Polizeidaten sollten besser ausgetauscht werden können. Das fordert Mark Burkhard, Kommandant der Baselbieter Kantonspolizei und Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten.
Herr Burkhard, seit Jahren beklagen sich die Polizeikommandanten, dass Ermittlungen erschwert würden, weil der Austausch von Polizeidaten nur mangelhaft klappe. Wie konnte es so weit kommen?
Bei uns sind die Kantone für die Polizei zuständig, seit je. Aber Kriminelle orientieren sich natürlich nicht an Kantons- oder Landesgrenzen, heute schon gar nicht mehr. Die Zeiten haben sich diesbezüglich enorm geändert, aber unsere Gesetze sind in vielen Kantonen noch die alten. Es fehlen schlicht die rechtlichen Grundlagen, um die einzelnen Systeme zu verbinden und rasch an Informationen aus den anderen Kantonen zu kommen.
Das haben die Kantonspolizeien schon vor fünfzehn Jahren beklagt, passiert ist offenbar nichts. Weshalb?
Das weiss ich nicht. Tatsache ist, dass wir die notwendigen Rechtsgrundlagen bis heute nicht haben. Und dies, obwohl die Ermittlungs- und Fahndungssysteme heute viele Dinge möglich machen würden, die noch vor einigen Jahren nicht denkbar waren.
Können Sie uns einen konkreten Fall nennen, bei dem die Polizei an Grenzen stiess und sie Täter nicht ermitteln konnte?
Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel, einen echten Fall: Im letzten Jahr sind drei Männer von einer Kantonspolizei angehalten worden. Sie wurden verdächtigt, zahlreiche Diebstähle begangen zu haben. Weil ihnen die Polizei aber nichts nachweisen konnte, musste man sie laufenlassen. Nachträglich zeigte sich, dass zwei der Männer in mehreren Kantonen Delikte begangen hatten. Doch bis die Informationen aus den anderen Kantonen eingetroffen sind, vergingen Tage. Da waren die Männer natürlich längst über alle Berge.
Gibt es nicht genau für solche Fälle die Fahndungsdatenbank Ripol?
Dort finden sich nur Personen, die zur Fahndung ausgeschrieben sind. Wenn die Ermittlungen aber noch laufen, ist dies meist nicht der Fall. Dann müssen die anderen Korps einzeln angefragt werden, damit man erfährt, was dort läuft. Das verzögert alles. Und es kann sogar dazu führen, dass Profitäter auf freiem Fuss bleiben und weiter Delikte begehen können.
Weshalb?
Vor zwei Jahren wurde ein Mann wegen Verdachts auf zwei Vermögensdelikte angehalten. Das reichte aber nicht aus, um ihn in Untersuchungshaft zu nehmen. Ein paar Tage später zeigten Informationen aus anderen Kantonen, dass der Mann für über 40 Delikte verantwortlich war. Hätten wir das rechtzeitig gewusst, hätte er wegen des Verdachts auf Gewerbsmässigkeit problemlos festgenommen und bestraft werden können. Heute müssen wir Einbrecherbanden einfach laufenlassen. Die Täter profitieren von unseren Wissenslücken. Und das ist nicht das einzige Problem.
Erzählen Sie!
Aus demselben Grund realisieren es unsere Polizisten oft auch nicht, wenn sie eine gefährliche Person vor sich haben. Sie halten jemanden an, weil sich die Person verdächtig verhält, müssen sie dann aber ziehenlassen. Und ein paar Tage später stellt sich heraus, dass gegen die Person an einem anderen Ort Ermittlungen wegen häuslicher Gewalt im Gange sind.
Es gibt doch für solche Fälle den Nationalen Polizeiindex?
Auch dort kann es Tage dauern, bis die Informationen vorliegen. Und die Polizistinnen und Polizisten müssen zudem einen Namen eingeben, um das System nutzen zu können. Nach Serientätern wird heute aber auch anders gefahndet, nämlich auch ohne dass die Täterinnen und Täter bereits mit Namen bekannt sind.
Wie geht das?
Manchmal verschwinden die Einbrecherbanden plötzlich wieder, und wir wissen nicht, weshalb. Vielleicht weil sie in einem anderen Kanton sind. Aber das können wir höchstens vermuten, denn wir haben den Zugriff auf die Daten nicht. Auch bei Cyberkriminalität gäbe es solche Analyse-Tools, und auch dort können wir sie nur isoliert einsetzen und nur unsere eigenen Daten nutzen. Das heisst: Wir suchen im Baselbiet nach Cyberkriminellen anstatt schweizweit. Das ist doch absurd!
Wir nutzen Algorithmen: Das System sucht anhand von einzelnen Elementen wie Spuren, Fingerabdrücken oder Tatzeiten nach Zusammenhängen und nach Mustern. Liegen diese vor, können wir Aktivitäten von Serientätern verfolgen und wissen, in welchem Gebiet wir suchen müssen. Zum Beispiel nach Einbrecherbanden.
