Die Ereignisse rund um die Ukraine überstürzen sich, und die Europäer sind vor allem eins: aufgescheucht. Frankreichs Präsident hat mit seiner Gipfeldiplomatie die Initiative ergriffen. Doch an greifbaren Ergebnissen fehlt es – noch.
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat sich am Mittwoch erneut mit mehreren westlichen Staats- und Regierungschefs wegen des Ukraine-Krieges beraten. Nach dem ersten Krisentreffen sollten auch Verbündete zu Wort kommen, die in der ersten Runde nicht dabei gewesen waren. Macron hatte am Montag nur sechs EU-Staaten und Grossbritannien, nicht aber Länder wie Finnland, Rumänien oder Litauen, die sich unmittelbar von Russland bedroht fühlen, zusammengetrommelt, um eine gemeinsame Linie zu finden.
Macron, der Anführer
Der zweite Ukraine-Gipfel fand im Videoformat stand. Dazu waren unter anderem die übergangenen Ostmitteleuropäer, aber auch die Nicht-EU-Staaten Kanada und Norwegen nach Paris zugeschaltet. Nur der luxemburgische Regierungschef Luc Frieden und der rumänische Übergangspräsident Ilie Bolojan besuchten Macron persönlich im Élysée-Palast.
Rumänien ist mit seiner über 600 Kilometer langen Grenze zur Ukraine geopolitisch besonders exponiert, zudem steht das Land seit der Annullierung der Präsidentschaftswahlen unter heftiger Kritik der Trump-Administration.
Diskutiert wurde darüber, welche Verteidigungszusagen die Verbündeten eigenständig, ohne Unterstützung der USA, für die Ukraine leisten könnten. Der drastische Kurswechsel in der amerikanischen Ukraine-Politik hat den Europäern zugesetzt. Nach dem Schock der Münchner Sicherheitskonferenz und dem russisch-amerikanischen Aussenministertreffen in Riad platzte am Mittwoch gleich die nächste Bombe, als Trump dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski vorwarf, «diktatorisch» zu regieren und einen Krieg zugelassen zu haben, den es nie hätte geben dürfen.
Mit seiner eiligen Krisendiplomatie hat Macron die Führung der Europäer in Sachen Ukraine und transatlantische (Noch-)Partnerschaft faktisch an sich gerissen. Der französische Staatschef kann derzeit für sich in Anspruch nehmen, von Donald Trump als Europas Leitfigur wahrgenommen zu werden. Gleich drei Mal hatte der amerikanische Präsident seit dem Wochenende mit ihm telefoniert.
Für Macron scheint es sich ausgezahlt zu haben, im Dezember den damals noch nicht vereidigten amerikanischen Präsidenten zur Wiedereröffnung der Notre-Dame eingeladen und so umschmeichelt zu haben.
Doch es gibt noch andere Gründe für Macrons privilegierte Position. Frankreich ist die einzige Atommacht in der EU und eines der fünf ständigen Mitglieder des Uno-Sicherheitsrates. Der französische Präsident, obwohl innenpolitisch stark angeschlagen, hat durch seine starke verfassungsrechtliche Stellung die Autorität zum Handeln, und ambitioniert ist er sowieso.
Sein Vorschlag für europäische «Sicherheitsgarantien» passt in sein breiteres Streben nach einem Kontinent, der weniger von Washington abhängig ist.
Am Montag telefonierten Macron und Trump vor und direkt nach dem Pariser Krisentreffen. Der französische Präsident informierte die Presse am Tag danach über den Inhalt der Gespräche: Er habe dem amerikanischen Staatschef noch einmal nahegelegt, dass ein einfacher Waffenstillstand ohne Friedensabkommen den Ukraine-Konflikt in keiner Weise lösen werde. Die Europäer, die Kiew von Anfang an sowohl militärisch als auch finanziell unterstützt hätten, müssten an einer Friedenslösung beteiligt werden. Dafür seien die Europäer dann auch bereit, dem Land Sicherheitsgarantien zu geben.
Doch von einer solchen Einigung ist der alte Kontinent noch weit entfernt. Beim Krisentreffen in Paris waren schon am Montag grosse Meinungsverschiedenheiten zutage getreten. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hatte den möglichen Einsatz von Friedenstruppen in die Ukraine als «falsches Thema zur falschen Zeit» geschmäht. Der britische Premierminister Keir Starmer hatte sein Land dagegen schon als Truppensteller empfohlen. Erforderlich, sagte er, sei dafür aber die Rückendeckung der Amerikaner.
Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, eine Verbündete Trumps, war zu spät nach Paris gekommen und hatte die Stadt verlassen, ohne eine öffentliche Erklärung abzugeben. Während des Gipfels hatte sie die Kritik des amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance an Europas Abhängigkeit von den USA mit einem abgewandelten Kennedy-Zitat wiederholt: «Wir sollten nicht fragen, was die Amerikaner für uns tun können, sondern was wir selbst für uns tun müssen.»
Von Gipfel zu Gipfel
Der französische Staatschef wiederum präzisierte die Haltung seines Landes am Mittwoch. Frankreich plane keineswegs, wie oft gemutmasst, einen Kampfeinsatz französischer Soldaten auf ukrainischem Boden zur Sicherung eines Waffenstillstands, sondern lediglich die Entsendung von Militärberatern und allenfalls in sehr begrenztem Umfang auch von Truppen «ausserhalb jeder Konfliktzone».
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, Trumps ideologisch engster Alliierter in der EU, war erst gar nicht in Paris erschienen. Doch auch ohne seine Anwesenheit reichte es am Mittwoch zu keiner starken Schlusserklärung. Der Videokonferenz soll ein weiterer Gipfel folgen: dieses Mal ein «echter» EU-Gipfel in Brüssel, ausgerichtet vom EU-Rats-Präsidenten António Costa. Entschieden aber, wie man der Dampfwalze Trump begegnen will, ist mit anderen Worten noch gar nichts.
Dafür hat sich Macron noch Respekt verschafft beim amerikanischen Präsidenten. Für nächste Woche wird er zu einer Audienz im Weissen Haus erwartet.