Die USA förderten die Forschung bisher so stark wie kein anderes Land. Doch nun verkleinert die Regierung Trump Behörden, streicht Studiengelder und entlässt Fachkräfte. Forscher erzählen, was das für ihre Arbeit bedeutet.
Das Fachgebiet von Nisha Acharya ist alles andere als politisch kontrovers – zumindest dachte sie dies. Die habilitierte Augenärztin forscht an der University of California, San Francisco (UCSF) zu Infektionskrankheiten. Bis vor kurzem untersuchte sie, ob ein 2018 zugelassener Impfstoff gegen Gürtelrose (Herpes Zoster) schwere Augeninfektionen bei Patienten verhindern kann. Die Antwort ist relevant: Etwa einer von drei Amerikanern erkrankt im Laufe des Lebens an Gürtelrose, und in zwanzig Prozent der Fälle sind die Augen betroffen, es droht Erblindung.
Doch Acharya wurde nun zum Verhängnis, dass sie in ihrer Bewerbung um Fördermittel der National Institutes of Health (NIH) vor drei Jahren die Worte «Impfung» und «Skepsis» verwendet hatte. Mitte März wurden ihr überraschend alle Gelder gestrichen; ihre Studien liefen im zweiten von fünf veranschlagten Forschungsjahren. «Ich habe zwei Millionen Dollar Fördermittel verloren, weil ich diese beiden Worte in einem Satz hatte», sagt sie im Gespräch, und die Fassungslosigkeit ist ihr anzusehen.
Die amerikanische Regierung hat jüngst beschlossen, alle Forschungsvorhaben zu Impfskepsis einzustellen. Diese Arbeit habe nun «keine Priorität mehr», hiess es in der kurzen Begründungs-E-Mail, die Acharya erhielt – der Entscheid war endgültig, galt ab sofort und kam spätabends via E-Mail, ohne namentlichen Absender.
Ironischerweise wollte Acharya unter anderem erforschen, ob Impfskepsis sogar geboten ist – nämlich bei Patienten, deren Augen schon einmal von Herpes-Zoster-Viren befallen waren. Womöglich sollte man ihnen von der Impfung abraten, sagt Acharya, «diese Art von Forschung will die Regierung vermutlich sogar». Sie vermutet, dass ein Computerprogramm bei den NIH alle Forschungsvorhaben auf Begriffe wie «Skepsis» und «Impfungen» abgesucht hat und diesen blind die Mittel entzogen wurden.
Die Professorin musste die Studie sofort abbrechen, drei Mitarbeiter entlassen, auch 35 Prozent ihres eigenen Einkommens fallen nun weg. Doch das Schlimmste für sie ist, dass sie nicht weiss, wie sie künftige Forschungsvorhaben finanzieren soll, wenn die NIH als Förderer wegfallen. «Ich bin wütend und traurig, ich lebe für meine Arbeit», sagt sie. «Es gibt einfach keine Alternative für diese Art von Forschung.»
Die USA sind in der Förderung der medizinischen Forschung führend
Der Fall von Acharya zeigt auf, wie sich der Sparkurs der Regierung Trump konkret auf amerikanische Wissenschafter auswirkt. Dafür muss man verstehen, dass in den USA der Staat der Motor ist, der die Forschung zu Hochtouren auflaufen lässt: 150 bis 160 Milliarden Dollar stellt Washington jedes Jahr für Forschungszwecke bereit.
Mit das wichtigste Rad im Getriebe sind dabei die National Institutes of Health (NIH): Mit einem Jahresbudget von 48,5 Milliarden Dollar im laufenden Jahr sind sie der weltgrösste Förderer biomedizinischer Forschung. Hunderttausende Arbeitsplätze werden mit diesen Geldern finanziert.
Die Expertise und das Budget der NIH haben den USA ein Alleinstellungsmerkmal gegeben. Sie sind der Grund dafür, dass Amerika in vielen Gebieten der medizinischen Forschung und Medikamentenentwicklung führend ist. Insbesondere bei Fragestellungen zur öffentlichen Gesundheit sind die Fördermittel der NIH schlichtweg alternativlos; Pharmafirmen oder Stiftungen würden diese nicht fördern wollen oder können. Gelder von den NIH zu erhalten, ist bis dato ein Ritterschlag für Wissenschafter – das Ergebnis jahrelanger Aufbau- und Forschungsarbeit.
