Nach rund einem Monat im Spital veröffentlicht der Vatikan erstmals ein Bild von Papst Franziskus. Der Kommunikationsexperte Hanning Kempe ist von der Aufnahme beeindruckt. Sie könnte gar ein Vermächtnis ankündigen.
Im Katholizismus geht es immer auch um Mysterien. Er bietet Spielraum für Übersinnliches, für Interpretationen. Wer glaubt, hält sich nicht nur an das rein Fassbare, sondern vertraut auch dem Unbekannten. Auch das jüngste Bild von Papst Franziskus kann als Zeichen, als Botschaft verstanden werden.
Seit seinem Spitaleintritt am 14. Februar hatte es keine Fotos mehr von ihm gegeben. Die beidseitige Lungenentzündung hat dem 88-jährigen Pontifex schwer zugesetzt, zeitweise war die Sorge um ihn gross. Morgens und abends verbreitet die Pressestelle des Vatikans stets eine Medienmitteilung mit dem ärztlichen Bulletin. Sein Zustand sei stabil, hiess es jüngst vermehrt darin. Nach rund einem Monat veröffentlichte sie am Sonntagabend erstmals ein Bild des Papstes aus der Römer Klinik Gemelli. Es liefert uns einen Einblick in den Zustand des Pontifex – und trotzdem gibt es wenig preis.
Schlicht und aussagekräftig
Franziskus sitzt etwas zusammengesunken in einem Rollstuhl, ist von der Seite abgelichtet, nur ein Teil seines Profils ist zu erkennen. Der Fotograf hat ihn in der kleinen Kapelle aufgenommen, die sich gleich neben dem Spitalzimmer im papsteigenen Trakt befindet.
Die Auflösung der Foto ist bescheiden, sie könnte vielleicht sogar von einem Smartphone stammen. Kaum ausgeprägt ist der künstlerische Aspekt. Und doch: «Dieses Bild hat mich sehr beeindruckt», sagt Hanning Kempe. Er ist Kommunikationsexperte und General Managing Director bei Fleishman Hillard, einem der weltweit grössten Beratungsunternehmen für Öffentlichkeitsarbeit.
Denn die Komposition ist trotz allem aussagekräftig. Kempe macht darauf aufmerksam, wie der Kopf des Papstes gesenkt ist und der Blick hoch zum Kreuz geht. «Das Bild vermittelt eine Botschaft der Vergänglichkeit, es steht symbolisch für das, was allen und dem Papst vielleicht bald bevorsteht», sagt Kempe. Über Franziskus’ Kopf sind an der Wand die Stationen des Leidenswegs Jesu zu sehen.
Historisch würden Persönlichkeiten immer frontal aufgenommen, auch Christus am Kreuz werde von vorne gezeigt. Kempe hebt hervor, wie hier Franziskus schräg gezeigt wird. Das Tischtuch über dem Altar sei ungebügelt, der Papst trage ein sehr schlichtes Gewand und eine einfache Stola. Er zeige mit dieser Inszenierung: «Ich bin einer von euch und gehe den Weg, den alle gehen.» Und: Es gehe letztlich nicht nur um ihn als Person. Der Papst sei Teil von etwas viel Grösserem, der Kirche, des Glaubens.
Bewusster Zeitpunkt
Ein Bild nach langer Krankheit könnte auch als Entwarnung verstanden werden. Es lässt dennoch vieles ungeklärt – gerade weil der Pontifex nicht ganz sichtbar ist. Es zeigt, dass es ihm besser geht, sein Zustand aber ungewiss bleibt. Trotzdem sei der Zeitpunkt bewusst gewählt, sagt Kempe. Bisher habe die katholische Kirche zwar sehr transparent mit Medienmitteilungen kommuniziert. Ohne ein dazugehörendes Bild malten sich die Menschen aber selber aus, wie es dem Papst gehe, ob er bettlägerig sei, wie er wohl aussehe. «Mit dieser Foto hat der Vatikan die Deutungshoheit über die Situation wiedererlangt», sagt Kempe.
Italienische Medien vermuten, die päpstliche Presseabteilung wolle damit auch zeigen, dass Franziskus keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr mehr benötige – was jüngst gerüchteweise zirkulierte.
Kempe ist überzeugt: Dem Vatikan sei diese Kommunikation sehr gut gelungen. Das Bild sei «stimmig, würdevoll, authentisch, ohne den Papst zu instrumentalisieren». Die riesige Gemeinschaft der Gläubigen verfolgt den Zustand des Papstes sehr genau. Vor der Klinik versammeln sich Hunderte von Menschen, beten den Rosenkranz. Am Sonntag tanzten einige Tango zu Ehren des Argentiniers Franziskus. Kempe sagt, dass in solchen Situationen die Versuchung gross sei, mit Bildern und Mitteilungen der erkrankten Persönlichkeit Identifikation zu stiften. Denn die Menschen litten mit. Wer kommuniziere, laufe Gefahr, die Grenze des Authentischen zu überschreiten.
Kate-Gate als schlechtes Beispiel
Die Kommunikation mit Bildern ist heikel. Das erlebte vor ziemlich genau einem Jahr Prinzessin Kate. Nach einem Eingriff im Januar blieb die Frau des britischen Thronfolgers William länger der Öffentlichkeit fern. Das löste wilde Verschwörungstheorien aus. Mit einem Bild zum Muttertag zusammen mit ihren Kindern wollte das Königshaus die Lage beruhigen und beweisen, dass es Kate gut gehe und auch keine Ehekrise bestehe. Schnell entlarvten Medien aber, dass das Bild an rund zwanzig Stellen bearbeitet worden war. Die vermeintliche Good News führte zum Kate-Gate.
Beim Papst ist das mit diesem Bild nicht der Fall. Es lässt vieles offen. Genauso die dazugehörende Medienmitteilung des Vatikans. Darin heisst es, der Papst habe einen Gottesdienst mitgefeiert. Besuch habe er nicht empfangen. Aber er habe ein wenig gearbeitet. Dann folgt ein Satz, der aufhorchen lässt. «Die Früchte dieser Arbeit wird man in den nächsten Tagen sehen», steht in der Medienmitteilung.
Der Kommunikationsexperte Kempe sagt, das klinge, als würde der Papst ein Vermächtnis ankündigen. Worum es geht, bleibt unklar. Die lange Krankheit, das mysteriöse Bild mit einer Stimmung zwischen Abschied und Meditation lassen spekulieren. Franziskus’ Vorgänger Benedikt war aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig zurückgetreten. Er war nach Coelestin V. im Jahr 1294 erst der zweite Papst, der sein Amt aufgab. Ob Franziskus es ihnen gleichtut? Ausgeschlossen scheint das nicht. Nur zwei Monate nach seiner Wahl zum Pontifex im Jahr 2013 hatte Franziskus eine Rücktrittserklärung für den Fall seiner Amtsunfähigkeit unterzeichnet.