Der tiefe Fall des Grammy-Gewinners und Multimillionärs Sean Combs.
Breitbeinig sitzt er da, auf dem Sessel einer Late-Night-Show, mit Diamantohrringen, Silberkette und Baseball-Shirt. Ein typischer Rapper, nichts Aussergewöhnliches. Doch was er sagt, irritiert sogar den Host der Sendung, der sonst um kein Wort verlegen ist.
«Wir brauchen Alkohol», sagt der Rapper. «Wir brauchen Wasser, Frauen mögen Wasser. Wenn du ihnen nicht gibst, was sie wollen, gehen sie. Aber du musst sie bei dir behalten. Du brauchst Schlösser an den Türen.»
Derjenige, der da spricht, ist Sean Combs – besser bekannt als Puff Daddy oder P. Diddy. Er ist Musiker, Hip-Hop-Produzent, und bereits zu dieser Zeit einer der mächtigsten Männer im Showbusiness. Es ist das Jahr 2002, Combs ist gerade zu Gast in der TV-Show von Conan O’Brien und antwortet auf die Frage, was das Geheimrezept seiner berüchtigten Partys sei.
Fazit: schöne Frauen, Alkohol und Schlösser an den Türen.
Conan O’Brien ist etwas perplex und sagt: «Okay, das klingt jetzt etwas gefährlich.»
Combs rudert mit den Armen und antwortet: «Hey, es ist ein wenig ‹kinky›.» Dann führt er die Liste weiter: «Du brauchst viel Hitze. Kein Air-Conditioning. Hitze hat einen Effekt auf den Alkohol, so werden alle etwas entspannter und lassen sich gehen. So kommen alle etwas ins Schwitzen.»
O’Brien: «Das klingt einfach nur widerlich.»
Combs: «Hängt davon ab, wie man es betrachtet.»
Das war 2002. Was Sean Combs da unverblümt beschreibt, sind sogenannte Freak-offs: mehrtägige Sexorgien, für die der Musikmogul berüchtigt war. Schon in den Neunzigern gab es Gerüchte, dass diese Partys abgründig seien, dass dort nicht alles mit rechten Dingen zugehe. Es dauerte aber fast dreissig Jahre, bis an die Öffentlichkeit gelangte, was an diesen Freak-offs wirklich passiert ist.
Vergangene Woche hat die Polizei Sean Combs in der Lobby eines New Yorker Luxushotels verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Dinge vor, die man sonst von einem Profi-Gangster erwarten würde, aber nicht von einem berühmten Musiker: Menschenhandel, organisierte Kriminalität, sexuelle Gewalt, Vergewaltigung.
Seine Opfer seien mit falschen Versprechungen an seine Freak-offs gelockt worden. Man habe sie mit Drogen betäubt und zu Geschlechtsverkehr gezwungen. Sean Combs habe die Regie geführt und dazu masturbiert. Es seien regelrechte Sex-Vorführungen gewesen, mit viel Drogen und Alkohol, manchmal auch mit Gewalt. Oft dauerten sie mehrere Tage. Combs selbst bestreitet alle Vorwürfe.
Der Fall erinnert an Epstein, an Weinstein, an Michael Jackson, R. Kelly oder Bill Cosby. Zwar sind diese Fälle alle unterschiedlich. Was sie aber eint, ist der Machtmissbrauch berühmter Menschen aus der Show-Industrie.
Im Gegensatz zu ihnen ist Sean Combs lange unbehelligt geblieben. Er hat ein System des Schweigens und der Angst aufgebaut – nicht zuletzt mit versteckten Videoaufnahmen seiner Freak-offs, mit denen er Opfer wie auch Partygäste erpresst haben soll.
Jahrzehntelang hat dieses System gut funktioniert. Bis zum 16. September 2024, als der mächtige Mann verhaftet wurde – und damit der Niedergang des Multimillionärs besiegelt war.
Eine Karriere mit Abgründen
Dass Sean Combs einmal weltberühmt werden würde, war kaum abzusehen. 1969 geboren, wuchs er im New Yorker Stadtteil Harlem auf, einer Gegend, die damals geprägt war von Arbeitslosigkeit, Gewalt und Crack. Die Mutter war Model und schulische Hilfskraft, der Vater Drogendealer. Er wurde erschossen, als Combs zwei Jahre alt war.
