Aus Gaza und anderen palästinensischen Gebieten kursieren Tausende Videos, die kämpfende Kinder, tote Palästinenser und weinende Frauen zeigen. Die Hamas profitiert von den Bildern.
Mr. Fafo schiebt einen Patienten in ein MRT. Mr. Fafo hält ein kleines Mädchen im Arm. Mr. Fafo trägt einen Pressehelm. Mr. Fafo schreit am 7. Oktober begeistert ob der Befreiung Palästinas in die Kamera. Mr. Fafo weint Tage später ob der fehlenden Befreiung Palästinas in die Kamera. Schliesslich kam es bald zum israelischen Gegenschlag, den jeder mit einem gesunden Menschenverstand hätte vorhersagen können.
Nicht so Mr. Fafo. Es gibt wohl kaum einen Bewohner Gazas, der bekannter ist für seine vielzähligen Berufe und emotionalen Zustände als Saleh Aljafarawi. Sein Spitzname basiert auf zwei Kürzeln: FA und FO. Übersetzt heisst das: fuck around and find out. Er hat 4,5 Millionen Instagram-Follower. Das ist etwa ein Drittel der gesamten jüdischen Weltbevölkerung.
Inszeniertes Bildmaterial für die internationale Presse
Sein erstes hochgeladenes Foto stammt vom 7. August 2022. Dort sieht man Aljafarawi, wie er die palästinensische Flagge in der Hand hält und ein Selfie von sich macht. Bilder sagen mehr als tausend Worte. Das haben palästinensische Terrororganisationen schon vor langer Zeit verstanden. Seit rund zwanzig Jahren existiert deshalb auch der Schmähbegriff «Pallywood». Ein Kofferwort, das aus den beiden Begriffen «Hollywood» und «Palestine» zusammengesetzt ist.
Es erscheint zum ersten Mal 2002 im Internet und erreicht ab 2005 grössere Verbreitung durch eine 18-minütige Dokumentation des amerikanischen Historikers und jüdischen Aktivisten Richard Landes. In dieser Dokumentation sieht man, was «Pallywood» in der Realität bedeutet: für die internationale Presse inszeniertes Bildmaterial, in propagandistischer Absicht produziert.
Dafür braucht es eine Handvoll israelischer Soldaten, mindestens einen verwundeten Palästinenser, einen Krankenwagen, der blitzschnell zur Stelle ist, und andere Palästinenser, die den Verwundeten schnell, aber liebevoll auf eine Bahre schleppen. «Schaut hin», so lautet die implizite Botschaft, «hier geschieht Unrecht. Hier kämpft David gegen Goliath und erliegt.» Es gibt aber auch die andere Erzählung, nämlich wie David mutig genug ist, gegen Goliath aufzubegehren. Das sind oft Aufnahmen mit Kindern. Sie attackieren israelische Panzer mit Steinen oder fuchteln mit einer palästinensischen Flagge vor einem israelischen Soldaten herum.
«Los, erschiesst ihn. Erschiesst ihn!»
Eines der bekanntesten Videos zeigt einen Vater mit seinem Sohn. Er schickt den kleinen Jungen vor, während jemand filmt. Eine Gruppe israelischer Soldaten steht herum, und der Vater ruft: «Los, erschiesst ihn. Erschiesst ihn! Lasst sie den Jungen erschiessen.» Aber keiner schiesst. Der israelische Soldat gibt dem Knaben ein High Five, im Hebräischen heisst das «Kif», und es ist eine beliebte Aufforderung, die Erwachsene an Kinder stellen.
Es gibt Tausende solcher Videos. Manche sind blosse Inszenierungen, die es als Wahrheit in die Presse geschafft haben. Andere sind echt, sie zeigen echtes Leid, Verzweiflung und echte Tote. Das Ziel ist aber immer das gleiche: Es geht darum, zu manipulieren. Emotionen im Zuschauer auszulösen und damit eine Geschichte zu erzählen. Mit jedem blutüberströmten Kind kassieren die Terrororganisationen Geld. Leid als Einnahmequelle, besser als Drogenhandel und Waffenschmuggel. Die Leidtragenden sind die Unschuldigen, die Zivilisten, jene, die einfach nur in Ruhe leben wollen, ohne Terror und Krieg.
Wenn aber die Bilder Geld bringen, gibt es keinen Grund, aufzuhören mit dem Terror. Und mit dem Krieg. Auch auf Mr. Fafos alias Aljafarawis Instagram-Account sieht man Szenen weinender oder blutender Menschen. Diese sind immer umringt von der «Presse». Das sind Personen, die eine blaue Presseweste tragen und ein Handy in der Hand halten. «Presse» bedeutet oft nur, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein und dann die Videos oder Fotos für ordentlich viel Geld an Nachrichtenagenturen zu verkaufen.
