Amerikas Verteidigungssektor wird für den Industriekonzern immer wichtiger. Obwohl ein sanktionierter Russe der grösste Aktionär ist.
Der Industriekonzern OC Oerlikon kämpft seit fast sieben Jahren mit einem geopolitischen Problem: Die USA haben im April 2018 den russischen Magnaten Viktor Vekselberg, den grössten Aktionär von Oerlikon, mit Sanktionen belegt – wegen dessen Nähe zu Präsident Wladimir Putin.
Das Schweizer Unternehmen wurde selbst nicht zum Ziel. Aber spätestens seit der russischen Grossoffensive gegen die Ukraine lasten die Vekselberg-Sanktionen schwer darauf, wie Oerlikon wahrgenommen wird.
Zum Beispiel an der Börse. «Wenn ich fast 400 Millionen Franken Betriebsgewinn habe, aber der Aktienkurs steht tiefer als im Jahr 2009, als wir quasi pleite waren, dann ist etwas faul im System», beklagte sich Michael Süss am Dienstag gegenüber Journalisten. Süss führt Oerlikon als CEO und Verwaltungsratspräsident im Doppelmandat. Die Aktionärsstruktur sei ein Grund für die fehlende Begeisterung der Investoren, sagt er.
Kampfjets, Schalldämpfer – und bald mehr?
Dabei wirtschaftet Oerlikon erfolgreich in Bereichen, die paradox erscheinen angesichts eines sanktionierten russischen Milliardärs im Aktionariat: Luftfahrt, Raumfahrt und Rüstung, notabene in den USA. So fertigt die Firma zum Beispiel Teile im 3-D-Druck für einen amerikanischen Produzenten von Kampfjets. Details unterliegen der Verschwiegenheit. Und es gibt weiteres Potenzial. Oerlikon hat in den USA auch schon mehr als 15 000 Schalldämpfer verkauft, ebenfalls hergestellt im 3-D-Druck. Bisher nur für zivile Jagdwaffen.
Die USA sind ein zentraler Wachstumsmarkt für Oerlikon – vor allem, um sich neue Geschäftsfelder zu erschliessen. Traditionell ist der Konzern bekannt für Beschichtungsmaschinen, mit denen die Oberflächen von Werkzeugen behandelt werden. Mittlerweile zählen die Automobilindustrie, die Luxusgüterbranche, die Luftfahrt aber auch die Rüstung zu den immer wichtigeren Kunden.
Diese Diversifizierung erlaubte es, dass Oerlikons wichtigste Division «Surface Solutions» ihren Umsatz 2024 trotz dem Abschwung in der Industrie etwa konstant hielt. In den USA will der Konzern die Produktionskapazitäten überproportional ausbauen. Bisher werden dort erst 1500 der konzernweit über 12 000 Mitarbeiter beschäftigt. US-Firmen zeigten sich auch offener für neue Technologien wie den 3-D-Druck, so Süss. Deshalb werde mit dem Verfahren künftig nur in den USA produziert, nicht in Europa.
Bringt Donald Trump die Lösung?
Doch obgleich Oerlikon in der zivilen Luftfahrt in den USA schon lange vertreten ist, gilt es immer wieder, Bedenken wegen Vekselberg auszuräumen. Der Milliardär, der indirekt knapp 19 Prozent an Oerlikon kontrolliert, kann aufgrund der Sanktionen zwar keinen Einfluss auf die Firma nehmen. Aber es ist schwer, manchen Compliance-Abteilungen potenzieller Kunden die Sache zu erklären.
Michael Süss hofft nun darauf, dass unter Präsident Donald Trump erst ein Frieden für die Ukraine und dann eine Lösung für die Sanktionen gefunden wird. Sie hindern Vekselberg nämlich auch daran, seinen Anteil zu verkaufen. Und es ist Oerlikons Ziel, sich vor allem in den USA und Europa ganz auf Oberflächentechnologien und Materialien zu fokussieren. Da geht es immer öfter um sensible Hochtechnologie.
Der zweite Unternehmensteil, der Maschinenbau für Chemiefasern in der Textilwirtschaft, soll abgestossen werden – bevorzugt über einen Verkauf. Es gebe eine Reihe von Interessenten, so der CEO. Die Abspaltung kündigte Oerlikon bereits vor einem Jahr an.
Doch wie damals in Aussicht gestellt, wird der Vollzug noch bis zu zwei Jahre auf sich warten lassen. Es ist nicht so einfach, zum richtigen Preis den richtigen Käufer zu finden: Die Textilbranche steckt in einem tiefen Abschwung. 2024 brach der Umsatz der zweiten Oerlikon-Division um 25 Prozent ein. Das trug entscheidend dazu bei, den Gesamtumsatz des Konzerns um 12 Prozent auf 2,4 Milliarden Franken zu drücken.
Das Textilgeschäft wird auf China ausgerichtet
Oerlikon versucht seit einer Weile, dieses «Polymer Processing» stabil auszurichten. Dazu gehört, rund tausend Arbeitsplätze vor allem in Deutschland abzubauen und in den asiatischen Hauptmärkten, insbesondere China, wieder aufzubauen. In der Währung Euro und mit europäischen Gewerkschaften ist es laut Süss nicht mehr möglich, flexibel und wettbewerbsfähig für den chinesischen Markt zu produzieren. Auch die benötigten Teile werden nun lokal in China bezogen.
Mit der Verlagerung stärkt Oerlikon nebenbei die Widerstandsfähigkeit des Unternehmens bei der Einführung von Zöllen. Auch das Beschichtungsgeschäft in den USA arbeitet sehr lokal. Der Oerlikon-Chef ist deshalb nicht sehr besorgt wegen eines internationalen Handelskriegs – und optimistisch, im Ernstfall Zölle als Preisaufschläge an die Kunden weitergeben zu können.
Selbst die Börse bewertet die Aussichten für einmal positiv, auch ohne Lösung für die Causa Vekselberg: In Reaktion auf die Geschäftszahlen, die immerhin keine neue Enttäuschung brachten, zogen Oerlikon-Aktien am Dienstag um mehr als 5 Prozent an. Damit stehen sie nur noch 60 Prozent tiefer als vor 5 Jahren.