste Tech-Firma der Welt und damit auch eine wichtige Impulsgeberin an den Börsen.
Grund für Zuversicht gibt es genug. Die Nachfrage nach Nvidia-Chips übersteigt das Angebot bei weitem. So übertraf Nvidia in den vergangenen Quartalen die kühnsten Finanzprognosen. Davon wird auch dieses Mal ausgegangen.
Analysten erwarten im Vorfeld der Publikation, dass sich die Quartalseinnahmen im Vergleich zum Vorjahr mit 25 Milliarden Dollar mehr als verdreifachen. Der Gewinn soll sich gar mehr als versechsfachen. Keine andere Firma dieser Grösse kann derzeit solche Wachstumsraten bei gleichzeitig so hoher Profitabilität – die Bruttomarge steht bei über 70 Prozent – ausweisen.
Minicrash oder Kursfeuerwerk
Doch mit jedem Superquartal wird auch die Fallhöhe grösser. Schon aus mathematischen Gründen, weil die Vergleichsbasis immer anspruchsvoller wird. Noch scheint alles rundzulaufen. Die Nvidia-Aktien haben sich in den vergangenen zwölf Monaten im Wert verdreifacht und im ersten Quartal nochmals verdoppelt. Das kontrastiert mit den Titeln von breiter aufgestellten Chipherstellern wie AMD, Broadcom, Micron oder Intel, die jüngst deutliche Verluste verzeichneten.
Wegen des steilen Kursanstiegs der letzten Monate gehört Nvidia nun zu den «Magnificent 7», dem Klub der sieben grössten amerikanischen Tech-Firmen. Nur Microsoft und Apple sind derzeit wertvoller als Nvidia. Mit einem Börsenwert von fast 2,4 Billionen Dollar steht das 1993 gegründete Unternehmen für die Hälfte der Marktkapitalisierung der gesamten Halbleiterbranche – mit einem solchen Gewicht bewegt Nvidia nicht nur die amerikanischen Indizes, sondern auch die Weltbörsen.
Den Finanzzahlen von Nvidia wird derzeit so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie Zinsentscheidungen der US-Notenbank Fed. An den Optionenmärkten wurde im Vorfeld des Ergebnisses mit Kursschwankungen der Nvidia-Aktien von bis zu 9 Prozent nach oben oder unten gerechnet – das entspricht einer Zu- oder Abnahme des Werts von 180 Milliarden Dollar.
Alles andere als ein herausragendes Ergebnis mit zuversichtlichem Ausblick wird die Anleger enttäuschen und zu einem Minicrash führen, was die fragile Stimmung an den Börsen trüben würde. Überrascht Nvidia hingegen erneut positiv, ist ein Kursfeuerwerk programmiert.
Kein Platz für Enttäuschungen
Dabei ist die Investorenstimmung gegenüber dem KI-Boom und Nvidia nicht mehr uneingeschränkt zuversichtlich. Das zeigt die Entwicklung des Aktienkurses, der seit März nur wenig gestiegen ist. Einerseits, weil die letztjährige Begeisterung der Anleger für die Magnificent-7-Werte verflogen ist, und andererseits, weil immer mehr Zweifel aufkommen, dass Nvidia das rasante Wachstum aufrechterhalten kann.
Das hohe Innovationstempo bei KI könnte dabei zum Problem werden. Weil immer mehr Rechenleistung für immer komplexere KI-Anwendungen gefordert wird, bringt Nvidia in hohem Takt neue Superchips heraus – erst im August letzten Jahres wurde die Serie Grace Hopper lanciert. Im März wurden bereits wieder neue Chips der Serie Grace Blackwell vorgestellt. Sie sollen doppelt so schnell Sprachmodelle wie Chat-GPT trainieren können und kommen Ende Jahr auf den Markt.
Um sich nicht mit «veralteter Technik» einzudecken, halten sich nun gemäss einem Bericht der «Financial Times» Grosskunden wie Amazon mit Bestellungen für Hopper-Chips zurück und warten auf die Verfügbarkeit der neuen Blackwell-Superchips.
Etliche von Nvidias Grosskunden haben zwar angekündigt, weiterhin Dutzende Milliarden für neue KI-Chips für ihre Rechenzentren auszugeben, doch unter Marktbeobachtern geht nun die Angst um, dass es wegen Blackwell zu einer Bestell-Pause kommen könnte.
Auch die Entwicklungen in der Halbleiterbranche sind derzeit eher ernüchternd und könnten auch Nvidia betreffen. So meldete im April der niederländische Chipausrüster ASML einen Bestell-Einbruch bei Lithografiesystemen, die zur Chipherstellung gebraucht werden. Nvidia entwickelt die KI-Chips lediglich, die Produktion übernehmen Auftragsfertiger. Bei alternativen Anbietern von KI-Chips wie AMD oder Qualcomm stagnierten die Gewinne jüngst, bei Intel war er rückläufig.
Wackelt Nvidias Thron bereits?
Um im Wettlauf um die kompetitivsten KI-Angebote zu bestehen, liefern sich zwar die Tech-Giganten Amazon, Microsoft und Alphabet derzeit ein Wettrüsten um die leistungsfähigste KI-Infrastruktur. Doch trotz der Bereitschaft, Dutzende Milliarden zu investieren, sind sie in hohem Masse von der Technologie und Lieferfähigkeit von Nvidia abhängig.
Um diese Abhängigkeit zu reduzieren, sind Nvidias grösste Kunden wie Amazon, Meta oder Google daran, eigene KI-Chips zu entwickeln. Doch nicht nur das. Damit leistungsfähige Chips für KI-Anwendungen eingesetzt werden können, braucht es auch eine effiziente Softwareplattform. Der Nvidia-Chef Jensen Huang hält diese Software für das eigentliche «Betriebssystem» der KI. Jene von Nvidia, namens Cuda, gilt als besonders nutzerfreundlich.
Nun wollen Nvidias grösste Kunden nicht nur bei KI-Chips, sondern auch bei der Software zu Konkurrenten werden. Angeführt von Open AI soll eine Betriebssoftware namens Triton entwickelt werden. Nvidia-Konkurrenten wie AMD, Intel und Qualcomm werden ihre Chips dann auch über Triton anbieten, so dass Kunden nicht mehr exklusiv auf Nvidia angewiesen sind.
Die Dominanz von Nvidia bei KI-Chips wie auch der Betriebssoftware dürfte dennoch nicht unmittelbar gefährdet sein. Denn selbst wenn Triton wettbewerbsfähig ist, werden Nvidias Konkurrenten Jahre brauchen, um den Vorsprung von Cuda aufzuholen.
Bei Chips schätzen Analysten von Citi, dass Nvidias Anteil am Markt für generative KI-Chips von etwa 81 Prozent im nächsten Jahr auf etwa 63 Prozent, aber erst im Jahr 2030, sinken könnte. Nvidia dürfte bei KI-Hardware also noch auf Jahre hinaus dominant bleiben.