Noch immer ist unklar, wer genau an den Schweizer Universitäten demonstriert. Das hat System.
Die Schweizer Universitäten haben die Kontrolle über ihre Räumlichkeiten zurückerlangt. In Bern, Genf, Basel, Freiburg und Zürich beendeten Polizisten vergangene Woche die unbewilligten Sit-ins von Pro-Palästina-Aktivisten. In Lausanne zogen die Besetzer freiwillig ab. Dort wurde eine Einigung mit der Universitätsleitung erzielt. Doch die Proteste gehen weiter: vor den Uni-Gebäuden und im Internet. Und an der Universität Neuenburg ist nach wie vor ein Raum besetzt.
Den Studierenden am Zentrum für jüdische Studien der Universität Basel machen die Proteste Sorgen. Das sagt Laura Alt, Co-Vorsitzende der Fachgruppe Jüdische Studien. Sie selbst ist nicht jüdisch, aber viele ihrer Mitstudierenden sind es. Das Zentrum schreibt am Freitag in einer Medienmitteilung: «Was rund um das Bernoullianum geschehen ist, hat für ein Klima der Angst unter jüdischen Studierenden sowie Besucherinnen und Besuchern unserer Anlässe und Veranstaltungen gesorgt.»
Vergangene Woche besetzten rund fünfzig Aktivisten das Bernoullianum, ein Gebäude der Universität Basel. Es liegt schräg gegenüber der Hauptbibliothek, wo viele Studierende für die anstehenden Prüfungen lernen. Einige Mitstudierende von Alt bleiben wegen der Proteste lieber zu Hause. Besonders leiden würden diejenigen, die wegen einer Kippa oder einer Davidstern-Kette als Juden erkennbar seien. Alt erzählt von einer Kollegin, die es vermied, an der Universität als Jüdin erkennbar zu sein. «Die Studierenden am Zentrum für jüdische Studien fühlen sich durch die Proteste bedroht.»
«Aufruf zu Gewalt an Juden»
Auch wenn die Protestierenden in Basel keine Räume mehr besetzen, sind sie immer noch präsent. Die Studierenden vom Zentrum für jüdische Studien fürchten eine erneute Besetzung.
In der vergangenen Woche hätten die Aktivisten zu Gewalt an Jüdinnen und Juden aufgerufen, indem sie Stichworte wie «Intifada» benutzt hätten, heisst es im Schreiben des Zentrums für jüdische Studien. Zudem sei die «antisemitische Terroristin» Leila Khaled verherrlicht worden. Khaled ist eine Ikone des palästinensischen Widerstands, die in den 1970er Jahren für die Befreiung Palästinas sogar Flugzeuge entführt hatte.
Durch Parolen wie «From the river to the sea» werde Israel das Existenzrecht abgesprochen. Weiter würden an den Demonstrationen antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet. Etwa indem die israelischen Truppen als Kindermörder hingestellt würden. Durch den Vorwurf, Israel betreibe einen Genozid, finde zudem eine perfide Täter-Opfer-Umkehr statt.
Pro-Palästina-Protestierende verweigern den Dialog
Alt spricht offen darüber, wie sie und andere Judaistikstudierende sich angesichts der Proteste fühlen. Anders die Protestierenden: Sie verweigern den Dialog. So wurde der Rektor der Universität Bern ausgebuht, als er mit Protestierenden sprechen wollte. Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagte er: «Das hat mir den Eindruck vermittelt, dass es den Protestierenden gar nicht um Dialog geht.»
Auf Anfrage der NZZ schreibt die Zürcher Bewegung Studentsforpalestine.ch: «Leider sind wir aktuell nicht bereit, Interviews mit der NZZ zu führen.» In einer Medienmitteilung fordert die Gruppierung die Universität auf, jegliche Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen, Firmen und Projekten offenzulegen. Selber bleibt sie aber intransparent.
NZZ-Journalisten waren in Lausanne und Zürich (ETH und Universität) bei den Protesten vor Ort. Die Demonstranten zeigten sich gegenüber den Medien sehr skeptisch. Protestierende wurden gebeten, nicht mit der Presse zu sprechen. Dafür gebe es eine Medienstelle. Doch auch diese gab nur spärlich und ausschliesslich anonym Auskunft.
Einer Anfrage dieser Zeitung auf Instagram stellten die Besetzer der Universität Basel die Forderung entgegen: «Könntest du uns bitte deine letzten Artikel zu Gaza schicken?» Auf die Bitte nach einem Austausch per E-Mail oder Telefon reagierte die Gruppe nicht mehr.
Von Anfang an hätten die Demonstranten in Basel jeglichen Dialog abgelehnt, schreibt das Zentrum für jüdische Studien: «Wer eine konstruktive, intellektuelle Auseinandersetzung auf Basis akademischer Prinzipien verweigert, ist an einer Universität fehl am Platz.»
ETH-Zürich: Der harte Kern waren Externe
Nicht nur mit den Medien, auch mit den Unileitungen kommunizieren die Exponenten der Gruppen anonym. Damit die Personen nicht zu erkennen sind, tragen sie Hygienemasken oder Kopftücher. Damit weiss niemand, wer die Protestierenden genau sind.
Oft sind die Aktivistinnen und Aktivisten keine Studierenden. Die Hochschulleitung der ETH, wo am Dienstag demonstriert wurde, gab am Freitag bekannt, dass von den 28 Demonstranten 23 keine Angehörigen der ETH waren. Es waren diejenigen Personen, die sitzen blieben, als die Polizei die Demonstranten aufforderte, den Saal zu verlassen. Die ETH-Leitung erstattet Anzeige wegen Hausfriedensbruch.
Zürcher Uniparlament fordert Unileitung dazu auf, Partnerschaft mit israelischen Universitäten einzustellen
nay. Am Freitag erfuhr die NZZ, dass sich das Uniparlament von Zürich mit den Forderungen der Protestierenden solidarisierte. Zumindest teilweise: Eine deutliche Mehrheit des Parlaments fordert die sofortige Einstellung der Partnerschaften mit den drei israelischen Universitäten Hebrew University, University of Haifa und Bar-Ilan University.
Ganz anders der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS). Er verurteilt in einer Mitteilung die laufende Besetzung. Gazmendi Noli, Co-Präsident des Verbands, wird zitiert: «Mit ihren teilweise diskriminierenden Forderungen und Aufrufen zu Gewalt haben die aktuellen studentischen Bewegungen jegliche Legitimation verloren.»