Unter Schizophrenie und schweren depressiven Störungen leiden Millionen von Patienten. Für sie gab es lange wenig neue Medikamente. Nun mehren sich aber Innovationen.
Krankheiten der Psyche sind weit verbreitet. Wegen der vielen Generika, die in diesem Bereich auf dem Markt sind, konzentrierten sich Pharmakonzerne aber lange Zeit auf lukrativere Therapiegebiete. Mit der Ankündigung einer milliardenschweren Übernahme rückt die Behandlung psychischer Leiden nun doch auf einmal ins Schlaglicht. In der Branche ist man hoffnungsfroh, dank Innovationen neue Standards zu setzen.
Spezialist für schwere psychische Erkrankungen
Wie Anfang der Woche bekanntwurde, bietet der amerikanische Pharmariese Johnson & Johnson (J&J) 14,6 Milliarden Dollar für die amerikanische Biotechfirma Intra-Cellular Therapies. Das Unternehmen, das seit einem knappen Vierteljahrhundert besteht, ist auf die Entwicklung von Medikamenten unter anderem gegen Schizophrenie spezialisiert.
Das Hauptprodukt von Intra-Cellular ist das neuartige Präparat Caplyta, das in den USA bereits zur Behandlung von Schizophrenie sowie von Depressionen bei von der bipolaren Störung Betroffenen zugelassen ist. Beide Erkrankungen kommen häufig vor.
Laut J&J leiden allein in den USA 2,4 Millionen Erwachsene an Schizophrenie. Die Zahl der von der bipolaren Störung Betroffenen, die früher als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet wurde und bei der sich Phasen von übermässiger Traurigkeit mit Hochstimmung abwechseln, wird in den Vereinigten Staaten sogar auf über 6 Millionen geschätzt.
In den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres stieg der Umsatz von Caplyta um 45 Prozent auf fast eine halbe Milliarde Dollar. Das Management von J&J ist überzeugt, dass das Produkt bald über eine Milliarde Dollar pro Jahr einbringen und damit den Status eines Blockbusters erreichen wird.
Weitere Zulassung erwartet
Insgesamt rechnet man beim weltgrössten Gesundheitskonzern sogar mit Spitzenumsätzen von über 5 Milliarden Dollar. Die hohen Erwartungen beruhen darauf, dass Caplyta wie geplant die Zulassung auch zur Behandlung von schweren depressiven Störungen erhalten wird. Intra-Cellular hatte im Dezember angekündigt, ein entsprechendes Gesuch bei der US-Gesundheitsbehörde FDA zu stellen.
Schwere depressive Störungen treten geschätzt bei über 20 Millionen Amerikanern auf. Sie gehören damit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen.
J&J präsentierte das Übernahmevorhaben pünktlich zum Beginn der Healthcare-Konferenz von J. P. Morgan in San Francisco, die als das weltgrösste jährliche Stelldichein von Managern und Investoren in der Pharmaindustrie gilt. Der Konzern lenkte damit viel Aufmerksamkeit auf sich.
Anleger reagieren erfreut
Von Anlegern wurde die Transaktion, welche die grösste seit knapp einem Jahr innerhalb der Pharma- und Biotechnologiebranche darstellt, positiv aufgenommen. Der Aktienkurs von J&J legte in der zurückliegenden Woche um knapp 3 Prozent zu, nachdem er wie die Notierungen vieler Pharmawerte zuvor seit vergangenem Sommer Terrain eingebüsst hatte.
Die Fähigkeit des Konzerns, mit seinen Produkten weiteres Wachstum zu erwirtschaften, war in letzter Zeit vermehrt infrage gestellt worden. J&J dürften in nächster Zeit zunehmend Generika zusetzen, die als Kopien des bisherigen grössten Umsatzträgers Stelara (zur Behandlung unter anderem von Schuppenflechte) auf den Markt gebracht werden. Auch angesichts sinkender Einnahmen in Europa und China verordnete das Management der Belegschaft verschiedenenorts Sparmassnahmen, auch in der Schweiz.
Dank Caplyta bestehe aber zusätzliche Gewähr, dass das Umsatzwachstum bis zum Ende der laufenden Dekade über den Erwartungen von Finanzanalytikern liegen werde, erklärte die Konzernführung. Diese Aussage dürfte ebenfalls zum jüngsten Stimmungsumschwung unter Anlegern beigetragen haben.
Boehringer erleidet Rückschlag
Weniger Glück war vergangene Woche dem deutschen Konkurrenten Boehringer Ingelheim beschieden. Der nicht kotierte Konzern hatte darauf gehofft, ebenfalls mit einem neuen Medikament gegen Schizophrenie zu punkten. Doch sein Wirkstoff Iclepertin zeigte in einer breit angelegten Studie der abschliessenden Phase III mit über 1800 Patienten nicht die erhoffte Verbesserung von kognitiven Störungen.
Laut der Marktforschungsfirma Global Data besteht dank einer Reihe von Produktneuheiten die Chance, dass sich der Markt im Bereich Schizophrenie in den kommenden Jahren deutlich ausweiten wird. Weiterhin im Rennen ist unter anderem ein neuer Wirkstoff des ebenfalls amerikanischen Medikamentenherstellers Bristol-Myers Squibb.
Momentan bilden Präparate für die psychische Gesundheit indes erst das siebtgrösste Geschäftsfeld für die Pharmaindustrie. Mit Abstand an der Spitze rangiert die Onkologie.