Tausende Autofahrer und Radiohörer können seit dem 1. Januar keine SRG-Sender mehr empfangen. Der Entscheid des Medienhauses, die UKW-Verbreitung vorzeitig abzuschalten, sorgt für Unverständnis.
Einen «Shitstorm, wie sie ihn noch nie erlebt hat» prophezeite der Radiopionier Roger Schawinski im letzten Juni der SRG. Damals kündigte das gebührenfinanzierte Medienhaus an, es werde ab 2025 keine Programme mehr über die Ultrakurzwelle UKW senden. Seit 1. Januar bekommen das all jene zu spüren, die ein älteres Radiogerät nutzen. Wer im Auto SRF-Sendungen wie «Die verflixte Gebrauchsanweisung», «Echo der Zeit» oder «Ein Wort aus der Bibel» einschalten will, hört höchstens ein Rauschen. Sofern die Frequenz nicht automatisch zu einem privaten Radio springt.
Von einem Shitstorm historischen Ausmasses ist die SRG bisher verschont geblieben. «Die Anzahl Anfragen von Hörer:innen war tiefer als von der SRG erwartet und deutet auf eine gute Kommunikation im Vorfeld hin», sagt der SRG-Sprecher Nik Leuenberger. Dennoch hat die abrupte Funkstille offenbar einige Unsicherheit ausgelöst. Laut Leuenberger hat die SRG in den letzten Tagen rund hundert Reaktionen erhalten – pro Tag. Die meisten drehten sich um die Nutzung der digitalen Technologie DAB+, die UKW schweizweit ersetzen soll.
«Verheerend» für die SRG
Gehässige Leserkommentare unter Zeitungsartikeln lassen jedoch vermuten, dass das Thema auch emotional bewegt. In der Radiobranche sorgt der Entscheid der SRG schon länger für Diskussionen. Während der Verband der Schweizer Privatradios das «mutige» Vorgehen im letzten Juni begrüsst hat – wohl auch, weil man auf enttäuschte SRG-Hörer hofft –, reagieren andere mit Unverständnis. Allen voran Radio-1-Besitzer Roger Schawinski, der 2021 eine Petition gegen die Abschaltung von UKW lanciert hat. Auf seinem Sender mobilisiert der einstige Radiopirat seit Wochen für sein Anliegen, indem er «Radio Gaga» von Queen zum Slogan der SRG erklärt oder den Autoimporteur Kenny Eichenberger zu Wort kommen lässt. Der findet das alles «absolut bireweich».
«Was die SRG macht, ist das Gegenteil von Service public», sagt Schawinski der NZZ. «Sie sollte als Gebührenempfänger nicht das erste Medienhaus sein, das UKW abschaltet, sondern das letzte.» So brüskiere man Tausende Gebührenzahler, die sich teure Geräte beschaffen müssten, um weiter Radio zu hören. Im Hinblick auf politische Initiativen, die der SRG drastisch die Mittel kürzen wollten, sei das verheerend.
Tatsächlich prescht die SRG mit ihrem Verzicht auf UKW vor. 2013 beschloss die Radiobranche, die UKW-Antennen bis Anfang der 2020er Jahre zu kappen. Um Kosten zu sparen, wollte man die Infrastruktur vereinheitlichen und auf die modernere DAB-Technologie setzen. Diese sollte als Übergangslösung dienen, da Radio in Zukunft wohl nur noch via Internet gehört wird. Doch DAB setzte sich viel langsamer durch als erwartet. Seit 2020 stagniert der DAB-Anteil in der Schweiz bei rund 40 Prozent. Bis heute kann in 30 bis 40 Prozent aller Autos nur mit UKW Radio gehört werden – und Autofahrer gehören immer noch zu den wichtigsten Kunden, auch 50 Jahre nach Kraftwerks Hit «Autobahn» («Jetzt schalten wir das Radio an, aus dem Lautsprecher klingt es dann . . .»).
Der Bundesrat hat die landesweite Abschaltung von UKW deshalb mehrmals verschoben. Nach dem – vorerst letzten – Willen des Medienministers Albert Rösti soll 2026 Schluss sein. Ab dann ist es verboten, über UKW zu senden, ausser in Notfällen. Die SRG hätte also mindestens ein Jahr weiter senden können, wie das die privaten Radios auch tun. Denn es ist gut möglich, dass das Ende der alten Technologie weiter verzögert wird. Im benachbarten Ausland verläuft die Entwicklung noch langsamer als in der Schweiz. In Frankreich soll UKW frühestens 2033 verschwinden, in Bayern 2035.
