Alle Welt spricht vom grossen Handelskrieg, den Donald Trump am 2. April vom Zaun brechen will. Während es Drohungen aus dem Weissen Haus hagelt, reist der Chef der schweizerisch-amerikanischen Handelskammer an die amerikanische Ostküste. Ein Treffen mit dem Ex-Diplomaten.
Wie verhindert man als Kleinstaat einen Handelskrieg mit dem streitlustigsten Präsidenten, den Amerika je gesehen hat? Niemand weiss es. Aber Rahul Sahgal, der Chef der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer, hat immerhin einen Plan: Er reist nach Washington und trifft so viele Leute, wie er kann.
«Jetzt muss man da sein»
Donald Trump hat ein massives Zollprogramm angekündigt, das er wohl am 2. April vorstellen wird. Er hat den Tag schon gross als «liberation day» bezeichnet. Dann wird ihm Handelsminister Howard Lutnick ein dickes Dossier auf den Tisch legen; mit Vorschlägen, welche neuen Zölle die USA ihren rund 200 Handelspartnern auferlegen sollen.
Oder auch bloss den «dreckigen fünfzehn», wie sie Finanzminister Scott Bessent jüngst nannte: diejenigen mit dem grössten Überschuss im Güterhandel mit Amerika. Die Schweiz ist auch gefährdet. Trump kündigte «reziproke Zölle» an, er will im Grundsatz Importzölle der Handelspartner mit demselben Zollsatz kontern, hat sich dabei aber auch «Flexibilität» ausbedungen.
«Wenn man noch Einfluss auf diesen Bericht nehmen möchte», sagt Sahgal, «muss man jetzt da sein.» Eine Woche lang tourte er kürzlich durch das politische Washington, mit einer zehnköpfigen Delegation von Steuerexperten aus der Schweizer Wirtschaft im Schlepptau.
Eigentlich wollte die Delegation die neue amerikanische Position zur globalen Mindeststeuer für Unternehmen ausloten: Die USA hatten die Verhandlungen hierzu einst zusammen mit Europa initiiert, aber später das Interesse verloren. Trump kündigte kurz nach Amtsantritt an, ganz aus dem System auszusteigen.
Sahgal wollte herausfinden, ob die Amerikaner an einer Partnerschaft mit der Schweiz interessiert sind – sie sah die Mindeststeuer, aus anderen Gründen als die USA, seit Beginn als lästige Pflichtübung an.
Wohlwollen, aber kein Deal
Sahgals Team sprach mit Meinungsführern, etwa aus dem Ways and Means Committee des Repräsentantenhauses: Dieser mächtige Ausschuss legt seit dem 18. Jahrhundert die Steuerpolitik der grossen Parlamentskammer fest. Auch Treffen mit Vertretern der Finanz- und der aussenpolitischen Kommission des Senats sowie mit führenden Finanzbeamten standen an.
«Wir stiessen auf sehr viel Wohlwollen und Verständnis», sagt Sahgal. Aber die Gesprächspartner liessen auch durchblicken, dass am Ende nur ein Mann in Washington entscheide.
Das grosse Thema in Washington sind derzeit nicht die Steuern, sondern die «reziproken Zölle». Branchen, Länder, Unternehmen: Alle wollen lobbyieren für Ausnahmen und Deals. «Vor dem Repräsentantenhaus stand man eine halbe Stunde in der Warteschlange. So etwas habe ich noch nie gesehen», sagt Sahgal. Ihm kommt zugute, dass er viele republikanische Regierungsvertreter und Berater bereits aus Trumps erster Amtszeit kennt. Auch die schweizerische Botschaft öffnet Türen.
Effizient und bestens vorbereitet
Für den 47-jährigen Chef der Handelskammer ist die Reise nach Washington fast eine Heimkehr. «Ich liebe diese Stadt», sagt er. Die strahlend weissen Gebäude, die Monumente an der National Mall – vor allem aber die Energie der Stadt. Aus der ganzen Welt würden die besten Diplomaten nach DC geschickt, während die ambitionierten Amerikaner sich als Mitarbeiter für Senatoren und Kongressabgeordnete die Sporen abverdienten.
«Ich finde es daher sehr angenehm, mit den Amerikanern zu verhandeln», sagt Sahgal. Gleichzeitig seien die US-Beamten enorm beschäftigt und Slots kostbar. Die Treffen sind schon einmal nach 18 Minuten fertig, wenn man gesagt hat, was zu sagen ist. Zeit für Nettigkeiten bleibt da nicht, aber es ist effizient.
Sahgal weiss, wie er mit den Amerikanern umgehen muss. Er war von 2017 bis 2021 bei der Schweizer Botschaft in Washington für Steuerfragen zuständig. Zurück in der Schweiz handelte er für das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen mit den Vereinigten Staaten das neue Doppelbesteuerungsabkommen sowie erweitertes Gegenrecht bei Steuerauskünften aus.