Schon als Kind hatte Sean Probleme, seine Aggressionen zu kontrollieren. Daher kommt auch sein erster von vielen Künstlernamen: Puff Daddy. Er stammt vom englischen Sprichwort «to huff and puff», zu Deutsch: keuchen und schnaufen. Im übertragenen Sinne: sich lautstark ärgern.
Dennoch schaffte er es bis an die Universität, wo er Betriebswirtschaftslehre studierte. Nach ein paar Semestern brach er aber ab – und begann das zu tun, wofür er später berühmt werden würde.
Combs erhielt einen Job als Musikproduzent bei Uptown Records, einem einflussreichen Plattenlabel in New York. Er arbeitete mit bekannten Künstlern zusammen. Dann gründete er sein eigenes Label: Bad Boy Records – der Grundstein für seinen Erfolg.
Namhafte Rapper und R&B-Grössen waren bei ihm unter Vertrag: Faith Evans, Mase oder The Notorious B.I.G. Letzterer wurde im Jahr 1997 erschossen – wohl als Folge des gewaltsamen Konflikts zwischen Rappern der Ost- und der Westküste der USA.
Die Ermordung von Notorious B.I.G. führte dazu, dass Sean Combs selbst zu rappen begann. Mit «I’ll Be Missing You», einer Coverversion von «Every Breath You Take» der Band The Police, schrieb er eine Hymne auf den toten Musiker – und landete damit einen Hit, den man auch heute noch im Radio hört. Das dazugehörige Album «No Way Out» wurde über sieben Millionen Mal verkauft und mit einem Grammy ausgezeichnet.
Sean Combs war damit auf dem Rap-Olymp angekommen. Doch bereits zu dieser Zeit taten sich Abgründe im Leben des Superstars auf.
Verhaftet – zusammen mit Jennifer Lopez
Es ist der 27. Dezember 1999, als Sean Combs mit seiner damaligen Freundin Jennifer Lopez in einem New Yorker Nachtklub feiert. Dann kommt es zu einem Streit, Pistolen werden gezückt, Schüsse abgefeuert, am Ende sind drei Menschen verletzt – und das Promi-Paar wird verhaftet.
Es bleibt unklar, ob auch Combs geschossen hat. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn dennoch an, wegen Waffenbesitzes und versuchter Bestechung. Er soll Zeugen Bargeld angeboten haben, damit diese nicht aussagen. Die Beweise der Staatsanwaltschaft reichten aber nicht aus, das Gericht sprach den Rapper ein paar Monate später frei. Kurz danach trennten sich Combs und Lopez.
Für einige würde ein solcher Vorfall das Karriereende bedeuten. Bei P. Diddy, wie er sich jetzt nennt, geht es hingegen immer weiter nach oben. Er gründet das Modelabel Sean John, gewinnt Preise für seine Kollektionen, er investiert in Wodka- und Tequila-Brands, ruft einen TV-Sender ins Leben und entdeckt in einer Casting-Show neue Musiktalente.
Combs schafft es ins Guinness-Buch als erfolgreichster Rap-Produzent, gewinnt zahlreiche Musikpreise und hat im Jahr 2022 ein Vermögen von geschätzt einer Milliarde Dollar.
Nach aussen zeigt er sich als erfolgreicher Geschäftsmann, als Superstar und manchmal sogar als Wohltäter, der grosszügige Beträge spendet. Privat hingegen zeigt Combs ein anderes Gesicht.
Die deutsche Musikmanagerin Eva Ries hat lange im Hip-Hop-Business gearbeitet und kennt den Superstar persönlich. Sie bezeichnet ihn im «Spiegel» als Chamäleon, das als Gentleman auftreten und mit den höchsten Kreisen verkehren könne, aber auch ein echter Street-Gangster sei – «rough und tough mit guten Verbindungen ins kriminelle Milieu». «Huff and puff».
Und dann ist da noch diese dritte Seite: die mit den Freak-offs. Ries sagt es so: «Im Hip-Hop ist Puffy das Äquivalent zu Weinstein.»
Wie abgründig diese Seite wirklich sein könnte, zeigte sich im November 2023.
Combs’ langjährige Freundin Casandra Ventura gab einen verstörenden Einblick ins Innenleben des millionenschweren Unternehmers. Die R&B-Sängerin, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Cassie, beschreibt in ihrer Klage die Freak-offs als Albtraum: Der Rapper habe die siebzehn Jahre jüngere Frau mit Drogen sediert, habe ihr befohlen, sich auf den Partys mit Öl einzuschmieren und mit anderen Männern Sex zu haben, während er dabei zusah und sich befriedigte. All das soll er gefilmt haben.