Und weshalb braucht es dazu Daten aus anderen Kantonen?
Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte bezeichnet die Vernetzung von Polizeidatenbanken als «Rezept autoritärer Regenten».
Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. Wir sind im 21. Jahrhundert, und die Täterschaft ist national oder sogar international tätig. Darauf müssen wir uns doch einstellen. Andere Länder tun dies ganz selbstverständlich.
Welche denn?
Zum Beispiel Österreich, das mit der Schweiz durchaus vergleichbar ist. Dort gibt es schon sehr lange nur eine Polizei für das ganze Land. Deshalb können alle Polizisten landesweit auf alle Daten zugreifen. Niemand käme doch auf die Idee, das sei das Werk eines autoritären Regenten.
Das bedeutet aber, dass ein Kantonspolizist aus Uri sehen kann, ob ich im Baselbiet illegal Abfall entsorgt habe oder wegen Nachtlärm gebüsst worden bin. Weshalb braucht es das?
Um ehrlich zu sein: Das interessiert keinen Polizisten. Und er hat schon gar nicht die Zeit, sich um solche Dinge zu kümmern.
Aber möglich wäre es.
Es wäre theoretisch möglich, aber es ist irrelevant. Es gibt zudem klare Vorgaben und Restriktionen, auf welche Daten zugegriffen werden darf. Jeder Zugriff wird protokolliert und kann kontrolliert werden. Es würde also auffliegen, wenn jemand aus Neugier Abfragen durchführen würde. Die datenschutz- und polizeirechtlichen Grundlagen werden von der neuen Abfrageplattform also nicht tangiert und gelten weiterhin.
Aber weshalb müssen auch Bagatelldelikte schweizweit abrufbar sein?
Es ist in bestimmten Fällen wichtig, dass wir auch auf die Vorgeschichte von Personen zurückgreifen können. Man weiss zum Beispiel, dass die meisten Terroristen mit kleinen Delikten begonnen haben, mit Diebstählen zum Beispiel. Die kriminelle Energie wird nach und nach grösser, bis es irgendwann in einem terroristischen Umfeld endet. In diesem Zusammenhang können auch Bagatelldelikte durchaus relevant sein.
Darin besteht ja gerade die Befürchtung: dass mit einem Bagatelldelikt gleich auch der Verdacht einer bevorstehenden Terrorkarriere im Raum steht.
Das kann ich mir nicht vorstellen, sonst wäre das ja heute schon so: Wir haben ja alle Daten aus unserem eigenen Kanton, auch alle Angaben zu Bagatelldelikten. Dennoch ist mir kein Fall bekannt, bei dem es zu einer Schlussfolgerung gekommen wäre, wie Sie sie schildern. Das ist ein Nebenschauplatz, der in der Praxis keinerlei Bedeutung hat.
Was wäre, wenn man nur die Amtshilfe digitalisieren würde? Dann könnte man Polizeidaten austauschen, aber nur, wenn dafür ein triftiger Grund vorliegt.
Das würde nichts bringen. Erstens dauert auch die Rechtshilfe zu lange. Und zweitens könnten weiterhin keine gesamtschweizerischen Lagebilder erstellt werden. Genau diese wären aber wichtig, beispielsweise im Falle von terroristischen Anschlägen. Zudem muss auch im neu geplanten Abrufverfahren jede Datenabfrage begründet werden können.
Verlieren die Kantonspolizeien mit dieser Entwicklung ihre Bedeutung?
Das sehe ich nicht. Es geht jetzt um die Zusammenführung von Polizeidaten. Die Ermittlungen werden weiterhin von den Kantonspolizeien geführt, und die Strafverfolgung bleibt ebenfalls bei den Kantonen.
Wenn alle mit denselben Polizeidaten arbeiten, unterscheiden sich die Kantonspolizeien nur noch bei den Strukturen und den Uniformen?
Sie dürfen die lokale Verbundenheit nicht unterschätzen. Unsere Polizistinnen und Polizisten arbeiten in ihrem eigenen Kanton und werden nicht von Landesteil zu Landesteil verschoben. Sie kennen die Verhältnisse vor Ort und die Leute. Das ist unser grosser Vorteil. Nun müssen wir versuchen, die Nachteile des föderalen Systems auszugleichen und die Zusammenarbeit zu verbessern. Genau das bezwecken wir mit dem schweizweiten Austausch von Polizeidaten.
Auch bei der Bekämpfung von Gewalt bei Sportanlässen arbeiten die Kantone enger zusammen.
Das ist die Stärke unseres Systems: dass eine lokale Verbundenheit besteht, man sich aber dennoch national abstimmen kann.