Verschiedene Aussagen des Bundesrates haben jüngst für Verwunderung, teilweise gar für Empörung gesorgt. Thomas Greminger, Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, nimmt Stellung.
Wenige Wochen nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sagte Aussenminister Ignazio Cassis zum ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski: «Pass auf dich auf, mein Freund.» Zwei Jahre später organisierte die Schweiz einen Friedensgipfel auf dem Bürgenstock – ohne russische Beteiligung.
Jetzt aber, nur wenige Monate später, will sich die Trump-Regierung mit Russland an einen Tisch setzen – ohne die Ukraine. Und das Schweizer Aussendepartement begrüsst die Initiative. Vollzieht die Schweiz damit eine politische Kehrtwende?
EDA begrüsst Trumps Initiative
Innerhalb von 24 Stunden werde er den Krieg beenden, behauptete der US-Präsident Donald Trump noch im Wahlkampf. So schnell ging es nicht. Vergangene Woche jedoch telefonierte er mit Wladimir Putin und skizzierte eine Lösung, die dem russischen Präsidenten entgegenkommen würde: Die Ukraine soll auf die eroberten Gebiete verzichten sowie auf eine Nato-Mitgliedschaft. In Saudiarabien werden sich Amerika und Russland am Dienstag zu Gesprächen treffen – allein. Europa ist schockiert. Selenski sagte in einer Videokonferenz: «Wir können keine Vereinbarungen über uns ohne uns anerkennen.»
Das Schweizer Aussendepartement (EDA) von Bundesrat Ignazio Cassis erklärte via «Sonntags-Zeitung», dass die Schweiz «jede Initiative» begrüsse, die zu «einem umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden führen» könne. Für die Schweiz sei es jedoch «entscheidend», dass die Ukraine von Anfang an in die Gespräche mit einbezogen werde, «da es um die Zukunft der Ukraine» gehe. Die positiven Signale in Richtung Trump aus dem EDA haben Politiker von links bis rechts überrascht. Während die SP-Ständerätin Franziska Roth erklärte, sie sei «empört», begrüsste der FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann den Kurswechsel. Der Bundesrat habe gemerkt, «dass man sich als neutraler Staat anders verhalten muss».
Es blieb nicht die einzige aussenpolitische Wortmeldung, die in der Schweiz in den vergangenen Tagen heftig diskutiert wurde. Nachdem der amerikanische Vizepräsident J. D. Vance in einer Rede an der Münchner Sicherheitskonferenz die europäischen Demokratien scharf kritisiert und erklärt hatte, aus seiner Sicht sei «die Meinungsfreiheit auf dem Rückzug», waren zwar viele europäische Vertreter an der Konferenz entrüstet. Nicht so aber die Schweizer Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter.
In der Zeitung «Le Temps» sagte sie, die Rede des US-Vizepräsidenten sei «sehr liberal» und «in gewisser Weise sehr schweizerisch» gewesen. Das brachte ihr Kritik im eigenen Land ein. Der Parteikollege und Alt-Bundesrat Pascal Couchepin erklärte im «Sonntags-Blick», er sehe keine liberale Haltung, sondern «eine Facette von Amerika mit imperialistischen Zügen». Ähnlich argumentierte der Mitte-Präsident Gerhard Pfister auf X: Er könne «nicht viel echt Liberales» in der Rede erkennen. Die Präsidentin der Grünen, Lisa Mazzone, sagte, es sei «gefährlich, wenn sich die Schweiz Trump so anbiedert».
Gute Beziehungen zu den USA: im Interesse der Schweiz
Wie sind all diese Signale des Bundesrates zu deuten? Eine Kehrtwende in der Schweizer Aussenpolitik seien sie nicht, sagt Thomas Greminger, erfahrener Diplomat und Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. Es sei im Interesse eines Kleinstaates wie der Schweiz, gute Beziehungen zu einer Grossmacht wie den USA zu pflegen. Alles andere sei «unvernünftig».
Thomas Greminger war vor Ort in München und hat die Rede von Vance live gehört. Er empfand sie als «Zumutung». «So redet niemand, der eine konstruktive Zusammenarbeit mit seinen Partnern will», meint der Spitzendiplomat. Er habe gehofft, dass Vance weniger über Europa herziehe und dafür mehr über den Prozess zum Frieden in der Ukraine spreche. Was noch nicht ist, könne aber noch werden. Es sei nun wichtig, «Ruhe reinzubringen und zu schauen, was wirklich passiert».
Das Treffen zwischen den USA und Russland in Saudiarabien dürfe zudem nicht «überinterpretiert» werden, meint Greminger. Die beiden Länder hätten schliesslich seit drei Jahren nicht miteinander gesprochen. Der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Montag ebenfalls, dass es bei den Gesprächen mit den USA vorrangig um die Wiederherstellung der russisch-amerikanischen Beziehungen insgesamt gehe sowie um die Vorbereitung von Verhandlungen zur Konfliktlösung in der Ukraine. Gemäss Greminger ist es entscheidend, dass unterschieden wird zwischen Vorbereitungsgesprächen und eigentlichen Verhandlungen: «An Letzteren müssen alle relevanten Akteure am Tisch sitzen.»
Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter sagte gegenüber «Le Temps» auch, dass die Schweiz für eine zweite Konferenz zur Verfügung stünde.