In ihrer Klage schreibt Ventura, Combs habe sie oft geschlagen, getreten und sei auf ihr herumgetrampelt. Während ihrer Beziehung habe sie gelernt, sich in diesen Situationen zu distanzieren, sich dem Mann blind zu unterwerfen, um weitere Schläge zu vermeiden. Im Oktober 2018 trennten sich die beiden.
Sean Combs selbst streitet alle Vorwürfe ab. Mit seiner Ex-Freundin einigte er sich schnell aussergerichtlich, die Klage wurde fallengelassen. Über die Höhe des Vergleichs wurde Stillschweigen vereinbart. «Case closed».
Bis zum letzten Mai.
Der Zusammenbruch
Der TV-Sender CNN machte ein Video publik, das die Vorwürfe Venturas zu stützen scheint. Es stammt von einer Überwachungskamera eines Hotels in Los Angeles.
Eine Frau läuft eilig zu einem Aufzug – verfolgt von einem Mann, der nur mit einem Tuch bekleidet ist. Dieser Mann reisst die Frau brutal zu Boden und tritt auf sie ein. Dann packt er sie und schleift sie zurück zum Gang. Später bedrängt er sie weiter und wirft eine Vase nach ihr.
Schnell wird klar: Der Mann ist Sean Combs. Die Frau Cassandra Ventura. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2016, als die beiden noch zusammen waren.
Combs gerät öffentlich in Bedrängnis. Der Druck ist am Ende so gross, dass er sich mit einem Video auf Instagram entschuldigt. Doch damit kann er seinen eigenen Untergang nicht mehr aufhalten.
Ermutigt von Venturas Vorgehen, haben bis heute über zehn weitere Personen den Musikboss verklagt. Ihre Vorwürfe klingen alle ähnlich: Es geht um Vergewaltigungen, um Missbrauch, um verabreichte Drogen.
Eine dieser Personen war gerade einmal siebzehn Jahre alt. In ihrer Klage erzählt die Frau, dass sie 2001 von einem Mitarbeiter von Combs eingeladen worden sei, mit einem Privatjet nach New York zu fliegen, um dort den Rap-Produzenten kennenzulernen. In seinem Studio soll sie anschliessend von drei Männern vergewaltigt worden sein – auch von Combs selbst. Die Frau sei erst wieder zu sich gekommen, als sie auf dem Boden eines Badezimmers in Fötusstellung aufgewacht sei.
Die meisten dieser Vorwürfe stammen von Frauen. Aber auch ein Mann hat Klage eingereicht: der Produzent Rodney Jones. Als er zusammen mit dem Rapper an seinem letzten Album arbeitete, das 2023 erschienen ist, soll er laut eigenen Angaben unter Drogen gesetzt und zu Sex mit Prostituierten gezwungen worden sein. Zudem sei Combs auch ihm gegenüber sexuell übergriffig geworden.
1000 Flaschen Babyöl und Gleitmittel
Noch sind das alles Vorwürfe, noch streitet Sean Combs alles ab. Doch bereits jetzt scheint sein Ruin besiegelt. Bei einer Hausdurchsuchung im März in seinen Villen in Los Angeles, New York und Miami fanden die Behörden Betäubungsmittel, halbautomatische Gewehre ohne Seriennummern, Munition – sowie 1000 Flaschen Babyöl und Gleitmittel.
Combs musste als Vorsitzender seines TV-Senders zurücktreten, die Ehrendoktorwürde seiner Universität wurde ihm entzogen, und New Yorks Bürgermeister forderte den «Schlüssel zur Stadt» zurück – ein symbolisches Geschenk an Menschen, die sich besonders für die Metropole eingesetzt haben.
Nach seiner Verhaftung im Luxushotel sitzt Sean Combs nun in Untersuchungshaft, und zwar in einem Gefängnis, wo bereits Prominente mit ähnlicher Vergangenheit eingesperrt waren: R. Kelly, verurteilter Sexualstraftäter, oder Ghislaine Maxwell, Komplizin des verurteilten Sexualstraftäters Jeffrey Epstein.
Sean Combs könnte nun der Nächste sein.