Minimaler Aufwand, maximaler Ertrag: Mit dem Übernahmeangebot beweist Elon Musk, dass er ein Meister der Verhandlung ist – und bremst zu seinen Gunsten den Höhenflug von Open AI.
Eines der mächtigsten Werkzeuge in Verhandlungen ist die Ankerstrategie: Wer zuerst eine Zahl nennt, behält die Oberhand. Ob auf dem Flohmarkt, in Gehaltsgesprächen oder bei Firmenübernahmen – der Ankerpreis überschattet alle folgenden Gebote. Das menschliche Gehirn orientiert sich an einer einmal gesetzten Zahl, hat der Psychologe Daniel Kahneman festgestellt; wie ein Schiff um seinen Anker kreist die gesamte Diskussion von nun an um diese Zahl.
Laut Studien wählt man dabei am besten keinen runden Betrag, sondern einen möglichst präzisen – das vermittelt den Eindruck genauer Sachkenntnis. Also etwa 97,4 Milliarden Dollar und nicht 100 Milliarden. Genau das hat Elon Musk diese Woche getan.
Überraschend hat der reichste Mann der Welt ein Kaufangebot für Open AI abgegeben, die wohl attraktivste KI-Firma der Welt – oder, besser gesagt, für die künftige gemeinnützige Organisation, die am Ende einer komplexen Umstrukturierung einen Anteil an Open AI halten wird.
Musk schafft Unsicherheit unter Investoren
Nimmt man die Perspektive von Musk ein, muss man sagen: Die Aktion ist ein genialer Schachzug. Einfach eine Zahl in den Raum zu werfen und andere darauf reagieren zu lassen, dürfte sich für ihn in vier Punkten auszahlen.
Open AI ist derzeit eine gemeinnützige Organisation mit profitgetriebenem Arm. Künftig sollen diese beiden Teile getrennt werden. Die gemeinnützige Organisation hält dann nur noch einen Anteil einer neuen, profitgetriebenen Unternehmung. Je höher die Bewertung der Nichtprofitfirma, desto grösser ihr Anteil am künftigen Open AI. Mit seinem scheinbar grosszügigen Angebot wertet Musk also erstens den profitgetriebenen Arm von Open AI zu seinen Gunsten ab.
Gemäss der letzten Investitionsrunde ist die gesamte Firma 157 Milliarden Dollar wert. Wenn Musk für die gemeinnützige Organisation 97 Milliarden Dollar bietet, schmälert das den Wertanteil, der für Investoren wie Microsoft und Apple übrig bleibt. Das wird vermutlich zu Spannungen führen, weil sich jeder der Geldgeber ein möglichst grosses Stück sichern will.
Musks Angebot schafft Unsicherheit unter den Investoren – und das dürfte, zweitens, die Kapitalaufnahme für Open AI teurer machen. Der CEO Sam Altman ist wieder auf der Suche nach Geldern, 40 Milliarden Dollar will er aufnehmen. Angeblich laufen Verhandlungen mit der japanischen Investmentgruppe Softbank. Die Nachricht von Musks Angebot muss in diese Diskussionen geplatzt sein wie eine Wasserbombe in ein Kaffeekränzchen. Potenzielle Neuinvestoren könnten nun aufgeschreckt vom Tisch wegrennen.
Gleicher Verhandler wie beim Twitter-Kauf
Mit der Offerte wendet sich Musk jedoch gar nicht primär an Open AI – sondern setzt, drittens, vor allem einen Anker gegenüber den staatlichen Aufsichtsbehörden in Kalifornien und Delaware. Denn diese walten über gemeinnützige Organisationen wie Open AI.
Die Generalstaatsanwälte der beiden Gliedstaaten könnten juristische Schritte ergreifen, sollten sie der Auffassung sein, dass die gemeinnützige Organisation im Zuge der Umstrukturierung nicht angemessen entschädigt wird. Laut Medienberichten soll Altman diskutiert haben, dem gemeinnützigen Arm von Open AI 30 Milliarden Dollar zu zahlen. Dieser Betrag erscheint im Licht von Musks Ankerzahl wie ein Almosen.
Und viertens dürfte auch Musks eigene KI-Firma XAI von der Kaufofferte an Open AI profitieren. XAI spielt bis jetzt nicht in der Champions League der weltbesten KI-Firmen – eher in der Regionalliga. Doch sollte Musks Kaufangebot angenommen werden, könnte XAI bestenfalls mit Open AI fusioniert werden. Zumindest wird, so oder so, ein mächtiger Konkurrent gebremst.
Die grosse Frage wird nun sein, welche spieltheoretischen Tricks die Gegenseite beherrscht, allen voran der Aufsichtsrat von Open AI. Dessen Vorsitzender, Bret Taylor, hat Erfahrung in Verhandlungen mit Elon Musk: Taylor sass 2022 auch dem Aufsichtsrat von Twitter vor, als plötzlich ein Kaufangebot von Elon Musk hereinflatterte. Wie das endete, ist bekannt.