Përparim Avdili, der Präsident der städtischen FDP, stellt in Zürich ein verengtes Meinungsklima fest. Die linke Mehrheit sieht er in einem «Machtrausch».
Herr Avdili, seit zwei Jahren sind Sie Chef der grössten Oppositionspartei im rot-grün regierten Zürich. Wie ist das für Sie?
Anspruchsvoll. Eine reine Oppositionspolitik können und wollen wir nicht betreiben. Nicht zuletzt, weil wir mit zwei Freisinnigen im Stadtrat vertreten sind. Es passt aber auch nicht zu unserem Politikverständnis. Wir sind nicht aus Prinzip gegen alles. Wir wollen Alternativen zur rot-grünen Politik aufzeigen, konstruktiv mitarbeiten. Die Linke zeigt daran aber immer weniger Interesse.
Woran merken Sie das?
Die linke Mehrheit tritt äusserst dominant auf. Sie hat sich in den letzten Jahren radikalisiert, kommt mit immer extremeren Ideen. Zwischen SP, Grünen und Alternativen hat sich ein Bieterwettstreit entwickelt, wer mehr Steuergeld ausgeben und absurdere Regulierungen erfinden kann. Es ist klar, dass wir als Liberale hier Gegensteuer geben müssen.
Përparim Avdili – Secondo an der FDP-Spitze
dfr. Përparim Avdili präsidiert seit zwei Jahren die FDP der Stadt Zürich. Seit 2018 sitzt der 36-jährige Finanzleiter im Stadtparlament; er ist Mitglied der Rechnungsprüfungskommission. Geboren ist Avdili im heutigen Nordmazedonien. Er kam im Babyalter als Sohn eines Saisonniers nach Zürich, aufgewachsen ist er in Altstetten. Heute engagiert er sich unter anderem im Verein Secondas Zürich als Vizepräsident.
Was hat sich konkret verändert?
Die Sozialdemokraten kämpften in den Neunzigern noch zusammen mit uns in einer Koalition der Vernunft für gute Lösungen, für sinnvolle Kompromisse – gemeinsam, aktiv für unsere Stadt, zum Beispiel in der Drogen- oder der Finanzpolitik. Diese Zeiten sind aber vorbei, jetzt regiert die Linke ohne Rücksicht durch. Vor allem die jusofizierte SP erlebe ich in einem regelrechten Machtrausch.
Machtrausch? Vertritt die Linke nicht einfach die Interessen ihrer Wählerschaft? Sie würden es doch auch so tun, wenn Sie die Mehrheit dazu hätten.
Wenn man nur noch auf Maximalforderungen beharrt, schadet das der Stadt. Das sehen wir in der Wohn-, der Verkehrs- und der Finanzpolitik. Es werden Phantomprobleme kreiert, und es wird unnötig Geld ausgegeben. Der Staatsapparat wächst auf mittlerweile über 35 000 Angestellte. Derweil stemmt sich die linke Mehrheit seit Jahren gegen eine problemlos verkraftbare, minimale Steuersenkung. Da geht es nur noch um Ideologie.
Zuweilen kommt es zur absurden Situation, dass die FDP die Politik des auch schon linken Stadtrats gegen die noch linkere Parlamentsmehrheit verteidigt . . .
Ja, wir haben das zum Beispiel bei der Abstimmung zum Neugasse-Areal erlebt, wo die SP mitgeholfen hat, Hunderte günstige Wohnungen an zentraler Lage zu verhindern. Ihr eigener Stadtrat, der Hochbauvorsteher André Odermatt, konnte sie nicht mehr von diesem Irrweg abbringen. Wir auch nicht.
Theodor Adorno sagte: Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Angewendet auf die Stadt Zürich: Kann man als FDP überhaupt eine liberale Politik im rot-grünen Korsett machen, die man guten Gewissens vertreten kann?
Tatsächlich sehen viele Freisinnige die FDP auch heute noch als die staatstragende Partei schlechthin. Das hemmt die Kritik an den bestehenden Zuständen. Der Freisinn hat den Schweizer Bundesstaat zwar gegründet, und darauf sind wir stolz. Aber das ist 175 Jahre her. Wir müssen heute nicht mehr alles mittragen, was im Staat schlecht läuft. Vor allem nicht Auswüchse, wie wir sie in der Stadt Zürich erleben, die seit 34 Jahren links regiert wird. Die rot-grünen Parteien tragen die Verantwortung für die Fehlentwicklungen in Zürich – sei es im Wohnbau oder im Verkehr. Das müssen wir klarer benennen.
