Frankreichs berühmtester Schauspieler steht wegen Missbrauchsvorwürfen vor Gericht. Zwei Frauen werfen ihm sexuelle Übergriffe am Filmset vor. Doch Depardieu sieht sich selbst als Opfer – und als Relikt «der alten Welt».
Als Gérard Depardieu am Dienstag, dem 25. März, den Sitzungssaal der Zehnten Kammer des Pariser Strafgerichts betritt, wirkt er wach und aufmerksam – trotz sichtbarer Mühen beim Gehen. Der 76-jährige stützt sich an der Schulter seines Verteidigers, Maitre Jérémie Assous. Er trägt dasselbe Outfit wie am Vortag: Schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarzes Jackett, Turnschuhe.
Es ist der zweite Prozesstag, und Depardieu freut sich, auf der Zuschauerbank wieder seine Unterstützer zu sehen. Er lächelt ihnen zu: Seiner Ehefrau Magda Vavrusova, seiner Ex-Partnerin Karine Silla und ihrem Mann, dem Schauspieler und Regisseur Vincent Perez. Auch Depardieus Tochter Roxane und die Drehbuchautorin Émilie Frèche sind erneut gekommen. Den jugendlichen Sohn seines Anwalts Assous begrüsst Depardieu mit einem Wangenküsschen. Dann begibt er sich in die vorderste Reihe, wo man für ihn einen Holzwürfel aufgestellt hat.
«Berühr meinen grossen Sonnenschirm»
Es ist derselbe Würfel, auf dem Depardieu während der Dreharbeiten zu dem Film «Les volets verts» (Die grünen Fensterläden) von Jean Becker sass. Damals, im August 2021, soll es am Set zu sexuellen Übergriffen gegen zwei Frauen gekommen sein. Die Bühnenbildnerin Amélie K., 54 Jahre alt, und die Regieassistentin Sarah, 33 Jahre alt (Vorname geändert), werfen Depardieu vor, sie an intimen Körperstellen berührt und obszön beleidigt zu haben. Dafür drohen Frankreichs berühmtestem Schauspieler fünf Jahre Haft und eine Geldstrafe von 75 000 Euro. Der Prozess dauert noch mindestens bis Donnerstag.
Gedränge herrscht auf dem Vorplatz des Gerichts, wo feministische Aktivistinnen Plakate hochhalten, auf denen Botschaften wie «Na Gérard, gefällt dir das immer noch, du Schlampe?» oder «Worauf wir stolz sind, ist eine vorbildliche Justiz» zu lesen sind. Auch vor dem Sitzungssaal im Zweiten Stock drängen sich Journalisten und Bürger, die hoffen, noch hinein zu gelangen. Weil nur einige Säle weiter ein Korruptionsprozess gegen den ehemaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy läuft, stehen Dutzende von Polizisten in den Fluren.
Spannungsgeladen war schon der Montag gewesen, als Assous, der flamboyante Staranwalt mit den zurückgegelten Haaren, ein furioses, fast zwei Stunden langes Plädoyer hielt. Auf seinen Mandanten, rief er ins Gericht, sei eine mediale Hetzjagd entfesselt worden, die Untersuchung sei völlig voreingenommen, der Prozess müsse wegen Verfahrensfehler eingestellt werden. Vergeblich: Der Gerichtspräsident Thierry Donard wies den Antrag zurück.
Und so tritt der Schauspieler am Tag darauf in den Zeugenstand. Noch einmal hat Donard die Vorwürfe der Klägerin Amélie in Erinnerung gerufen: Dass Depardieu die Bühnenbildnerin an die Wand gedrückt, mit den Armen gepackt und zwischen seinen Beinen eingeklemmt haben soll. Dass er ihren Schambereich und ihr Gesäss berührt und «Komm und berühr meinen grossen Sonnenschirm, ich schiebe ihn dir in die Muschi» gesagt haben soll. Nun soll der Angeklagte seine Sicht der Dinge schildern. «Ich werde mein Bestes geben», sagt Depardieu und holt weit aus.