Doch das dürfte sich nun ändern. Die Regierung Trump stutzt die Behörde zusammen, wo und wie sie nur kann: 1200 der 20 000 Mitarbeiter wurden bereits entlassen. Die verbleibenden Angestellten sollen Förderungsanträge bis auf weiteres nicht bearbeiten. Mit allen Tricks will man zudem verhindern, dass das bereits vom Kongress zugesprochene Budget von 48,5 Milliarden Dollar verteilt wird.
Grund dafür ist, dass Washington in diversen Richtlinien und Exekutivverordnungen Anliegen definiert hat, die nicht mehr «im Interesse des amerikanischen Volkes liegen» – Forschung zu Behinderungen etwa, zu Trauma, Diversität, hispanischen Gemeinden, auch jegliche Studien zur Corona-Pandemie. Studien zu Impfungen fallen auch darunter: An der UCSF wurde neben Acharyas Forschung auch eine Studie eingestellt, die den optimalen Zeitpunkt für Impfungen in Schwangerschaften untersuchte.
Gleichzeitig wurde die Gesundheitsbehörde CDC nun angehalten, Studien zu fördern, die einen angeblichen Zusammenhang von Impfungen und Autismus eruieren. Das Gesundheitsministerium, dem sowohl die CDC als auch die NIH unterstellt sind, wird nun von Robert F. Kennedy geleitet, einem der bekanntesten Impfskeptiker.
Viele Wissenschafter trauen sich nicht, mit Medien zu reden
In Gesprächen mit amerikanischen Wissenschaftern spürt man dieser Tage Unsicherheit und auch Angst. Viele wollen ihren Namen in keinem Artikel lesen, auch nicht einem ausländischen, weil sie negative Folgen für ihre Karriere befürchten.
Auch Acharya sagt, dass sie womöglich auf einer schwarzen Liste landen und nie wieder staatliche Forschungsgelder bekommen könnte. Sie erzählt, dass Kollegen an der Universität ihre eigenen Social-Media-Profile durchkämmten und alte Beiträge von vermeintlich linken Botschaften – oder was als solche interpretiert werden könnte – säuberten.
Nur geschützt in der Masse traut man sich, zu protestieren: Vor wenigen Tagen verfassten amerikanische Topwissenschafter, -ingenieure und Mediziner einen offenen Brief, in dem sie die neue Zäsur heftig kritisieren. Über achtzig Jahre hinweg hätten amerikanische Regierungen einen Forschungsbetrieb aufgebaut, der der Neid der Welt gewesen sei, heisst es darin. Der Brief soll «ein SOS senden als klare Warnung: Die wissenschaftliche Unternehmung des Landes wird gerade zerstört.» 1900 Forschende aus dem ganzen Land schlossen sich den Aussagen mit ihrer Unterschrift an.
Die Kürzungen durchkreuzen auch Karrierepläne der nächsten Generation. Die 32-jährige Geologin Behnaz Hosseini hat vor kurzem an der Montana State University ihre Promotion in Vulkanologie abgeschlossen. Für ihre Postdoc-Studien hatte sie eine prestigeträchtige Fellowship des staatlichen Kartografieinstituts USGS (United States Geological Survey) ergattert. Sie wollte die Eruptionsgefahr von Vulkanen in Alaska studieren. Doch wenige Tage nach der freudigen Nachricht wurde die Fellowship Mitte Januar plötzlich zurückgezogen, ohne Erklärung. «Es war wie ein harter Schlag ins Gesicht.»
Hosseini vermutet dahinter den generellen Einstellungsstopp der US-Regierung. Doch die Nachricht war ein Schock, der nicht nur ihre kurzfristigen, sondern auch ihre langfristigen Pläne ins Wanken bringt. Sie hatte immer von einer Karriere bei der USGS geträumt und mit Jobs bei gliedstaatlichen und staatlichen Behörden darauf hingearbeitet. Nun hat die Regierung Trump nicht nur Hosseinis Sprungbrett in die Behörde mit der Fellowship abgesägt, sondern auch USGS-Niederlassungen an 34 Orten geschlossen.
Hosseini stösst sich auch daran, dass die Regierung neuerdings bestimmte Begriffe – darunter «Diversität» und «Inklusion» – aus Bewerbungen um öffentliche Forschungsgelder verbannt hat. «Sprache zu zensieren, ist wider jegliches wissenschaftliche Arbeiten», sagt sie.
