Dieses Restaurant oberhalb von Adelboden war einst ein Pistenbeizli. Heute schafft das «Hohliebe»-Stübli den Spagat zwischen Gourmetlokal und Gemütlichkeit.
Die Spur des Vogellisi, das in einem Berner Oberländer Volkslied gesucht wird, werden wir erst gegen Ende dieses wunderbaren Abends wittern. Zu Beginn steuern wir das Auto durch dichten Nebel den Berg hinauf bei Adelboden, woher dieses Lisi laut Liedtext kommen soll. Da taucht wie eine Erscheinung das stattliche alte Holzhaus auf, hell erleuchtet.
Ein einfaches Pistenbeizli war das vor gut dreissig Jahren, als hier noch ein Tellerlift hochführte. Heute ist das «Hohliebe-Stübli» auf 1400 Höhenmetern ein Hort der gehobenen Esskultur, die beileibe nicht abgehoben ist. Seit 22 Jahren wirtet hier Andy Schranz mit seiner Lebenspartnerin Sandra Burn, und abends spielt er in der kleinen Küche seine ganze Kreativität aus. Der Herd wird noch mit Holz eingefeuert, aber Hightech-Geräte vom Paco-Jet bis zum Thermomix bringen die Moderne ins Spiel, wie in den zwei urgemütlichen Gaststuben die Gemälde des Adelbodners Björn Zryd.
Schranz, am sonnigen Chuenisbärgli vis-à-vis aufgewachsen, empfängt die Stammgäste, mit denen wir hier sind, in breitem Berndeutsch: «Schön, syt dr da.» Und es wird schön und schöner, da zu sein, Teller um Teller. Gekocht wird mit einheimischen Zutaten, ohne Folklorismus oder sklavische Beschränkung auf die Region, gleichzeitig bodenständig und innovativ. Dass sich der Gast ganz dem vorgegebenen Menu (Fr. 115.–, ohne Käse Fr. 105.–) fügen muss, darf man entspannt als Korrektur zur Multioptionsgesellschaft hinnehmen, die im Supermarkt die Qual der Wahl zwischen hundertfünfzig Joghurtsorten hat.
Manche der Kreationen sind Preziosen, geschmückt mit einem Zweiglein hier und mit einem Kräutlein dort. Zum Apéritif wird hausgemachtes Gebäck gereicht, etwa ein luftiges Kartoffel-Gemüse-Küchlein, als Amuse bouche ein von Kerbelmayonnaise und Buttermilch begleitetes Rüebli-Tatar, in dem das Karotten-Aroma potenziert zu sein scheint.
Als erste Vorspeise kommt ein auf der Haut gebratenes Filet vom Lago-Maggiore-Zander mit gerösteter Nusskruste; den dazu gereichten Risotto aus Riz du Vully von der pionierhaften Freiburger Reisproduktion umringt eine Kräutervinaigrette –welche formidable Idee, dem Gericht auf diese Weise etwas Säure zu spendieren! Von Saltimbocca inspiriert ist die helle, butterzarte Ribelmaishuhn-Brust im Bärlauch-Speck-Mantel, umzingelt von Silberzwiebeln und Ricotta-Gnocchi.
Die Weinkarte ist eine Fundgrube erlesener inländischer Tropfen. Aus dem überaus dünnwandigen Glas des österreichischen Labels Zalto geniessen wir einen Nasenschmeichler aus dem Aargau: den samtigen Pinot noir «Unter der Linde» des Guts zur Linde in Linn (Fr. 130.–). Zum Aufladen der Geschmacksknospen zwischendurch dient eine Gin-Tonic-Thymian-Granita, ehe der Chef den Hauptgang ankündigt: Der Hohrücken vom Black Angus stamme aus der Rinderzucht seiner Cousine Monika in Adelboden, sie hänge das Fleisch selbst wenige Wochen in den Reifeschrank, bis es leicht «dry aged» sei. Das Ergebnis ist saftig und aromatisch, dazu gibt’s eine unaufdringliche Specksauce mit Suchtpotenzial und ein schmackhaftes Mus von Bergackerbohnen.
Zur Krönung dieses Fünfgängers, der jeden Rappen wert ist, wird eine Mille-Feuille-Rondelle mit luftiger Kaffee-Kardamom-Crème und fruchtigem Kern und einem Tupfer Caramel beurre salé. Das Dessert ist hier weder mit Erd- noch mit Himbeeren verziert, das versteht sich bei diesem saisonbewussten Team von selbst; stattdessen gesellt sich ein Sanddorn-Sorbet dazu (das ich daheim mit Erfolg zu kopieren versuche).
Meine vermessene Frage, ob der beim Hauptgang angebotene Nachschlag auch beim Dessert möglich wäre, lässt die Servicekraft schliesslich ganz auftauen. Und was ist nun mit dem Vogellisi? Es erscheint uns als Namensgeberin des am Ende ausgeschenkten «Bergkaffees» von der Rösterei Adelboden, der mit seinem kräftigen Aroma an Mokka erinnert. Als letzten Gastro-Schrei bietet das Dorf, dem das Wachstum die eine oder andere Bausünde beschert hat, übrigens ein Lokal mit Cordon-bleu-Automaten. Nein, danke.
Da loben wir uns die Handarbeit der Mini-Crew am Berg, die ihr Ergebnis zu Recht als «Wohlfühlmenu» deklariert: Sie weiss Genuss mit Bekömmlichkeit zu verbinden – in der Nacht liegt uns rein gar nichts auf. Wenngleich die Lage keine spontane Laufkundschaft erwarten lässt, sollte unbedingt reservieren, wer hier abends einen Tisch finden will. Nun wissen wir, warum, und stimmen im Brustton der Überzeugung in das Hohelied auf die «Hohliebe» ein.
Restaurant Hohliebestübli
Hohliebeweg 17, 3715 Adelboden
Sonntags und montags geschlossen
Telefon 033 673 10 69
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
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