Der ehemalige Fallanalytiker Hans-Peter Meister geht von einem persönlichen Motiv des Täters aus. Dieser wurde nach Jahren mittels DNA gefasst.
Dreizehn Jahre lang bleiben die Morde an einer Psychoanalytikerin im Zürcher Seefeld sowie an einem Rentnerpaar in der Berner Gemeinde Laupen ungelöst. Besonders rätselhaft wirkt dabei, dass die beiden Tötungsdelikte auf den Tag genau fünf Jahre auseinanderliegen. Die Ärztin stirbt am 15. Dezember 2010, das Ehepaar am 15. Dezember 2015. Beide Male finden die Ermittler dieselbe DNA an den Tatorten. Nun ist den Ermittlern ein spektakulärer Durchbruch gelungen. In Genf wurde ein 45-jähriger Spanier verhaftet, zu dem die DNA passt.
Hans-Peter Meister war an den Ermittlungen beteiligt. Als Fallanalytiker unterzog er mit seinem damaligen Team die beiden Fälle einer sogenannten operativen Fallanalyse (OFA). Meister ist mittlerweile pensioniert und lebt in Deutschland.
Herr Meister, der mutmassliche Täter ist in Genf verhaftet worden. Es handelt sich um einen 45-jährigen Spanier. Wie gross ist die Erleichterung?
Die Kollegen des Dezernats «Leib und Leben» der Kantonspolizei Bern und der Kapo Zürich werden sicher sehr erleichtert gewesen sein, dass alles geklappt hat. Ich habe innerlich gejubelt, als ich die Information erhalten habe. Man muss sich das einmal vorstellen, seit dreizehn beziehungsweise acht Jahren ermittelt man bei diesen beiden Fällen unermüdlich weiter in dem Wissen, dass da draussen ein Mörder frei herumläuft. Man hat zwar eine DNA, die direkt mit den Tötungsdelikten zu tun hat. Doch nach ein paar Jahren erscheint die Suche nach dem Täter hoffnungslos.
Der fallführende Staatsanwalt Matthias Stammbach hat einen Bezug zu den Tatorten erwähnt, ohne mehr zu verraten. Was denken Sie? Wie ist man auf den Täter gestossen?
Ich denke, der Mann hat irgendwo ein Delikt begangen, bei dem ihm seine DNA abgenommen und dort in die nationale Datenbank eingespeist worden ist. In der Folge hat der Suchlauf mit noch offenen DNA-Spuren einen Treffer mit den beiden Schweizer Fällen ergeben. Möglicherweise wollte er wegen eines Deliktes wieder in die Schweiz, weil er abermals auf der Flucht war.
Sie waren Fallanalytiker. Wie kommen Sie bei Mordermittlungen zum Einsatz?
Die Ermittlungsleitung zieht die Fallanalytiker hinzu, wenn sie nach 24 Stunden noch keinen konkreten Ansatz zur Täterschaft hat. Die Analytiker haben die Möglichkeit, den Tatort auch noch frisch nach der Spurensicherung zu sichten. Es gibt allerdings auch Fälle, bei denen das OFA-Team Wochen oder Monate später angefragt wird. Dann heisst es, alle objektiven Fall- und Opferinformationen zu erhalten. Der wichtigste Teil ist die Tatrekonstruktion. Diese bildet die Basis für alle weiteren Schritte wie Verhaltensbewertung, Festlegung des Motivs oder Fallcharakteristik. Im Idealfall wird daraufhin ein Täterprofil erstellt. Das Ergebnis sollte eine objektive, neutrale, allenfalls sogar eine neue Sicht auf den Fall sein.
Von den Opfern der beiden Fälle weiss man mittlerweile, dass sie sich nicht gekannt haben.
Das bedeutet, dass die Ermittlungen in beiden Fällen zum selben Resultat geführt haben. In der Regel sehen wir, wenn es eine Verbindung zwischen den Fällen gibt. Nur ein einziger von den vielen Befragten hätte diese Verbindung andeuten müssen, und es hätte bei uns geklingelt. Das war nicht der Fall.
Aber der Täter hat die Opfer offenbar gekannt.
Diese Tatsache ist eigentlich bemerkenswert. In Zürich und Bern wurden Hunderte von Leuten befragt, und keiner der Befragten hat den Täter als Bekannten des Opfers oder als negativ aufgefallene Person benannt. Diese wäre sonst ja in beiden Fällen in den Fokus der Polizei geraten.
Was, vermuten Sie, war das Motiv?
Ich würde bei beiden Fällen auf ein persönliches Motiv tippen. Stünde ein finanzielles oder sexuelles Motiv im Vordergrund, wäre dies bereits nach der Tat öffentlich bekanntgeworden. Interessant ist der Umstand, dass jemand aus persönlichen Gründen einen Menschen brutal umbringt, danach aber polizeilich nicht mehr weiter auffällt. Fünf Jahre später verübt er ein noch brutaleres Delikt. Und auch nach diesem Delikt kann er es fast acht Jahre lang vermeiden, in grösserem Mass straffällig zu werden.
Was ist denn ein persönliches Motiv?
Das Opfer hat durch Worte oder eine Handlung direkt oder indirekt den Täter gekränkt, persönlich verletzt oder diesem auf andere Art geschadet. Der Täter verübt die Tat aus persönlichen Gründen.
Was glauben Sie, geschahen die Taten geplant oder im Affekt?
Das werden wir vielleicht nie sagen können. Ich bin jedenfalls gespannt, was er dazu aussagen wird.
Die Phänotypisierung, die mit der DNA möglich gewesen wäre, kam in keiner Phase der Ermittlungen zur Anwendung. Ein Versäumnis?
Nein, man durfte damals gesetzlich noch gar nicht auf dieses Mittel zurückgreifen. Aber es hätte auch nicht geholfen. Angenommen, ich wäre in den schottischen Highlands und suchte nach einem da ansässigen Täter, der ein asiatisches Profil hat. Recherchen ergeben nun, dass im Umkreis von 50 Kilometern nur zehn mögliche Personen asiatischer Herkunft wohnhaft wären. In diesem Fall hätte die Phänotypisierung perfekt geholfen, einzuschränken und so die Ermittlungen zu priorisieren. Aber im Fall von Laupen oder Zürich hätte man in dem Fall vermutlich einen südeuropäischen Mann mit schwarzen Haaren und braunen Augen als Phänotyp erhalten. Dies hätte der Ermittlung wohl nicht geholfen.
Verstörend an den Fällen ist das Datum. Auf den Tag genau nach fünf Jahren schlug der Täter am 15. Dezember wieder zu. Ein Zufall?
Nun, auch ich habe mir verschiedene Szenarien zurechtgelegt. Tatsache war, dass die Fälle sich in sehr unterschiedlichen Lebensbereichen bewegen. Wir suchten nach weiteren Gemeinsamkeiten ausser dem Datum, wurden aber nicht fündig. Damals hatte ich zeitweise das Gefühl, dass der Täter vielleicht aus dem Ausland angereist war. Dass vielleicht genau zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas Organisatorisches erledigt werden musste. Aber mit dem heutigen Wissen, dass der Täter jeweils in der Nähe der Opfer gelebt hat und diese gekannt hat, würde ich davon ausgehen, dass es sich beim Datum um einen bösen Zufall gehandelt hat. Ich bin gespannt, was die Ermittlung darüber herausfinden wird.