Mit 27 hat sich der einstige Luftikus zum Goalgetter gewandelt. Nun soll Dembélé Paris Saint-Germain in den Champions-League-Final schiessen – im Hinspiel hat er bereits getroffen.
Vor dem wichtigen Champions-League-Match am Mittwochabend erfüllt tout Paris eine Frage mit Sorge: Wie geht es dem rechten Oberschenkel von Ousmane Dembélé? «Hoffnung», titelte die Sportzeitung «L’Équipe», und tatsächlich: Der Offensivspieler von Paris Saint-Germain konnte am Dienstag vor dem Halbfinalrückspiel gegen Arsenal (ab 21 Uhr) wieder normal trainieren.
Das Hinspiel in London hatte Dembélé vor einer Woche mit seinem Tor zum 1:0 entschieden, so wie seine Treffer PSG schon eine wacklige Gruppenphase sowie das Spitzenduell im Achtelfinal gegen Liverpool überstehen liessen. Dembélé ist der Mann für die kniffligen Momente, derjenige, auf den alle schauen.
Und das mag dann doch überraschen.
Plötzlich trifft Dembélé in jedem Spiel
Ousmane Dembélé war nämlich lange so etwas wie Frankreichs schwierigster Fussball-Patient. So talentiert und vielseitig, dass er bei seinen ersten Spielen für Stade Rennes auf Anhieb verblüffte; dass er in seiner ersten vollen Saison als Profi bei Borussia Dortmund gleich zum Hingucker des Teams avancierte, das den DFB-Cup gewann; dass ihn der FC Barcelona danach sogar seinem Landsmann Kylian Mbappé vorzog und für rund 140 Millionen Euro aus dem Vertrag herauskaufte. Aber auch so sprunghaft und konfus, dass er letztlich nie zum zuverlässigen Leistungsträger avancierte: nicht in Barcelona, nicht in Frankreichs Nationalteam und nach dem Wechsel 2023 in seine Geburtsregion Paris vorerst auch nicht im PSG. In der vergangenen Saison erzielte er in 42 Spielen bloss 6 Tore.
6 Tore? Schiesst Dembélé neuerdings im Schnitt pro Monat. 25 Mal hat er seit Jahresbeginn für PSG getroffen – in ebenso vielen Spielen. Seine Torquote (vorher: 76 in 326 Klub-Pflichtspielen) hat er damit mehr als vervierfacht – es ist eine der rasantesten Metamorphosen der jüngeren Fussballgeschichte.
Dass Spieler ihre Finisherqualitäten nach und nach verfeinern, ist nicht ungewöhnlich. Nicht einmal Cristiano Ronaldo und Lionel Messi begannen ihre Karriere sogleich als jene Goalgetter, die sie später wurden. Aber Dembélé ist bereits 27 Jahre alt, und hinter ihm liegt eine Dekade voller Hemmungen. Vor dem Tor schien er durch seine unvorhersehbaren Dribblings sich selbst zuweilen noch mehr zu verwirren als die Gegner.
Selbst im ersten Drittel der laufenden Saison war Dembélé oft noch der gewohnte Chancentod: In der Champions League totalisierte PSG nach 5 Spielen mickrige 3 Tore; der rechte Flügel Dembélé war mit 16 erfolglosen Torschüssen der Spieler mit der geringsten Effizienz im gesamten Wettbewerb.
Und dann? Beschloss der Trainer Luis Enrique, dem Malaise seiner Equipe mit einer Schocktherapie zu begegnen: Er schaffte den Mittelstürmer ab, schickte Randal Kolo Muani leihweise zu Juventus Turin – und setzte Gonçalo Ramos trotzdem meist auf die Bank. Dafür griff der Spanier auf die in seiner Heimat entwickelte und von ihm auch als Nationaltrainer bereits verordnete sogenannte falsche Neun zurück – einen Mittelstürmer, der eigentlich keiner ist, die Innenverteidiger durch seinen grösseren Aktionsradius aus ihrer Position zieht und so Räume für die Mitspieler öffnet.