Genozid-«Beweise» beinahe im Minutentakt
Denn «Pallywood» bedeutet nicht nur inszenierte Fotos und Videos. «Pallywood» ist das strategische Geschichtenerzählen mit Fotos und Videos. Geklappt hat das besonders gut am 7. Oktober. Die Hamas überschwemmte das Internet mit Go-Pro-Aufnahmen ihres Massakers. Menschen auf der ganzen Welt teilten die Bilder und Videos, in denen zu sehen war, wie unschuldige Zivilisten entführt, ermordet und hingerichtet wurden. «By all means necessary» – Befreiung mit allen Mitteln soll das heissen, und es gilt als Leitspruch der propalästinensischen Gruppierungen im Westen.
Eines dieser Bilder gewann sogar einen Preis, es wurde zum Foto des Jahres gekürt vom prestigeträchtigen Reynolds-Institut. Zu sehen ist die tote Israelin Shani Louk. Ihr Körper liegt, entstellt und nackt, auf einer Ladefläche eines Transporters. Sie ist umringt von bewaffneten Männern. Wer das dazugehörige Video kennt, weiss, dass die palästinensischen Männer Shani nicht nur jubelnd durch die Strassen von Gaza fahren, sondern auch ihren Körper bespucken. Der Urheber des Fotos heisst Ali Mahmud. Er begleitete die Hamas an jenem schwarzen Schabbat für die Agentur AP – und lieferte ein Bild, das vor allem Jüdinnen nicht so schnell vergessen werden. Denn sie wissen, dass das auch ihr Körper sein könnte. Und das war gewollt.
Während seit Monaten jüdische, aber auch israelische Nachrichten-Outlets mit Absicht die Veröffentlichung solcher Bilder vermeiden, um den Körper und den Menschen zum Körper zu schützen, kennen palästinensische Video-Creators keine moralischen Grenzen. Jeder Klick zählt. Die Massen sind süchtig nach dem Leid. Bekannte Instagram-Grössen aus Gaza wie Motaz Azaiza, Wizard Bisan oder Plestia Alaqad liefern beinahe im Minutentakt Bildmaterial, das als Beweis für den «Genozid» Israels in Gaza verkauft wird. Was davon inszeniert ist und was wahr, weiss kaum jemand mehr.
Flucht nach Katar und Auftritte bei al-Jazeera
Wichtig zu verstehen ist aber, dass es nicht mehr nur darum geht, mithilfe von organisierten Filmsets inszeniertes Videomaterial zu erstellen. Man kann längst auf reale Menschen und reale Ereignisse zurückgreifen. Unschuldige Zivilisten dienen als Darsteller. Man muss nur einen Krieg anzetteln, und schon gibt es genug Material. Denn die Hamas hat ihr Massaker nicht nur strategisch inszeniert, indem sie das Morden, Entführen und Abschlachten filmte und live ins Internet stellte. Sie plante strategisch, was im Anschluss an das Massaker folgen würde. Nämlich Bombardements und eine Bodenoffensive in Gaza. Ergo mehr Bilder und Videos. Diesmal mit einer anderen Erzählung.
Inwieweit die Hamas die «Journalisten» und «Content-Creators» bezahlt oder sogar aktiv als Mitarbeiter angestellt hat, weiss kaum jemand. Gerüchte gibt es selbstverständlich. Am 23. Januar verliess einer der reichweitenstärksten «Journalisten», Motaz Azaiza, den Gazastreifen – und landete wenige Stunden später gut behütet in Katar, wo auch die Führungsriege der Hamas lebt. Angeblich musste er sich einer dringenden Operation unterziehen. Hinaus kommt man nur über die ägyptische Grenze, indem man die Grenzer mit sehr viel Geld besticht oder wenn man genug politischen Einfluss geniesst.
Vielleicht waren es bei Azaiza gleich mehrere Aspekte, die ihm dabei halfen. Wissen werden wir dies erst in vielen Jahren. Fakt ist: Seit seiner Ausreise sitzt er als Interviewgast beim Hamas-Sprachrohr al-Jazeera, spricht an Universitäten, besucht Rashida Tlaib im amerikanischen Kongress oder wird zur «Time»-Gala eingeladen, weil er zu einem der hundert einflussreichsten Menschen 2024 gewählt wurde. Seine Arbeit bringt der Hamas derzeit mehr im Westen.
Von solchen Privilegien kann Mr. Fafo nur träumen. Er juckelt weiterhin als rasender Alleskönner durch Gaza und filmt sich dabei. Auch eine Terrororganisation hat Hierarchien.