Botschaft an Bundesrat Albert Rösti: «Lassen Sie uns UKW»
Ihren vorzeitigen UKW-Ausstieg begründet die SRG vor allem mit Kostengründen. «Angesichts der angespannten finanziellen Situation der SRG wegen rückläufiger Werbeeinnahmen und der Teuerung sind weitere Investitionen in eine veraltete Verbreitungstechnologie nicht mehr vertretbar», schrieb sie im letzten Sommer. Pro Jahr könne man so rund 15 Millionen Franken sparen.
Kritiker der SRG wie Roger Schawinski halten das für eine PR-Aktion, die einen Sparwillen vorspiegle, den es gar nicht gebe. Die SRG nimmt derzeit jährlich über 1,5 Milliarden Franken ein, davon rund 1,2 Milliarden Gebühren. Die Androhung von dramatischen Sparmassnahmen gehört seit langem zum rhetorischen Repertoire der SRG-Führung. Die neue Generaldirektorin Susanne Wille sprach kürzlich von 270 Millionen Franken, die Tamedia-Zeitungen mutmassten über tausend Entlassungen. Geschehen ist bisher wenig.
Dafür müssen sich jene Gebührenzahler, die keinen DAB+-Empfang haben, vorzeitig neue Radios und Adapter besorgen, sofern sie weiter SRF hören wollen. «Autoadapter sind kaum noch zu haben», teilte das Online-Warenhaus Galaxus kürzlich mit, der Verkauf von DAB+-Radios habe um 270 Prozent zugenommen. Wer sein Auto umrüsten will, zahlt laut Experten 800 bis 1200 Franken für eine qualitativ gute Lösung. Für Ausländer, die in einem älteren Auto durch die Schweiz fahren, dürfte die Schweiz schon bald zu einem Funkloch werden.
Damit, so monieren Gegner der UKW-Abschaltung, verärgere die SRG nicht nur Gebührenzahler. Sie setze auch private Radios unter Druck, bis Ende 2025 ebenfalls auf UKW zu verzichten. Dafür gebe es jedoch angesichts der Situation in der EU keinen Grund, sagt Antoine de Raemy, der in der Romandie vier Radiosender mit rund 800 000 Hörerinnen und Hörern betreibt. «Wir sind das einzige Land, das UKW komplett kappt.» Selbst in Norwegen, das voll auf DAB+ setze, gebe es immer noch UKW.
De Raemy betont, er finde DAB+ «super». Aber im Gegensatz zur SRG erhalte er keinen Rappen an Gebühren und müsse sich auf einem Markt behaupten, in dem französische Sender eine viel grössere Konkurrenz seien als deutsche Anbieter in der Deutschschweiz. Da UKW in Frankreich frühestens in acht Jahren abgeschaltet wird, plädiert de Raemy dafür, die Technologie auf unbestimmte Zeit weiterzuführen. Meine Botschaft an Bundesrat Rösti ist: «Lassen Sie uns UKW noch ein paar Jahre, wir bezahlen auch selber dafür. Alles andere schwächt die Medienvielfalt.»
Bund spricht von «Umrüstungsschub»
Für die Verbreitung von DAB+ sind nach Schätzungen aus dem Bundesamt für Kommunikation bisher rund 60 Millionen Franken investiert worden. Der Bakom-Sprecher Francis Meier begründet die UKW-Abschaltung unter anderem damit, dass nur noch zehn Prozent der Bevölkerung das Radio ausschliesslich über UKW nutze. Und: «Die Information, dass die SRG ihre UKW-Verbreitung einstellt, hat zu einem Umrüstungsschub geführt.»
Gleichwohl bleibt das Problem, dass die Prognosen zu DAB+ europaweit zu optimistisch waren. Das bestätigte 2021 ausgerechnet die ehemalige Medienministerin Doris Leuthard, unter deren Ägide das UKW-Aus beschlossen wurde. In einem Interview erklärte sie damals, man habe in Europa irrigerweise geglaubt, Autos würden «sehr schnell» mit DAB+ ausgerüstet. Deshalb finde sie es «ein bisschen schwierig», wenn man UKW «voreilig» abschalte. Ein Alleingang der Schweiz habe keinen Sinn.
Darauf angesprochen, dass in der Schweiz Tausende Radiogeräte nutzlos würden, sagte sie: «Wir würden Volksvermögen vernichten, weil die Radios ja niemand mehr brauchen kann, und das will ja niemand.» Es sei doch in Ordnung, «wenn man das rausschiebt», bis Radio nur noch im Internet gehört werde.
Das Interview mit Leuthard führte Roger Schawinski. Für den 79-jährigen Talkmaster ist der Kampf für UKW auch eine Gelegenheit, seine Paraderolle zu spielen: er allein gegen Staat, Regierung und Monopolisten, er allein für die Konsumenten. Notfalls, so erklärt er, werde er gegen das UKW-Verbot in der Schweiz klagen.