Das gesamte derzeitige Umfeld mache es für junge Leute unattraktiver, im öffentlichen amerikanischen Sektor zu arbeiten. Hosseini liebäugelt nun mit einer Forschungsausschreibung in Tasmanien. Alternativ überlegt sie, in Kanada weiterzuforschen, sie ist doppelte Staatsbürgerin.
Eine andere junge Forscherin hat bereits entschieden, den USA den Rücken zu kehren. Marleigh Hutchinson ist Studentin der Umweltingenieurwissenschaften an der Kansas State University. Auch sie träumte von einer wissenschaftlichen Karriere im Dienst der US-Behörden und hatte für die Hilfsorganisation USAID bereits in Kambodscha gearbeitet. Dass die Erforschung von Trinkwasserqualität plötzlich zu einem Politikum in ihrem Heimatland werden könnte, hätte sie nie für möglich gehalten, sagt Hutchinson am Telefon.
Nachdem USAID praktisch geschlossen und andere Behörden stark zusammengestrichen wurden, blickt Hutchinson ins Ausland. Ihr Masterstudium will sie in Europa machen, voraussichtlich an der Technischen Universität Kreta ab dem Herbst. «Ich möchte meine Karriere in einem Land aufbauen, das die Wissenschaften unterstützt», sagt die 22-Jährige. Diesen Schritt jetzt zu gehen, sei einfacher, als in fünf Jahren. Eine Rückkehr in ihre Heimat plant sie nicht, sie fasst nun internationale statt amerikanische Hilfsorganisationen ins Auge.
Europäische Hochschulen wittern eine Gelegenheit
Die Fachpublikation «Nature» hat jüngst erhoben, dass drei von vier befragten Wissenschaftern erwägen, die USA zu verlassen. Besonders gross war der Anteil unter Wissenschaftern am Anfang ihrer Karriere: Von den 690 Studenten im Masterstudium, die an der Umfrage teilnahmen, spielten 80 Prozent mit diesem Gedanken.
Europäische Hochschulen wittern ihre Chance: Eine grosse deutsche Universität plant, im Silicon Valley in den nächsten Monaten mehr Rekrutierungsveranstaltungen anzubieten. Wie ein Mitarbeiter gegenüber der NZZ erklärt, will man den Amerikanern in Workshops erklären, wie man in Deutschland studieren, promovieren oder einen Postdoc machen kann.
Die EU will ebenfalls ihre Forschungsbudgets aufstocken, um mehr amerikanische Wissenschafter anzulocken. Die französische Universität Aix-Marseille hat gar ein neues Programm namens «Safe place for scientists» gegründet, das speziell amerikanische Forscher umgarnt. 15 Millionen Euro sind für 15 Stellen auf drei Jahre hinaus budgetiert. Jeden Tag gingen ein Dutzend Bewerbungen ein, heisst es. Andere Hochschulen haben ähnliche Pläne.
«Die Entwicklung in den USA ist eine Riesenchance für Deutschland und Europa», sagte die deutsche Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier, die an der University of California, Berkeley lehrt, in einem Interview. «Ich weiss, dass sehr viele Leute darüber nachdenken, wegzugehen.»
Die Universität ist die Pipeline für die Pharmaindustrie
Die UCSF-Professorin Acharya will ebenfalls nicht ausschliessen, die USA zu verlassen. Doch ihre Familie und Freunde seien alle in Kalifornien, und sie habe noch nie im Ausland gelebt. Sie fühle sich hin- und hergerissen. «Kann ich mein maximales Potenzial hier in den USA noch ausschöpfen?», sagt sie und schüttelt ratlos den Kopf.
Mit fünfzig Jahren befinde sie sich eigentlich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, sagt sie, es gebe noch so viele Forschungsfragen, denen sie nachgehen wolle. «Ich hätte nie gedacht, dass mein Lebenswerk mir unter den Füssen weggezogen werden könnte.»
Die Professorin sorgt sich nicht nur um ihre eigene Zukunft. Die Universitäten und Universitätsspitäler bildeten schliesslich Wissenschafter für alle Wirtschaftszweige aus, von der Pharmaindustrie bis zu Startups. Sie alle hätten somit irgendwann einmal von öffentlichen Fördergeldern profitiert. «Ohne Forschung wird die nächste Generation von Wissenschaftern fehlen.»