Ungarns Regierungspartei verbietet den Pride-Marsch in Budapest. Die Empörung der Gegner ist dabei einkalkuliert und soll gegen schlechte Umfragewerte helfen.
Im Schnellverfahren hat Ungarns Parlament am Dienstag Umzüge wie den Pride-Marsch in Budapest verboten. Viktor Orbans Regierungspartei Fidesz argumentiert, Kinder müssten vor solchen Anlässen geschützt werden, bei denen Vertreter sexueller Minderheiten friedlich für ihre Rechte demonstrierten. Explizit genannt wird die Budapest-Pride im Gesetz zwar nicht. Es richtet sich aber gegen alle Versammlungen, die «Abweichungen von der Identität des Geburtsgeschlechts, der Geschlechtsumwandlung oder der Homosexualität fördern oder zur Schau stellen».
Die liberale Opposition sieht die Regelung als massive Einschränkung der Versammlungsfreiheit und als diskriminierend. Abgeordnete zündeten im Parlament Rauchbomben und spielten die sowjetische Hymne ab. Die Organisatoren der Budapest-Pride kündigten an, sie würden den für Juni geplanten Anlass dennoch durchführen. Den voraussichtlich mehreren tausend Teilnehmern drohen aber Bussen von umgerechnet knapp 500 Franken. Zudem darf die Polizei sie unter Rückgriff auf ein Anti-Terror-Gesetz mit Gesichtserkennungssoftware überwachen.
Homophobe Kampagne in Budapest
Das neue Gesetz fügt sich in eine homophobe Kampagne der ungarischen Regierung ein, die seit fünf Jahren immer weitreichender wird. 2020 verbot Budapest Geschlechtsumwandlungen, 2021 erliess das Parlament eine Regelung, die Kindern den Zugang zu Informationen über nicht heterosexuelle Lebensformen verwehrt. So wurden Bücher und Werbungen verboten, die etwa Schwule zeigen und Minderjährigen zugänglich sein könnten. Vorbild waren Regelungen in Russland gegen «nichttraditionelle Beziehungen».
Orban und Wladimir Putin vereint dabei das Selbstverständnis als Vorreiter des Kampfs gegen «abnormale» Tendenzen in westlichen Gesellschaften. Vertreter des Fidesz argumentierten immer wieder, Kinder könnten durch «Gender-Propaganda» in ihrer Entwicklung nachhaltig geschädigt werden, obschon solche Ideen gerade in Ungarn eine marginale Rolle spielen. Orban hat im Februar auch angekündigt, er wolle die Unterscheidung in zwei Geschlechter in der Verfassung festschreiben.
Politisch sind solche Kampagnen für Kulturkämpfer wie Orban geradezu eine Wunderwaffe. Auch wenn laut Umfragen die Mehrheit der Ungarn ein Verbot der bunten und zuweilen provokativen Budapest-Pride ablehnt und das Land historisch eine relativ liberale Haltung gegenüber der Homosexualität einnahm, mobilisieren diese Themen die wertkonservativen Wähler des Fidesz. Dieser versucht, mit der Agitation auch rechtsextremen politischen Kräften wie der Partei Mi Hazank das Wasser abzugraben. Sie hatte ein Verbot seit längerem gefordert.
Gleichzeitig kalkuliert Orban bewusst die Empörung seiner liberalen Gegner im In- und Ausland. Die absehbaren Proteste aus Europa nutzt er, um sich als politisch Verfolgten darzustellen und etwa die Zurückhaltung von EU-Geldern durch Brüssel wegen rechtsstaatlicher Verstösse als ideologisch motiviert zu diskreditieren. Solange der Kulturkampf die Diskussionen beherrscht, kann der Langzeit-Regierungschef von Kritik an Korruption und Vetternwirtschaft ablenken.
Opposition unter Magyar wird stärker
Dass Orban die Kampagne gerade jetzt forciert, weist aber auch auf eine gewisse Nervosität hin. Seit der ehemalige Fidesz-Funktionär Peter Magyar mit seiner Tisza-Bewegung einen kometenhaften Aufstieg erlebt, wächst der Erfolgsdruck auf Orban. Wenn auch knapp, so liegt Magyars Tisza doch seit Ende 2024 in allen Umfragen vor dem Fidesz. In einer solchen Konstanz gab es dies in den letzten 15 Jahren nie.
Der Quereinsteiger überzeugt dabei weniger durch ein klares Programm: Dieses ist vage, seine Organisationsbasis schwach. Magyars Zuspruch speist sich primär durch die Unzufriedenheit über die Regierung. Er geht auch in der Provinz konkrete Missstände an wie das katastrophal schlechte Gesundheitssystem und die Probleme im Bildungssektor. Beobachter glauben deshalb, dass Orban seinen Opponenten in eine Falle locken will, indem er ihn zwingt, sich beim polarisierenden Thema der sexuellen Minderheiten zu positionieren und so die heterogenen potenziellen Tisza-Wähler zu spalten.