In Korea hat wie in anderen ostasiatischen Ländern auch am 29. Januar nach dem traditionellen Mondkalender das neue Jahr begonnen. Es steht im Zeichen der Schlange, der im Gegensatz zum Westen positive wie negative Eigenschaften zugeschrieben werden.
Tiere haben in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Schicksale. Religionen verschonen bestimmte ihnen heilige Tiere, indem sie den Verzehr von deren Fleisch verbieten. Oder sie verbieten umgekehrt den Verzehr, weil das Tier als unrein gilt. Alte Festtagstraditionen können wiederum vorschreiben, welches Tier wann das Leben lassen muss. Gesundheitsbehörden wiederum geben Empfehlungen ab, welches Fleisch man vorzugsweise verspeisen soll, um gesund zu bleiben.
Jenseits von solchen religiösen, kulturellen und wissenschaftlichen Vorgaben, die über Leben und Tod entscheiden, gibt es in jeder Kultur auch eine andere Traditionsschicht, in der Tiere eine wichtige Rolle spielen: In Märchen und Fabeln kommen sie vor, ebenso in religiösen Erzählungen, Gleichnissen und Sternzeichen. Es gibt auch eine grosse Palette von symbolischen Bedeutungen, die man Tieren zuschreibt.
Das Lamm steht in gewissen Ländern für die Unschuld, während die Kuh sich für die Dummheit hergeben muss. Man ordnet Tieren menschliche Eigenschaften zu, um sie dann auf seinesgleichen anzuwenden. Dabei stehen die Tiere bekanntlich jenseits von Gut und Böse. Denn Moral ist eine Kategorie, die den Menschen zukommt. Man braucht ein moralisches Urteilsvermögen, um richtig und falsch unterscheiden zu können.
Doppelt so viele Feiertage
In Korea hat der Fuchs oder vielmehr die Füchsin schlechte Karten gezogen. In vielen Geschichten kommt sie vor, aber auch in Wendungen, die benutzt werden, um Frauen zu beschimpfen. Es ist nicht die Füchsin als reales Tier, sondern die imaginierte neunschwänzige Füchsin, die von Männern wie Frauen gefürchtet wird. Denn sie lockt in schöner Frauengestalt Männer an, um sie dann ins Verderben zu stürzen. Die Geliebte des Ehemannes wird gern als Füchsin bezeichnet.
In Korea hat wie in anderen ostasiatischen Ländern auch am 29. Januar das neue Jahr nach dem traditionellen Mondkalender begonnen. Obgleich Ende des 19. Jahrhunderts der gregorianische Kalender eingeführt wurde, lebt der alte Kalender parallel weiter. So hat man eine kalendarische Verdoppelung, die eine grössere Zahl von Feiertagen beschert. Kein Wunder, dass die Koreaner eine starke emotionale Bindung zum alten System hegen.
Jedes Jahr steht im Zeichen eines Tieres, und diesmal ist die Schlange dran. Sie ist das sechste Glied in den insgesamt zwölf Tierkreiszeichen, die in einer festgelegten Reihenfolge einen Zyklus bilden und immer wiederkehren. Er beginnt mit der Maus und endet mit dem Schwein. Alle bis auf den Drachen sind reale Tiere wie Hase, Schaf, Affe, Pferd, Hund und Kuh.
Das ostasiatische System von Tierkreiszeichen ist nicht so sehr ein astrologisches Konstrukt wie das Horoskop in Europa, sondern stellt einen Teil der komplexen Zeitordnung dar, die sich in Jahr, Monat, Tag und Tageszeit gliedert. Der Fluss der Zeit wird in ein Ordnungsschema gebracht und so habhaft gemacht. Für jede Gemeinschaft ist es essenziell, da sich sonst weder Leben organisieren noch ein Ereignis benennen lässt.
In Korea werden Jahr, Monat, Tag und Stunde der Geburt als die vier Säulen des Lebens bezeichnet, und ihnen wird ein grosser Einfluss auf das Dasein des Einzelnen zugeschrieben. Früher war es üblich, vorweg diese Daten auszutauschen, wenn man heiraten wollte. Für das Wahrsagen sind sie heute noch unentbehrlich.
Die verbotene Frucht des Wissens
Die Schlange hat in den christlichen Ländern ein schlechtes Image. Dass dies bei den alten Griechen anders war, zeigt der Äskulapstab, der als Symbol der Heilkunde heute noch Apotheken ziert. Die Schlange hat nach der biblischen Erzählung die Sünde in die Welt gebracht, indem sie Eva verführte, die verbotene Frucht des Paradiesgartens zu essen. Der Sündenfall begründet die Erbsünde.
Das Christentum verwendet die Schlange, um das Böse in die Welt einzuführen. Da Böses in vielfältiger Gestalt in der Welt existiert, muss jedes religiöse System es in sich integrieren. Die Bibel wies also der Schlange diese unrühmliche Rolle zu. Unzählige Male bildlich dargestellt und immer wieder erzählt, verfestigte sich das negative Image: hinterhältig, unheimlich und böse.
In Ostasien hingegen werden der Schlange positive wie negative Eigenschaften zugeschrieben, welche auf die im Schlangenjahr geborenen Menschen übertragen werden. Sie steht für Weisheit, Urteilsfähigkeit und Veränderung. Denn sie kann geduldig beobachten und warten, bis die Beute nahe ist, um dann schnell und gezielt zuzugreifen. Mit Beharrlichkeit verfolgt sie das Ziel.
Die Schlange symbolisiert auch die Wandlungsfähigkeit, sichtbar an wiederholten Häutungen. Als negativ werden Merkmale wie Übervorsicht, Passivität und Introvertiertheit genannt. Nach der Ankunft des Christentums in Korea verschob sich das Image der Schlange leicht. Nun tritt sie viel häufiger in negativen Bedeutungen auf. Ein heute geläufiger Begriff lautet «Blumenschlange»; er bezeichnet junge Frauen, die sich an ältere und wohlhabende Männer heranmachen, um an ihr Geld zu kommen.
Die Menschen haben, so scheint es, schon immer die Tiere gebraucht, um die Welt zu beschreiben und zu interpretieren. Trotz aller modernen Verfügungsgewalt über sie bleiben wir im Raum des Symbolisch-Sinnhaften auf unsere planetarischen Mitbewohner angewiesen.