Warum tun Sie es nicht?
Wir bringen unsere Kritik zum Ausdruck, indem wir zum Beispiel das städtische Budget – das zentrale politische Geschäft im Jahr – ablehnen. Wir haben andere Vorstellungen davon, wie sich Zürich entwickeln soll. Das sagen wir klar und deutlich. Aber uns fehlen die Mehrheiten.
Weil Sie politisch zu schwach sind, haben Sie jüngst vermehrt die Gerichte bemüht. So wehrten Sie sich etwa gegen die unbewilligte Velodemo Critical Mass oder die alternative Sozialhilfe für Sans-Papiers mit Beschwerden. Ihre Gegner halten das für undemokratisch.
Wir hätten gerne einen anderen Weg gewählt. Aber offenbar geht es in Zürich nicht anders. Die Gerichte haben uns mehrfach recht gegeben. Das zeigt mir, dass die linke Mehrheit sich nicht mehr spürt. Es ist die Arroganz der Macht, die wir bekämpfen, mit den rechtsstaatlichen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.
Arroganz der Macht?
Die Linke fühlt sich moralisch überlegen. Das führt dazu, dass sie sich über dem Recht sieht. Die unbewilligte Critical Mass liess man aus politischen Motiven gewähren. Ähnliches gilt für Hausbesetzungen. Es ist eine gefährliche Entwicklung, die hier um sich greift. Die linken Parteien bauen die Stadt nach ihrem moralischen Kompass um. Man soll auf ihr Geheiss wohnen, arbeiten, sich bewegen, bald wohl auch denken und atmen. Auch die Art und Weise, wie man kommuniziert, geben sie vor . . .
Sie spielen auf den Sprachleitfaden der Stadt an, der den Genderstern innerhalb der Verwaltung zum Standard gemacht hat . . .
Der Stadtrat, allen voran die Stadtpräsidentin Corine Mauch, hat sich in dieser Frage vergaloppiert. Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung zur klassischen Rechtschreibung steht und Gendersterne, -doppelpunkte oder andere Sonderzeichen nicht goutiert. Corine Mauch hätte das städtische Sprachreglement zurückziehen sollen, als es noch möglich war. Das hat sie verpasst. Städtische Angestellte dürfen jetzt nicht mehr von «Zürcherinnen und Zürchern» schreiben, sondern nur noch von «Zürcher*innen». Ist doch absurd . . .
Nun wird es zu einer Abstimmung in dieser Frage kommen. Die SVP-Kantonsrätin Susanne Brunner bringt ihre «Tschüss Genderstern»-Initiative vors Volk. Wie positioniert sich die FDP dazu?
Ein Verbot, das mit einem Verbot korrigiert werden soll, halte ich für keine gute Idee. Aber wir werden uns im Stadtparlament für einen Gegenvorschlag starkmachen.
Wie soll der aussehen?
Die Stadt soll ihren Angestellten keine direkten Sprachvorschriften machen. Die Verwaltung sollte sich in der Kommunikation an der Regelung auf Bundesebene orientieren. Das wäre eine einfache, klare Lösung ohne Verbot. Wir suchen jetzt politische Verbündete dafür – und wenden uns nachher gerne wieder wichtigeren Themen zu. Ist ja unglaublich, wie viel Zeit, Energie und Geld die Stadt für ein solches Nischenthema aufwendet.
Kommen wir zu einem wichtigeren Thema: dem Wohnen. Laut Umfragen ist es das drängendste Problem der Zürcherinnen und Zürcher. Sehen Sie es auch so?
Ja, wir haben im Wohnungswesen ein Problem. Zum einen wird viel zu wenig gebaut. Zum anderen können sich viele Leute die hohen Mieten nicht mehr leisten. Die herrschende Linke wählt in dieser Frage aber den völlig falschen Weg: Sie setzt private Bauherren immer mehr unter Druck und will den ganzen Boden verstaatlichen. Das ist ein utopischer, teurer und illiberaler Ansatz, den wir entschieden ablehnen.
