Am Sonntag in Montreux unterhielt Neil Young sein Publikum mit einem kraftvollen Auftritt. Allerdings wirkte das Konzert streckenweise auch ziemlich monoton.
Er kommt mit schweren Schritten auf die Bühne mit seinem zerknitterten Gesicht, seinem Bauch und dem strähnigen grauen Haar, das unter einer Stoffmütze hervorspriesst. Neil Young ist 79 Jahre alt, sieht genau so aus, und es scheint ihn als Mitglied dieser auf das Jungsein fixierten Rockkultur kein bisschen zu kümmern.
Er beginnt sein zweistündiges Konzert in Montreux mit akustischer Gitarre und Mundharmonika, von seiner vierköpfigen Band dezent begleitet. Als Erstes spielt er den «Ambulance Blues» mit der beziehungsreichen Zeile «I never knew a man could tell so many lies» – ich hätte nie gedacht, dass ein einzelner Mann so viele Lügen verbreiten kann. Dann hängt er sich eine Gibson um und spielt ein weiteres altes Stück, «Cowgirl in the Sand» aus dem zweiten Soloalbum, erschienen 1969, und er spielt es wuchtig und schwer.
Ein Ununterbrochener
Womit wir in diesen ersten beiden Liedern das klassische Kontrastprogramm des Neil Young gehört haben: zartbittere Balladen und brutalen Rock’n’Roll. «From Hank to Hendrix» heisst eine Platte von ihm, der Titel ist Programm: Neil Young inspiriert sich ebenso sehr an den kahlen Country-Klagen eines Hank Williams wie am aggressiven Gitarrenspiel von Jimi Hendrix.
Der Mann ist exzessiv in allem, nicht nur als Songschreiber, sondern auch als Plattenmacher. 45 offizielle Studioalben gibt es von ihm zu hören, seine Aufnahmen mit Bands wie Buffalo Springfield oder Crosby, Stills, Nash and Young nicht eingerechnet. Das nächste Werk ist bereits eingespielt. Zudem hat der Mann über dreissig Alben mit unveröffentlichten Stücken herausgegeben und weitere Veröffentlichungen angedroht. Dazu kommen Dutzende von Live-Alben, Soundtracks und Filmen. Einen solchen Output hat nur noch Bob Dylan zu bieten, der Neil Young ebenso bewundert wie dieser ihn.
Mit Dylan teilt Young den störrischen Individualismus, das systematische Desinteresse an der Meinung anderer und die widersprüchlichen politischen Positionen. Einst sprach sich Young für Ronald Reagan aus und später für Barack Obama. Früher fand er Donald Trump sympathisch, jetzt hasst er ihn öffentlich und befürchtet sogar, nicht mehr in die USA einreisen zu können. «His own bizarre logic», nannte das der «Guardian» in seiner Rezension von Neil Youngs kürzlichem Auftritt am Glastonbury Festival, den die Zeitung mit fünf Sternen bewertete. Auch andere Kritiker reagierten mit ekstatischen oder zumindest begeisterten Rezensionen auf die Auftritte seiner laufenden Tournee.
So weit würden wir nach seinem Schweizer Konzert nicht gehen. Was stimmt: Neil Young und seine Band geben ein kraftvolles, mit Engagement vorgetragenes Konzert, das vom Publikum mit Enthusiasmus gefeiert wird. Nicht einmal der kalte Regen, der zeitweise fällt, kann die Stimmung der Leute ruinieren. Sie bedenken Youngs Bemerkung «A beautiful place you got here», schön habt ihr es hier, mit einer Ovation. Und erklatschen sich zwei Zugaben.
Akustische Höhepunkte
Am schönsten gelingen ihm die akustischen Stücke, etwa «The Needle and the Damage Done» aus dem Erfolgsalbum «Harvest» von 1972, mit dem sich der Songschreiber ein Millionenpublikum erspielte und das bis heute sein bekanntestes Werk bleibt. Das Stück beklagt den Tod von Freunden und Mitmusikern, die am Heroin zugrunde gingen, und noch immer klingt die letzte Zeile des Songs so resignativ traurig wie jeder Satz über eine Sucht: «And every junkie’s like a setting sun» – jeder Fixer ein Sonnenuntergang.
Dass der Mann mit 79 Jahren noch Konzerte gibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Der Alte fühlte sich in den letzten Jahren gesundheitlich nicht gut, und er hat eine schmerzhafte Biografie hinter sich. Neil Young erkrankte als Sechsjähriger an Kinderlähmung und schleppte sich, von den Mitschülern gehänselt, auf Krücken durch die Kindheit. Die Trennung seiner Eltern traumatisierte ihn zusätzlich. Er sollte seinem Vater, einem angesehenen kanadischen Sportjournalisten, erst Jahre später wieder nahekommen. Als Erwachsener durchzuckten ihn schwere Epilepsieanfälle, er litt an Rückenschmerzen, stolperte durch grelle Nächte voller Tequila und Kokain. Im Alter starb er beinahe an den Folgen einer Hirnoperation. Neil Young ist ein Überlebender in jeder Beziehung.
Das mag mit ein Grund dafür sein, dass die Presse ihm alles verzeiht. Sie hat auch sein letztes Album zum Meisterwerk hochgeschrieben, obwohl es viele bereits erprobte Wendungen, Arrangements und Gesangslinien wiederholt. Auch sein Konzert in Montreux, so gut es ihm gerät, überzeugt nicht durchwegs. Mehrere der elektrisch verzerrten Songs klingen monoton bis zur Langeweile, und man fragt sich, ob Fans und Kritiker den Ungezähmten besser finden wollen, als er ist, weil ihnen seine Hartnäckigkeit so gefällt.
Hang zum Kitsch
Neil Youngs Hang zu Übermass und Redundanz gründet in seiner grössten Schwäche: Er neigt zur Selbstüberschätzung. «Ich selber finde mich ziemlich gut», gesteht er uns in seiner geschwätzigen, fast 500 Seiten langen Autobiografie, die aus einer unstrukturierten Abfolge von Anekdoten besteht.
Das gilt auch für viele seiner Texte, bei denen Neil Young Kolleginnen und Kollegen wie Bob Dylan, Joni Mitchell oder Leonard Cohen weit unterlegen bleibt. Was im besten Fall aufrichtig klingt, verkommt oft zur Banalität dieses Egozentrikers, dem jede selbstkritische Distanz abgeht. Oder wie sonst soll man Zeilen werten wie «old man, look at my life, I’m a lot like you were» oder «I am just a dreamer, but you are just a dream»?
Was man an solchem Schülerkitsch bewundern kann, ist dasselbe, was man in seinen aufreizend langen, letztlich aber dilettantisch monotonen, auch in Montreux schwer auszuhaltenden Gitarrensoli toll finden mag: dass ihm komplett egal ist, was andere von ihm halten. Das mag man eigensinnig finden; überzeugend ist es nicht.