Unter der Regie von Dominik Graf entwickelt Hauptkommissarin Cris Blohm scharfe Konturen. Sie macht Alleingänge und ermittelt «Jenseits des Rechts». Sehenswert!
Der Einstand des neuen Münchner «Polizeiruf»-Teams im vergangenen Jahr war eine im woken Studentenmilieu angesiedelte, furchtbar vergurkte Übung («Little Boxes»). Dann bekam die wunderbare Johanna Wokalek allerdings in einer knisternden Brandstifter-Romanze («Funkensommer») Gelegenheit, ihrer Ermittlerfigur Cris Blohm kriminalistisch wie erotisch ein paar Facetten angedeihen zu lassen. In ihrem dritten Fall, «Jenseits des Rechts», führt die Schauspielerin diese Entwicklung fort.
Der Regisseur Dominik Graf und der Autor Tobias Kniebe verwässern die Kriminalhandlung nicht mit Ausflügen in den Zeitgeist oder mit sozialem Milieukitsch. Sie konzentrieren sich ganz auf die feinen Zwischentöne einer Handlung, die schon im Splitscreen zu Beginn auf labile Befindlichkeiten hindeutet. Da sitzt die junge Mia Horschalek (Emma Preisendanz) beim Psychiater (Michael Roll) und erzählt von ihrer neuen Liebe: «Die vier Wochen waren krass.»
Beim Sex gefilmt
Sie fühle sich erstmals verstanden, sagt Mia – von Lucky, einem jungen Mann, der mit Pornofilmen sein Geld verdient und von dem sie sich wie selbstverständlich beim Sex filmen lässt. Mias Erzählung hat etwas von einer Erlösungsphantasie.
Als drei Tage später Lucky tot in seinem Wohnwagen gefunden wird, rückt Mias Vater (Martin Rapold) in den Fokus der Kommissare. Ralph Horschalek war der Umgang seiner Tochter mit dem Porno-Produzenten ein Dorn im Auge, wobei ihm ihr Ruf dabei sichtlich weniger Sorgen bereitet als das Renommee seines Unternehmens. Hat Horschalek etwas mit dem gewaltsamen Tod von Lucky zu tun?
Der Filmtitel «Jenseits des Rechts» tönt es an: Blohm und ihr Kollege Dennis Eden (Stephan Zinner) überschreiten bei den Ermittlungen Grenzen. Die Rechtsmedizin liefert ihnen mit einer DNA-Spur einen Hinweis, den sie nicht als Grundlage zur Mordaufklärung verwenden dürfen. Es gehört zu den vielen Vorzügen dieser Münchner Folge, dass geraume Zeit in der Schwebe bleibt, ob Cris Blohm nur an einem grossen verstörten Herzen leidet (auf Täterseite müsste man dann wohl von verminderter Zurechnungsfähigkeit sprechen). Denkbar auch, dass sich hier gerade eine Grenzgängerin ihres Berufsstandes outet, die auch einmal zur Lüge greift, wenn es ihrer Meinung nach der Wahrheit dient.
Cris Blohms Widerstandsgeist nimmt recht schnell Fahrt auf, als Horschalek aus Angst vor Negativschlagzeilen versucht, die Ermittlungen zu unterbinden. Dominik Graf schliesst in hektischem Perspektivenwechsel die sich überstürzenden Ereignisse kurz, die den Ermittlern immer wieder als Kontrollverlust vor die Füsse fallen. In diesem Kriminalfilm schreitet die Entwicklung präzise voran, als würde ein mit Sorgfalt konstruiertes Uhrwerk ticken. Alles greift hier schön durchdacht ineinander.
Vielversprechend
In einer hinreissenden Szene lässt Blohm sich von einem Anwalt beraten: Wie kann sie sich bei der Aufklärung vorwagen und gleichzeitig juristisch unangreifbar bleiben? Es ist ein besonderes Vergnügen, Wokalek dabei zuzuschauen, wie sie mit leiser Stimme und eindringlichem Blick zwischen sanfter Kratzbürstigkeit und bockigem Stolz changiert.
Ihr trostlos-schlottriges Jeans-und-Blusen-Outfit bildet sich gerade zum Markenzeichen dieser Ermittlerin heraus. Karl Lagerfeld soll in schwereren Fällen davon gesprochen haben, dass die Leute die Kontrolle über ihr Leben verloren hätten. So weit wird es hier nicht kommen. Nach drei Folgen hat Blohm in ihrer Mischung aus Entschlossenheit und Verletzlichkeit aber aufgeschlossen zu den schillerndsten TV-Ermittlern. Vielversprechend.
«Polizeiruf 110» aus München: «Jenseits des Rechts». Am Sonntag, 29. Dezember, um 20 Uhr 15 in der ARD.