Mit Ihrer Aufstockungsinitiative gehen Sie einen anderen Weg . . .
Ja, Hauseigentümer sollten unkompliziert ein Stockwerk höher bauen können. Dafür sammeln wir zurzeit Unterschriften. So entsteht zusätzlicher Wohnraum, ohne dass günstiger, bestehender vernichtet wird. Ermöglichen statt verstaatlichen und blockieren, das ist unser Vorschlag. So fördern wir echte Verdichtung gegen innen.
Ist die wahre Ursache der teuren und mangelnden Wohnungen nicht die Zuwanderung? Quasi der Elefant im Raum, den auch die Freisinnigen nicht anzusprechen wagen?
Das Thema hat zwei Gesichter. Für die Freisinnigen ist klar, dass die illegale Zuwanderung ins Asylsystem so nicht weitergehen kann. Die Arbeitsmigration hingegen richtet sich hauptsächlich nach unseren wirtschaftlichen Ansprüchen. Insgesamt profitieren wir davon, sie trägt massgeblich zu unserem Wohlstand bei. Das wollen die Populisten ganz links und ganz rechts nicht sehen. Leute aus dem Ausland bauen unsere Strassen, gründen Firmen, pflegen uns in den Spitälern. Nur hat es in Zürich die regierende Linke verpasst, genügend Wohnraum für die vielen neuen Leute zu schaffen. Auch die Verkehrsinfrastruktur genügt den Ansprüchen unserer wachsenden Stadt nicht mehr. Rot-Grün will aus Zürich ein Dorf machen, anstatt grossstädtisch zu denken und zu planen.
Aber wollen die Leute wirklich in einer Grossstadt à la Singapur leben?
Der Charakter von Zürich soll trotz Wachstum erhalten bleiben, genauso wie die vielen Wälder und Grünflächen in unserer Stadt. Dafür braucht es kluge städteplanerische Ideen. Wir wollen kein zweites Singapur werden. Aber wir leben in einer Stadt, nicht auf dem Land.
Als Schweizer mit albanischen Wurzeln haben Sie ein offenes Ohr für Anliegen von Ausländerinnen und Ausländern. Sie präsidieren den Verein Secondas Zürich. Muss die FDP bei diesen Themen wirklich vorangehen?
Wir stehen ein für eine offene, liberale Gesellschaft, in der die Tüchtigen sich entfalten können – egal, woher sie kommen. Darum setze ich mich für eine gute Integration inklusive früher Einbürgerung ein.
Genauso wie die linken Parteien, die Sie sonst so gerne kritisieren . . .
Ja, aber bei dieser Frage geht es für mich nicht um links oder rechts. Kinder, die hier zur Welt kommen und aufwachsen, sollten das Bürgerrecht einfacher als heute erhalten können. Das stärkt die Verbundenheit mit der Schweiz und mit unserem Wertesystem. Ich hätte mir das als junger Mann gewünscht. Ich bin zwar mitten in Zürich aufgewachsen, musste mich aber als 16-Jähriger aufwendig und kostspielig um das Bürgerrecht bemühen, während es Schweizer Klassenkameraden per Geburt geschenkt erhielten. Das halte ich für keine liberale Regelung.
In zwei Jahren wählt Zürich das nächste Mal. Was sind Ihre Ziele? 2022 haben die Freisinnigen leicht dazugewonnen, auch auf Kosten der SVP.
Wir brauchen neue Mehrheiten in Zürich, allen voran im Stadtparlament. Das muss das grosse, gemeinsame Ziel aller Mitte-rechts-Kräfte sein. Daran arbeiten wir. Auch in der Regierung, im Stadtrat, braucht es Veränderungen.
Sie sind im neunköpfigen Gremium heute mit zwei Stadträten vertreten. Ihr Schulvorsteher Filippo Leutenegger wird vermutlich keine weitere Amtszeit anhängen. Wer folgt nach? Sie selbst?
Die FDP hat anders als andere Parteien in Zürich keine Personalnöte. Wir könnten morgen mehrere geeignete Kandidaturen präsentieren und stehen bereit, wenn es nötig sein sollte.