Personalisierte «Hirnwellenmusik» verspricht bessere Konzentrationsfähigkeit. Unsere Kolumnistin bleibt skeptisch. Doch für Menschen mit einer Aufmerksamkeitsstörung könnte Punkrock wie Medizin wirken.
Technologische Gadgets sind nicht mein Ding. Es hat Jahre gedauert, bis ich mir ein paar In-Ear-Kopfhörer geleistet habe. Nun gehöre ich zu der grossen Gruppe von Menschen, die im Alltag ganz nebenbei Musik hören – auch beim Arbeiten.
Dafür gibt es auf Spotify oder Youtube eigens konzipierte Playlists. Sie heissen «Focus» oder «Beta wave» und versprechen optimale Konzentration. Dahinter verbergen sich manchmal meditative Klänge und dann wieder rhythmische, laute Beats. Wie kann beides die Konzentration gleichermassen fördern?
Meditative Klänge führen zu weniger Beta-Aktivität
Amerikanische Psychologen haben sich genau dieser Frage angenommen und ihre Ergebnisse kürzlich im Fachjournal «Nature Communications» veröffentlicht. Die Wissenschafter spielten den Versuchspersonen speziell für das Experiment erstellte Musik vor.
Wie erwartet veränderte sich dabei die Hirnaktivität der Versuchspersonen. Besonders wenn sie schnellere Beats hörten, synchronisierte sich die Aktivität der Gehirnzellen im sogenannten Beta-Frequenz-Bereich zwischen 12 und 25 Hertz.
Gleichzeitig wurden die Versuchspersonen in einem Konzentrationstest besser – zwar nur geringfügig, aber immerhin. Ob die kleine Veränderung allerdings im realen Arbeitsleben spürbar sein könnte, darüber schweigen die Autoren.
Die optimale Stimulation für Menschen mit ADHS
Aus wissenschaftlicher Sicht ist unklar, ob die Beta-Frequenzen im Gehirn für die Leistungssteigerung verantwortlich sind oder ob sie lediglich eine Nebenerscheinung des Hörens, ein sogenanntes Epiphänomen, darstellen. Schon seit gut zwanzig Jahren streiten sich Psychologen darüber.
Zurück zur Studie: Interessanterweise profitieren besonders diejenigen Versuchspersonen von den schnellen Beats, die an einer Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) leiden und sich leicht ablenken lassen.
Die Forscher erklären diese Beobachtung mit der sogenannten «Optimalen Stimulationstheorie». Sie besagt, dass Menschen mit ADHS mehr externe Reize benötigten, um das Gehirn in einen Erregungszustand zu versetzen. Früher hätten diese Menschen vielleicht eine Punkrock-CD aufgelegt, heute greifen sie zur Spotify-Playlist für ADHS.
Das Gehirn mit schnellen Beats in Schwung bringen
Eine weitere Erkenntnis der Studie ist für jedermann interessant: Im Idealfall hörten die Versuchspersonen zuerst für eine Weile die schnellen Beats und danach die ruhigen Klänge. Die umgekehrte Reihenfolge wirkte kaum leistungssteigernd.
Am besten bringt man das Gehirn also zuerst mit schnellen Beats in Schwung und konzentriert sich dann bei ruhigen Klängen auf die Arbeit. Firmen bieten solche «Brain wave»-Musik, wie sie im Experiment verwendet wurde, speziell zum Arbeiten an. Sie lässt sich dank KI beliebig reproduzieren und anpassen.
Ich persönlich habe die synthetisierte Hintergrundmusik nach wenigen Minuten wieder abgestellt. Selbst wenn sie meine Hirnaktivität im optimalen Frequenzbereich stimulieren mag, sie muss mir auch noch gefallen. Zumindest sollte sie mir so lange nicht auf die Nerven gehen, bis ich diese Kolumne fertiggeschrieben habe. Das können für mich sowohl Punkrock als auch Mozart leisten – nicht aber KI-Gesäusel aus der Retorte.