«Ich darf doch wohl noch Schweinereien sagen»
Der Schauspieler spricht über den Ruf eines Gangsters, der ihm anhafte, seit er dem «Time Magazine» vor 50 Jahren ein Interview gegeben habe. Damals habe er irrtümlicherweise gesagt, dass er im Alter von neuen Jahren an Vergewaltigungen teilgenommen habe, was er so aber gar nicht habe sagen wollen. Sein Englisch sei einfach zu schlecht gewesen. Aber das habe ihn nicht daran gehindert, «ungefähr 250 Filme» zu drehen. Auch über seine «russische Natur» und seinen Ruf, ein Trinker und vulgär zu sein, redet Depardieu, bevor er, als ihn der Richter darum bittet, zur Sache kommt.
Er habe an jenem Tag in der Wohnung, in der der Film gedreht wurde, zwischen zwei Szenen auf seinem Würfel gesessen. «Es ist heiss, ich wiege 145 Kilos, ich bin schlecht gelaunt.» In diesem Moment habe er mit Amélie über das Bühnenbild gesprochen. Er sei von ihr genervt gewesen, weil sie ein Gemälde an der Wand, das ihm gefiel, als Kitsch bezeichnet habe, und im Zorn habe er die Frau an den Hüften gefasst.
Ob er Amélie anstössige Bemerkungen zugerufen habe, will der Richter wissen. Nun ja, antwortet Depardieu, das Wort «Muschi» rutsche ihm schon öfters mal raus. Auch, dass er wegen der Hitze «keine Erektion bekomme», könnte er vielleicht gesagt haben. Aber warum auch nicht? Das sei ja nicht gegen Amélie gerichtet gewesen. «Ich darf doch wohl noch Schweinereien sagen!»
Dass Depardieu vor Gericht zugibt, seine Kollegin berührt zu haben, ist neu. Zuvor, im Polizeigewahrsam, hatte er jeglichen physischen Kontakt zu Amélie bestritten. Aber das nur, rechtfertigt er sich, weil es ihm sein früherer Anwalt so geraten habe. In jedem Fall sei die Berührung nicht sexuell motiviert gewesen. Er wüsste nicht, warum er Frauen befummeln und ihnen an den Busen oder den Po greifen sollte. So einer von diesen Typen, die sich in der Metro an den Körpern anderer Leute reiben, sei er nicht. «Mit 76 Jahren und 130 Kilo – glauben Sie wirklich, dass ich mir so etwas leisten würde?», fragt Depardieu. «Ich mag mich selbst schon kaum. Ich fasse niemanden an, weder am Set noch anderswo.»
Schweinemasken und spuckende Frauen
Auf Nachfrage des Richters zeichnet Amélie ein anderes Bild der Ereignisse. Sie erinnert sich an einen erregten Mann «mit roten Augen», der sie gepackt habe. Sie sei über die «grosse Kraft» des Schauspielers erstaunt gewesen. Und sie erzählt, von den drei Augenzeugen, die ihren Schockzustand bemerkt hätten. Warum sie erst zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall Anzeige erstattet habe, will der Richter wissen. Aus Scham, sagt sie. «Und aus Angst, die Dreharbeiten zu gefährden». Erst als sie einen Artikel gelesen habe, indem es um Charlotte Arnould ging – eine Schauspielerin, die Gérard Depardieu 2018 der Vergewaltigung beschuldigt hatte –, sei in ihr «alles wieder hochgekommen».
Auch Arnould erschien am Montag aus Solidarität mit den Klägerinnen vor Gericht. Nachdem ein erstes Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde, wird ihr Fall jetzt in einem eigenen Strafprozess aufgerollt. Insgesamt haben etwa 20 Frauen öffentlich Vorwürfe gegen Depardieu wegen sexueller Gewalt erhoben.
Der Schauspieler hingegen sieht sich als Opfer der Medien. Vor Gericht beklagte sich Depardieu, dass er seit Jahren nicht mehr gedreht habe. Er erzählte von seinen Konzerten «Depardieu chante Barbara», wo Demonstranten mit «Schweinemasken» aufgetaucht seien, und von Frauen, die seine Unterstützerinnen bespuckt hätten. «Diese Bewegung wird sich zu einer Form von Terror entwickeln», sagte er, ohne MeToo beim Namen zu nennen. Er wisse, dass er viele Sachen gesagt habe, die aus der «Alten Welt» kämen: «Ich glaube, meine Zeit ist abgelaufen.»