Sahgal kommt zugute, dass die Tür zwischen Regierungsposten und der Privatwirtschaft in den USA durchlässig ist. Viele von Trumps Spitzenbeamten stiegen nach Bidens Wahl bei Denkfabriken, Beratungs- und Lobbyfirmen ein – um jetzt wieder in die Administration zurückzukehren. Dasselbe geschah nun mit Vertretern der Biden-Regierung.
Zeit ist kostbar
Die Zeit in Washington hat knapp für einen Besuch in Sahgals Lieblingsrestaurant gereicht, «Rose’s Luxury», moderne amerikanische Küche unweit des Capitols. Abgesehen davon ist seine Reise von Montag bis Samstag gnadenlos durchgetaktet: ein erstes Treffen mit den Amerikanern, eine Nachbesprechung im Schweizer Team, dann das nächste Treffen. Am Freitag reist Sahgal allein für weitere Treffen im 6-Uhr-50-Zug weiter nach New York – und schreibt dort sein nächstes Positionspapier.
Am Freitagabend lädt Sahgal zum Gespräch in der Lobby des Warwick Hotel. Nach einem Dreivierteljahr in seiner neuen Rolle – und nach fünf kräftezehrenden Sitzungstagen – zeigt er beste diplomatische Etikette: Er gibt dem Gegenüber das Gefühl, dass er gerade jetzt das wichtigste Gespräch aller Zeiten führt. Als zwei Touristinnen mit bedeutendem Smalltalk-Bedürfnis in die Diskussion platzen – ob er etwa auch im Immobiliengeschäft tätig sei –, schafft er es erstaunlich schnell und freundlich, sie abzuwimmeln.
Dabei ist Sahgal kein Diplomat in offizieller Mission mehr, sondern Chef einer Handelskammer. Sein langjähriger Vorgänger bei der Swiss Amcham, Martin Naville, hat die Freiräume dieser Position auszunutzen gewusst: Er lieferte den Journalisten markige Zitate und konnte die Amerikaner kritisieren, ohne gleich die Brücken abzubrechen.
Zur Not mit dem Big Mac
Sahgal gelingt der Balanceakt auch schon ziemlich gut. «Die Schweiz hat hier keine Feinde», sagt er; wenn, dann wecke das Land weiterhin positive Assoziationen. «Aber eigentlich interessiert man sich nicht übermässig für die Schweiz, was auch gut ist so.»
Die Argumente, weshalb die Schweiz auf keine Zollliste gehört, rattert Sahgal mühelos herunter. Sie erhebe selbst keine Industriezölle, und der Vorwurf der Währungsmanipulation sei ungerechtfertigt: Schon in seiner Zeit als Steuerdiplomat hat er den Amerikanern den Big-Mac-Index auf den Tisch gelegt, da das bei Trump wohl am besten ankomme. Und der Index zeige: «Der Schweizerfranken ist die mit Abstand am höchsten bewertete Währung der Welt.»
Zudem sei die bilaterale Handelsbilanz der beiden Länder viel ausgeglichener, als man denke. «Die Amerikaner kommen immer mit dem Güterhandelsdefizit, was ich unangebracht finde. Wir gleichen das mit Importen von Dienstleistungen aus.» Microsoft und Google programmierten ihren Code grossteils in den USA und verkauften ihre Produkte in die Schweiz. «Warum sollen wir das anders zählen als die Uhren, die im Vallée de Joux gefertigt werden?» Zudem hätten im Januar enorme Goldexporte die Bilanz verzerrt. Aus Angst, dass Trump auch Zölle auf die Goldeinfuhr erheben könnte, verschoben Banken und Händler ihr Gold von London nach New York. Weil die Barren in Amerika in einer anderen Grösse gehandelt werden, mussten sie in der Schweiz umgeschmolzen werden.
«Wir müssen vorbereitet sein»
Sahgal fügt aber an, dass ihn die immergleiche Kritik, Trump veranstalte bloss Chaos, langweile. «Er hat sehr wohl einen Plan.» Aus Trumps Sicht ergebe es Sinn, dass er seine Zölle so schnell als möglich einführe und dafür auch schwächelnde Aktienmärkte in Kauf nehme. Er sei besser vorbereitet als in der ersten Amtszeit, wolle die Mehrheit in den beiden Parlamentskammern rasch ausnutzen und die unpopulären Massnahmen lange vor den Zwischenwahlen 2026 hinter sich bringen. Und er ist der älteste US-Präsident bei Amtsantritt: «Im Alter ist es nicht so, dass die Gesundheit sich linear verschlechtert, sondern schubweise.» Trump wolle sein Vermächtnis sichern, solange er bei vollen Kräften sei.
Die entscheidende Frage, die ihm die ganze Schweizer Wirtschafts- und Politprominenz stellt, kann er aber auch nicht beantworten: Wird die Schweiz am 2. April glimpflich davonkommen? «Ich bin zuversichtlich – aber das heisst nicht, dass nichts passieren wird», sagt er. «Wir müssen vorbereitet sein. Die Amerikaner werden keinen relevanten Handelspartner ungeprüft auslassen.»