Österreichs Abhängigkeit von Energielieferungen aus Russland steigt, anstatt zu sinken. Nun will die zuständige Ministerin die Gasversorger zum Ausstieg zwingen. Ob sie die Pläne umsetzen kann, ist aber höchst fraglich.
Kommende Woche jährt sich der russische Überfall auf die Ukraine zum zweiten Mal, und in Österreich ist der Anteil russischer Gasimporte so hoch wie noch nie. «Wir sind abhängiger denn je», schrieb die konservative «Presse» am Dienstag. Obwohl die Regierung seit dem Angriffskrieg des Kremls beteuert, aus dem russischen Gas aussteigen zu wollen, ist dessen Anteil jüngst gestiegen statt gesunken. Im Dezember betrug er 98 Prozent an den Gesamtimportmengen, wie am Montag bekanntwurde.
Die grüne Energieministerin Leonore Gewessler sprach deshalb an einer kurzfristig einberufenen Medienkonferenz von einer Fehlentwicklung. Die hohe Abhängigkeit von russischem Erdgas gefährde Wohlstand, Sicherheit und Zukunft des Landes. Im vergangenen Sommer erklärte sie bereits, sie halte es für völlig falsch, mit den Importen den Krieg in der Ukraine zu finanzieren. Tatsächlich hat Österreich allein im letzten Jahr so indirekt über drei Milliarden Euro an die russische Kriegskasse überwiesen. 2022 war es aufgrund der hohen Preise noch deutlich mehr.
«Knebelvertrag» zwischen der OMV und Gazprom
Diese hohen Preise haben auch dazu geführt, dass Haushalte und Wirtschaft den Verbrauch gedrosselt haben. So konnte die Menge des importierten Erdgases in den vergangenen zwei Jahren um rund einen Viertel reduziert werden. Damit erhöht sich indes der russische Anteil: Der Vertrag des teilstaatlichen österreichischen Energieriesen OMV mit der russischen Gazprom enthält eine Abnahmegarantie. Dieses sogenannte Take-or-Pay-Prinzip bedeutet, dass die OMV die vereinbarten Mengen auch dann bezahlen muss, wenn sie das Gas nicht entgegennimmt. Bei sinkendem Verbrauch werden deshalb vor allem Importe aus anderen Ländern zurückgefahren. In absoluten Zahlen ist auch die Einfuhr aus Russland geringer als im Februar 2022.
Der bereits 1968 mit der damaligen Sowjetunion abgeschlossene Energieliefervertrag wurde seither immer wieder verlängert – zuletzt 2018 zum 50-Jahre-Jubiläum vorzeitig bis 2040, obwohl damals Putins völkerrechtswidriges Vorgehen in der Ukraine bereits eine Warnung hätte sein können. Die damals von der Politik gefeierte Vertragsverlängerung zementierte Österreichs Abhängigkeit von Russland auf Jahrzehnte.
Gewessler bezeichnet die Entscheidung heute als Fehler mit schwerwiegenden Folgen. Sie sieht nun gesetzlichen Handlungsbedarf und will mit einer Diversifizierungspflicht die Gasversorger dazu zwingen, jederzeit den Ausfall des grössten Lieferanten durch andere Lieferverträge kompensieren zu können. Zudem sollen sie nachweisen müssen, dass sie den Anteil an nichtrussischem Gas schrittweise erhöhen.
Und schliesslich will Gewessler den Ausstieg aus dem «Knebelvertrag» der OMV mit Gazprom prüfen. Russland habe schon 2022 die Lieferungen einseitig reduziert, und mit dem Auslaufen des Transitvertrags über die Ukraine bestehe erneut die Gefahr, dass es nicht im vorgesehenen Umfang liefere. Sie unterstütze deshalb alle Möglichkeiten einer Vertragsauflösung aufgrund einseitiger Nichterfüllung durch Gazprom, so die grüne Ministerin.
Experten rechnen mit höheren Energiepreisen
Bis im Sommer soll das Wirtschaftsforschungsinstitut die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines solchen Schrittes berechnen. Experten und auch die Österreichische Energieagentur betonen, dass ein Ausstieg aus dem OMV-Vertrag die Energiepreise in die Höhe treiben würde. Das ist politisch heikel in Zeiten, in denen die Inflation im europaweiten Vergleich in Österreich immer noch enorm hoch ist.
Für die Umsetzung von Gewesslers Plänen müsste das Gaswirtschaftsgesetz geändert werden, was einer Zweidrittelmehrheit im Parlament bedarf. Die Regierungskoalition braucht dafür einen Partner, und weil die rechtspopulistischen Freiheitlichen das Vorhaben ablehnen, kommen nur die Sozialdemokraten infrage. Diese verlangen zunächst eine ausformulierte, in der Koalition abgestimmte Vorlage. Tatsächlich ist offen, ob Gewessler die Kanzlerpartei ÖVP von ihrem Vorhaben überzeugen kann – und die Zeit drängt, weil im Herbst Wahlen anstehen. Dass Österreich den vielen Worten der letzten zwei Jahre auch Taten folgen lässt und einen konkreten Plan zum Ausstieg aus russischem Gas beschliesst, ist deshalb fraglich.