Julia Nawalnaja, die Witwe von Alexei Nawalny, wehrt sich mit einem öffentlichen Appell gegen ein Konzert des Putin-Vertrauten in Caserta.
Es könnte ein schöner Sommerabend werden, eigentlich. Erst «La forza del destino» von Verdi, dann die Fünfte von Tschaikowsky, zum Schluss Ravels «Boléro». Und das alles unter freiem Himmel, vor der suggestiven Kulisse des absurd grossen Königsschlosses der Bourbonen in Caserta im Hinterland von Neapel.
Könnte – wären da nicht die eingeladenen Musiker aus dem Mariinski-Theater in St. Petersburg und wäre da vor allem nicht der Dirigent, der 72-jährige Russe Waleri Abissalowitsch Gergijew. Um ihn und das geplante Konzert ist in Italien eine heftige Kontroverse entbrannt. Es handelt sich um eine weitere Auflage der seit Beginn des Ukraine-Krieges immer wieder aufflammenden Diskussion, ob es opportun sei, russische Künstler, selbst solche von Weltrang wie Gergijew, im Westen auftreten zu lassen.
Am Dienstag hat sie mit der Publikation eines ganzseitigen Appells im redaktionellen Teil der «Repubblica» einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Autorin des flammenden Plädoyers gegen Gergijews Auftritt war nicht irgendjemand, sondern Julia Nawalnaja, die Witwe des vor anderthalb Jahren in einem Straflager umgekommenen russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny.
«Auf der Seite der Schurken»
«Gergijew ist ein enger Freund Putins», schrieb sie in dem Artikel, «ein Förderer von Putins krimineller Politik, sein Komplize und Mitläufer.» Er sei zwar ein «ausgezeichneter Dirigent». Aber wie man aus der Geschichte wisse, «können auch grosse Künstler auf der Seite der Schurken stehen und mit ihrem guten Ruf grausame und unmenschliche Regime decken».
Seither ist Feuer im Dach, und die Vorfreude auf einen inspirierenden Abend unter den Sternen ist verflogen. Ob das Konzert am 27. Juli stattfinden wird, ist offen.
Es wäre nicht das erste Mal, dass Gergijew in Italien einen Rückzug antreten muss. Im Februar 2022 musste ein in der Mailänder Scala geplanter Auftritt des Dirigenten abgesagt werden. Die Scala-Verantwortlichen hatten Gergijew zuvor vergeblich aufgefordert, eine Erklärung abzugeben, in welcher er sich für eine friedliche Lösung im Ukraine-Konflikt hätte aussprechen sollen. Auch andere russische Künstler sehen sich in Italien immer wieder mit heftiger Kritik konfrontiert. Im letzten Dezember wurde die Sopranistin Anna Netrebko anlässlich der Saisoneröffnung in der Scala ausgepfiffen. Auch ihr wird Nähe zu Putin nachgesagt.
Tatsächlich scheint Gergijew dem russischen Präsidenten besonders eng verbunden zu sein. 2014 hat der Dirigent die Annexion der Krim öffentlich unterstützt. 2016 wiederum hat er ein Konzert im Theater von Palmyra in Syrien gegeben, nachdem dieses von russisch unterstützten syrischen Truppen zurückerobert worden war. Vor dem Auftritt des Orchesters wurde damals eine Rede Putins übertragen. Für Beobachter steht fest, dass Gergijew sich in den Dienst des russischen Staates und dessen Propaganda stellt.
Imperium in Italien
In ihrem Artikel in der «Repubblica» verweist Nawalnaja zudem auf Recherchen des Anti-Korruptions-Netzwerks ihres verstorbenen Gatten. Danach soll Gergijew über mehrere Jahre hinweg beträchtliche Mittel einer nach ihm benannten Wohltätigkeitsstiftung für persönliche Zwecke verwendet haben. Sie hätten ihm ein «Leben in Luxus» ermöglicht.
Italienische Medien, die sich auf diese und andere Quellen aus russischen Oppositionskreisen stützen, berichten, der Dirigent habe sich über die Jahre auch in Italien ein regelrechtes Imperium aufgebaut. Die Rede ist von einem luxuriösen Anwesen in der Nähe von Sorrent, einem Vergnügungspark in Rimini, einem historischen Palazzo in Venedig sowie Restaurants und Bars. Gergijew sei bisher den westlichen Sanktionen entgangen, schreibt das Römer Blatt.
Für die italienische Politik handelt es sich um eine delikate Angelegenheit. Sie lässt sich jedenfalls parteipolitisch nur schlecht ausschlachten. Für Kulturminister Alessandro Giuli birgt das geplante Konzert «die Gefahr, ein falsches Signal zu setzen». Verantwortlich sei aber die Region Kampanien.
Dass Giuli und die Regierung in Rom versuchen, sich aus dem Spiel zu nehmen, hat auch damit zu tun, dass es innerhalb der Koalition um Giorgia Meloni in Sachen Russland immer wieder zu Spannungen kommt. Mit der Lega von Matteo Salvini sitzt eine Partei in der Regierung, die ihre Sympathien für Putin mehr schlecht als recht versteckt. Der Parteivize Roberto Vannacci bezeichnete denn auch die Diskussion um den Auftritt Gergijews als «kulturellen Rassismus», der die «Heuchelei jener Kreise aufzeigt, die angeblich Mauern einreissen und Brücken bauen wollen, aber die Ersten sind, wenn es darum geht, diejenigen auszuschliessen, die nicht ihrer Meinung sind».
Linke in der Bredouille
Aber auch der oppositionelle Partito Democratico (PD) tut sich schwer, eindeutig Stellung zu beziehen. Vincenzo De Luca, Präsident der Region Kampanien, ist Mitglied des PD und hat den Anlass in Caserta bisher energisch verteidigt. Man stehe selbstverständlich solidarisch auf der Seite der Ukraine, liess De Luca verlauten, aber man werde keine «Logik der Ausgrenzung» akzeptieren. Eine solche schüre lediglich den Hass und trage nicht zum Frieden bei.
Wie es in der Sache weitergeht, ist derzeit unklar. Derweil dürften sich die Besucher der Veranstaltungsreihe in Caserta auf den Eröffnungs- und den Schlussabend freuen. Am 19. Juli treten die Musiker der Accademia Barocca di Santa Cecilia auf, einer politisch ganz und gar unverdächtigen italienischen Institution. Und den Schluss macht am 31. Juli Edoardo Bennato, der mittlerweile 78-jährige Rockmusiker aus Neapel.
Möglich, dass er dann seinen alten Hit «L’isola che non c’è» zum Besten gibt – ein Lied als Metapher für eine ideale Welt, frei von Krieg, Gaunereien und Hass.