Enriques Wahl für diese Rolle fiel auf den bisherigen Aussenstürmer Dembélé. Dank seiner Mobilität, Kreativität und seinem oft unterschätzten Spielverständnis ist er wie geschaffen für den «falschen» Teil der Neun. Schon zu Dortmunder Zeiten unter Thomas Tuchel brillierte er oft in zentraler Position, wenngleich hinter den Spitzen. Dass er nun auch die «echte» Funktion einer Neun übernimmt, also als Goalgetter reüssiert – damit hatte niemand gerechnet. Doch es passt zum ewigen Mysterium Dembélé.
Der übermässiger Bescheidenheit unverdächtige Luis Enrique hätte also allen Grund, sich für die Metamorphose des einstigen Problemkinds als Taktik-Genie feiern zu lassen. Doch als der Trainer im Februar von seiner «besten Entscheidung der Saison» sprach, meinte er eine andere Massnahme in Bezug auf Dembélé: Vor einem Gruppenspiel just gegen Arsenal strich er den Angreifer aus dem Aufgebot, nachdem ihm eine «egoistische» Aktion von Dembélé im Ligaspiel zuvor gegen Rennes missfallen hatte und es danach zu einer Diskussion zwischen den beiden gekommen war. «Das war sehr wichtig», so Enrique über seine Sanktion. «Den Rest hat er dann ganz alleine gemacht.»
Die Strafe verstand der Trainer als freundlichen, aber auch ultimativen Weckruf. Nicht minder als seine Schludrigkeit vor dem Tor hatten an Dembélé stets seine Disziplinlosigkeiten irritiert. In Dortmund trat er in den Trainings-Streik und hinterliess sein Haus in erbärmlichem Zustand, wie der Boulevard berichtete. In Barcelona brachte er den Verein mit seiner Vorliebe für Fast Food und nächtlichen Zocker-Sessions mit der Playstation auf die Palme. Folgen dieses nachlässigen Lebenswandels waren nicht nur mangelnde Konzentration, sondern auch häufige Verletzungen.
Seine neue Seriosität beugt Verletzungen vor
Doch mittlerweile gibt sich Dembélé seriös. «Ich habe viele Dinge geändert, was die Vorbeugung von Verletzungen betrifft», sagte er vor dem Viertelfinalrückspiel in der Champions League gegen Aston Villa. Klubverantwortliche nannten etwa spezifische Präventions- und Aufwärmprogramme. «Auch wenn ich physisches Training nicht sonderlich mag, versuche ich, daran Spass zu finden, weil ich weiss, dass es meinen Leistungen hilft», sagte Dembélé. «Das zahlt sich aus, ich fühle mich sehr wohl in meinem Körper.»
All das ermöglicht ihm, den Aufwand im körperlich anspruchsvollen Fussball von Luis Enrique hoch zu halten und trotzdem noch über genügend Frische beim Torabschluss zu verfügen. Dembélé hat seine Spitzengeschwindigkeit gesteigert und seine intensiven Pressing-Aktionen im Vergleich zu seiner Zeit bei Barça verdoppelt.
Mit 18 Millionen Euro Bruttolohn ist Dembélé der bestbezahlte Spieler der Ligue 1, seit Kylian Mbappé PSG verlassen hat. Der heutige Real-Spieler verdiente schon ohne seine sagenumwobenen Zusatzprämien das Vierfache. Doch nun ist es Dembélé, der Paris zum ersten Champions-League-Sieg führen könnte. Und derjenige Fussballer, der als erster Franzose seit Zinedine Zidane den Ballon d’Or gewinnen könnte.
Mit 27 scheint Ousmane Dembélé endlich dort angekommen, wohin zu gehören ihn sein Talent schon immer vermuten liess: in der obersten Elite seines Sports.