Das Museum Tinguely widmet dem Pionier der Sky Art eine Ausstellung.
So vergänglich kann ein Kunstwerk sein: Otto Pienes Grossinstallation «Black Stacks Helium Sculpture» währte gerade einmal ein paar Stunden. Am 30. Oktober 1976 schwebten die vier roten Polyethylenschläuche über den Schloten des Heizkraftwerks Southeast Steam Plant in Minneapolis. Der Künstler selbst hatte alles vor Ort überwacht und mit zahlreichen Helfern realisiert. Neunzig Meter lang und mit Helium gefüllt: wie ein Mahnmal oder auch eine Art Provokation. Noch am selben Tag war das Spiel zu Ende. Ganz nach amerikanischer Art wurde das luftige Werk mit Schüssen vom Himmel geholt. Piene beliess es dabei. Es fand kein zweiter Versuch der Installation statt.
Immerhin hatte der Künstler ein Zeichen gesetzt – weit sichtbar wie eine schnell verwehte Rauchschrift am Himmel. «Black Stacks Helium Sculpture» mit ihrem erkennbaren Bezug zur industriellen Luftverschmutzung ist in mancher Hinsicht singulär in Pienes Werk. Er gab wohl Statements zur Ausbeutung und Zerstörung der Umwelt ab, sah seine Arbeiten aber immer als positive Zukunftsvisionen. Aus Pienes Sicht war mit einer quasi künstlerisch inspirierten Technologie alles machbar. So wollte er Abluft aus Fabrikschloten mit riesigen Filterbeuteln einsammeln und reinigen lassen, um sie schliesslich als farbige Ströme ins Meer zu leiten. Solche heute weltfremd erscheinenden Ideen sind nur aus einem grundsätzlich technikaffinen Denken heraus verständlich.
Vision einer besseren Welt
Der 1928 im westfälischen Laasphe geborene Künstler gehörte zur Generation, die noch unmittelbar von den Eindrücken des Zweiten Weltkriegs geprägt war. Mit 15 Jahren wurde er als Flak-Helfer in der deutschen Luftwaffe eingesetzt. In Reflexionen zu seiner Kunst kam er immer wieder auf die Schrecken des Bombenkriegs und die Explosionen am nächtlichen Himmel zurück. Es war eine Schlüsselerfahrung für ihn, die bei aller Bedrohung auch Faszination aufwies. Wenn man will, kann man darin den Ausgang für die beiden wichtigsten Impulse seiner Kunst sehen: Piene wollte die Vision einer besseren Welt realisieren und zugleich die Errungenschaften der Moderne nutzen. Zwischen Kunst und Technologie gab es für Piene keinen Widerspruch.
Zunächst aber musste der Neuanfang der Kunst gemacht werden. Das geschah mit Zero, der 1958 von Piene mit dem Künstler Heinz Mack gegründeten Gruppe. 1961 trat noch Günther Uecker hinzu. Zero – das war die «Stunde null» einer Kunst, die sich vom Ballast der Vergangenheit befreit und zu neuer Reinheit aufgeschwungen hatte. Zero stand für Licht, Luft, Bewegung. Es war das Erbe der kinetischen Kunst, erweitert um den Aussenraum und eine Ästhetik des Immateriellen. Mit Zero waren die Grundkonstanten von Pienes gesamtem Werk formuliert. Insbesondere das Licht war für ihn das Medium der Vitalität, die Lebensquelle, aus der sich seine Kunst speiste.
So ist die von Piene in den 1960er Jahren entstandene Kunst die interessanteste seines Schaffens. Es erstaunt nicht, dass die jetzige Ausstellung im Basler Museum Tinguely ihren Schwerpunkt auf diese Phase legt. Es war die Zeit von Pienes Experimenten: Er liess rotierendes Licht durch Raster fliessen und setzte damit den Raum in Schwingung. Er schuf Zeichnungen mit Rauch und Feuer und formte aus Beleuchtungskörpern skulpturale Installationen. Was sich in diesen Werken manifestiert, ist die Freude an der Beweglichkeit der Kunst, ein Spiel mit den Möglichkeiten ihrer Entgrenzung.
Bewegt und überaus lebendig sind auch die Entwurfs- und Ideenskizzen, mit denen Piene alle seine Arbeiten begleitete. Er trug sein Zeichenheft stets bei sich, es war das portable Medium seiner Inspiration. Die Ausstellung setzt diese Blätter in allen Räumen in Beziehung zum Werk. In dieser Spiegelung von Idee und raumgreifender Installation wird deutlich, wie zentral die Linie für den Künstler ist. Piene zeichnet immer – mit dem Stift, mit dem Licht, mit der Luft. Die Linie ist Grundkonstante seines Arbeitens: von der ersten Idee auf dem Papier bis zum Einschreiben in den Himmel.
Mit Kunst Zeichen setzen
Es war konsequent, dass Piene letztlich den Luftraum für seine Arbeiten nutzen wollte. Die sogenannte Sky Art ist seine Entwicklung. Ab 1968 war er hauptsächlich in Amerika tätig, zunächst als Professor am Massachusetts Institute of Technology, später als Direktor des dortigen Center for Advanced Visual Studies. Die Offenheit der Institutionen für Technologie und die neue Freiheit der künstlerischen Räume kamen ihm entgegen. Immer weiter wurde das Ausgreifen in den Himmel, immer grösser die mit Helium und Luft betriebenen Skulpturen. Piene spannte gigantische Bänder zwischen Hochhäusern, schuf riesige Bögen über Wasser und Land, schrieb mit Laserstrahlen Figuren in den Nachthimmel. Die begrenzte Dauer dieser Aktionen war Teil der Sky Art.
Der in Amerika entstandene Teil von Pienes Werk ist weniger bekannt. Die Installationen der Sky Art und Environmental Art waren ephemer und sind durch Fotografien und Filme dokumentiert. Es ist auch der problematische Teil seines Werks. Die Erscheinung seiner «Inflatables» wirkt heute eher befremdlich, zumal der Künstler die luftgefüllten, wabernden Kunststoffskulpturen als Zeichen seiner Naturverbundenheit in der Landschaft platziert. Selbst wenn man Pienes Begeisterung für das technisch Machbare bedenkt, kann man diesen Seeanemonen und anderem Getier wenig Kunstwert abgewinnen, geschweige denn eine positive Vision für die Zukunft darin sehen. Ästhetisch wie inhaltlich kommt einem die Vermüllung durch Plastik in den Sinn.
Pienes Kunst steht für eine vergangene Epoche. Das Pathos seiner Statements macht es schwer, ein kritisches Bewusstsein zu erkennen. Was bleibt, ist schliesslich, dass er die Kunst entgrenzen und mit ihr Zeichen setzen wollte. In diesem Sinn können seine Ideen fortwirken.
«Otto Piene. Wege zum Paradies», Museum Tinguely, bis 12. Mai. Katalog Fr. 47.–.