In Salzburg präsentiert ein Star-Duo aus Anna Netrebko und Jonas Kaufmann die Ponchielli-Oper «La Gioconda». Das ruft ein paar Gegner der Sängerin auf den Plan, doch der Jubel ist gross. Nur überzeugen kann die Produktion nicht.
Es gibt sie noch, die Anti-Netrebko-Demos. Sie sind zwar kleiner geworden, aber die Protestierenden harren selbst dann wacker aus, wenn in Salzburg wieder einmal der berüchtigte «Schnürlregen» niedergeht. Anlässlich der Premiere von «La Gioconda», einer 1876 an der Scala uraufgeführten, aber ausserhalb Italiens selten gespielten Oper von Amilcare Ponchielli, riefen einige wenige Demonstranten «No Netrebko!»-Parolen vor dem Festspielhaus und schwangen Flaggen der Ukraine.
Die russische Sängerin Anna Netrebko, die wegen ihrer unklaren Haltung zur Politik Wladimir Putins in der Kritik steht, gestaltete die Titelpartie des Vierakters. Für sie war dies nicht nur ein Rollendebüt, sondern zugleich ihr Comeback nach Salzburg. Anders als die institutionell unabhängigen Sommerfestspiele, die seit 2022 von Engagements ihres einstigen Stars absehen, sehen die Verantwortlichen der Osterfestspiele nämlich keine politischen Hinderungsgründe.
Zudem setzt dieser einst von Herbert von Karajan gegründete Festspielableger traditionell auf grosse Namen. Neben Netrebko stand denn auch noch ein weiterer Opernstar auf der Bühne: Jonas Kaufmann. Äusserlich geht das Kalkül auf: Netrebko und Kaufmann sorgen für ein volles Haus und spülen reichlich Geld in die Kasse. Die künstlerische Bilanz der Neuinszenierung fällt dagegen so durchzogen aus wie das Salzburger Wetter.
Gesamtkunstwerk mit Wutbürgern
In der ersten Hälfte hat Netrebko hörbar Mühe in der Höhe. Erst im dritten und vierten Akt blüht die Stimme richtig auf. Netrebkos Timbre ist tiefer und dunkler geworden, das passt hier vortrefflich. Und sie macht hörbar, wie sehr die Gioconda zwischen Rachegelüsten aus unerwiderter Liebe und Opferbereitschaft schwankt. Dagegen bleibt Kaufmanns Rollenporträt des Fürsten Enzo Grimaldo durchwegs matt und blass. Der erwartete Glamour – er will sich nicht so recht einstellen.
Ganz anders der Eindruck am Vortag: Hier scheint in Bachs Johannes-Passion, die in einer szenischen Adaption der Berliner Tanzpionierin Sasha Waltz in der Felsenreitschule gezeigt wird, auch künstlerisch die Sonne. Für diese Uraufführung hat Waltz die Johannes-Passion nicht einfach vertanzt, sondern zu einem packenden Gesamtkunstwerk geformt. Alle Mitwirkenden werden Teil eines grossen Ganzen, sowohl die elfköpfige Tanzkompanie Sasha Waltz & Guests wie auch die unter Leonardo García Alarcón musizierende Cappella Mediterranea und die Chöre aus Namur und Dijon. Einzelne Choristen singen aus dem Zuschauerraum heraus, und eingehüllt in diesen Surround-Klang, wird man selber Teil des Geschehens.
Gleich zu Beginn sitzen die Tänzer nackt an Nähmaschinen und nähen weisse Gewänder: ihre eigenen Totenhemden. Zu Beginn des zweiten Teils hämmern sie laut auf Holzblöcke: die drastische Vorwegnahme der Kreuzigung Jesu. Die Passionsgeschichte selbst wird von einem vorzüglichen Solistensextett erzählt: ergreifend Valerio Contaldo als Evangelist und der Pilatus von Georg Nigl, eine Entdeckung ist die Sopranistin Sophie Junker. Wenn einzelne Musiker aus dem Orchester in die Szene treten, allen voran der gleichzeitig Geige spielende und tanzende Yves Ytier, findet das Treiben auf der Bühne für einen kurzen Moment zu kontemplativer Ruhe.
Waltz schärft den Fokus auf das Volk, das immer mehr zum wütenden Mob mutiert – und diese «Wutbürger», das macht die Sache unbequem und bedrängend, könnten genauso gut Menschen unserer Zeit sein. Über diese kritische Betrachtung des Volks ergab sich wiederum ein unerwarteter Bezug zur «Gioconda»-Produktion.
Rettung aus dem Orchester
Dort rächt sich der venezianische Spitzel Barnaba (Luca Salsi) an der Titelheldin, weil sie sich seiner Begierde widersetzt. Dazu verleumdet er deren blinde Mutter (Agnieszka Rehlis) als Hexe. Die Bürger Venedigs schleppen die Alte prompt zum Scheiterhaufen. Erst in letzter Sekunde wird sie gerettet: von Laura, fesselnd dargestellt von Eve-Maud Hubeaux, die eigentlich die Rivalin von Gioconda und die heimliche Geliebte Enzos ist. Liesse Lauras Ehemann, der von Tareq Nazmi eindrücklich dargestellte Inquisitionsbeamte Alvise Badoero, nicht Gnade walten, es käme wohl zu jener unheilvollen Rückverwandlung der aufgepeitschten Menge in eine «Urhorde», wie sie Sigmund Freud 1921 in seinem Essay «Massenpsychologie und Ich-Analyse» skizziert hat.
Hier hätte die Regie weiterdenken können. Oliver Maers, der Leiter der koproduzierenden Royal Opera in London, setzt den Fokus jedoch anders. In seiner Lesart ist Gioconda als Kind von ihrer Mutter zur Prostitution gezwungen worden. Zu den Freiern gehörte auch Barnaba, ihr späterer Widersacher. Sie ist traumatisiert, wird mit Elektroschocks behandelt; der Arzt entpuppt sich jedoch wiederum als Barnaba. Selbst in der berühmten Balletteinlage, dem oft unabhängig von der Oper aufgeführten «Tanz der Stunden», wird Missbrauch zum Thema gemacht. Szenisch schlüssig durchgeführt ist das alles freilich nicht.
Gerettet wird der Abend musikalisch: durch den Dirigenten Antonio Pappano sowie den Chor und das Orchester der Accademia di Santa Cecilia aus Rom. Pappano trägt die Stimmen durch das Geschehen, das er immer wieder zu glühender Leidenschaft aufpeitscht, ohne dass darunter die Differenzierung leidet. En passant zeigt dieses Gastspiel auch, welchen Reiz solche Partnerschaften mit wechselnden Ensembles entwickeln können. Seit der Festivalintendant Nikolaus Bachler die Residenz der Sächsischen Staatskapelle mit Christian Thielemann 2022 auslaufen liess, arbeiten die Osterfestspiele nämlich mit unterschiedlichen Orchestern zusammen, die den Produktionen jeweils eine ganz eigene Farbe verleihen.
Im nächsten Jahr werden Esa-Pekka Salonen und das Finnish Radio Symphony Orchestra in Salzburg gastieren. Erst 2026 kehren die Berliner Philharmoniker zu den Osterfestspielen zurück, die sie nach der Gründung 1967 bereits 45 Jahre lang, bis 2012, mitgestaltet haben. Diese Rolle rückwärts mag die hier besonders ausgeprägte Nostalgie und das Bedürfnis nach grossen Namen bedienen – künstlerisch ist man mit dem derzeitigen Modell allerdings viel offener und mutiger.