Vor der Wahl kursieren Gerüchte um den Amtsinhaber und seine Herausforderin. Sie zeigen den dörflichen Charakter der Stadt. Und die Spaltung der örtlichen FDP.
Wenn die Rapperswiler Fasnachtszunft Schellegoggi am 11. November den Beginn des närrischen Treibens feiert, lädt sie traditionell ein Mitglied der Stadtregierung ein. Am vergangenen Montag war Martin Stöckling zu Gast, der freisinnige Stadtpräsident.
Stöckling befindet sich mitten im Wahlkampf. Am 24. November entscheidet sich, ob er eine dritte Amtszeit anhängen darf. Herausgefordert wird er von der parteilosen Barbara Dillier.
Stöckling ist selbst Fasnächtler und Teil der Fasnachtsbruderschaft vom Wurstkranz. Er kennt den Lärm, die bunten Kostüme, die Politsatire der Schnitzelbänkler. Stöckling ist einer von ihnen. Im antiken Rathaussaal machte er ein Abwahlversprechen: «Sollte ich nicht gewählt werden, serviere ich Barbara Dillier beim Wurstkranzbankett einen Schüblig.»
Die Leute lachten, aber die Chancen auf Dilliers Schüblig stehen gut. Stöckling landete im ersten Wahlgang noch hinter Boris Meier von der GLP, der sich inzwischen zurückgezogen hat, und über 1500 Stimmen hinter Dillier. Es war ein derart deutliches Misstrauensvotum, dass ihm die örtliche SVP vorwarf, er trete nur wegen der Abwahlversicherung nochmals an.
Zum Ende seiner Rede versuchte Stöckling, seine Stadt humoristisch zu verorten. Es sei herausfordernd in dieser Region, seine Leidenschaft für die Fasnacht auszuleben, sagte er. «Wir sind an der Schnittstelle von humorlosen zwinglianischen Zürchern und den etwas biederen St. Gallern.»
Stöcklings Rede war lustig gemeint, doch sie hatte einen wahren Kern: Die Rapperswil-Joner blicken nicht nach Zürich oder St. Gallen, sie lachen lieber unter und über sich. Material ist stets genug vorhanden, allein mit der jahrelangen Fehde zwischen Stöckling und dem Medienunternehmer Bruno Hug, der Barbara Dillier als Kandidatin portiert hat.
Der Wahlkampf für den zweiten Wahlgang ist der nächste Akt dieser Fehde. Es ist einer ohne Überraschung, weil der Wahlkampf die «erwartete Schlammschlacht» geworden ist, wie es selbst aus dem Stadtrat heisst.
Medialer Schlagabtausch
Mitte Oktober veröffentlichten die «besorgten Bürgerinnen und Bürger von Rapperswil-Jona» die ersten Flyer und Inserate. In den «Obersee-Nachrichten» fragten sie: «Will der Online-Verleger H. mitregieren?» Oder: «Ist das Stadtpräsidium für Barbara Dillier nicht eine Nummer zu gross?»
Dillier ist Gemeindepräsidentin von Fischenthal im Kanton Zürich. Das Dorf zählt rund 2500 Einwohner, Rapperswil-Jona hat über zehnmal so viele. Die «besorgten Bürgerinnen und Bürger von Rapperswil-Jona» stellten Unzulänglichkeiten in der Fischenthaler Gemeindeverwaltung in den Raum und deuteten Führungsschwäche an. Am Schluss der Inserate standen Sätze wie: «Wir sind überzeugt, dass Martin Stöckling die geeignetere Person ist!»
Hinter den «besorgten Bürgerinnen und Bürgern von Rapperswil-Jona» stecken rund 25 Personen. Viele von ihnen wählen freisinnig. Das Gesicht der Gruppe ist Sandro Ruggli, ein in Rapperswil-Jona und Zürich ansässiger Wirtschaftsanwalt und FDP-«Passivmitglied». Einerseits, sagt Ruggli, habe er genug gehabt vom «System Hug». «Er kann schreiben, was er will, und viele nehmen es für bare Münze. Das ist unglaublich und demokratiepolitisch gefährlich.» Andererseits sei Stöckling «ganz einfach der bessere Kandidat». Ruggli sagt, man habe sich schlaugemacht, amtliche Publikationen und Medienberichte gelesen und Anrufe aus Fischenthal erhalten. Doch mit Dillier selbst hat er nie gesprochen.
«Linth 24», das Gratisportal von Bruno Hug, veröffentlichte daraufhin mehrere Leserbriefe, in denen Rugglis Kampagne kritisiert wurde. Sie sei «respektlos und überheblich», eine «Beleidigung für jede Frau». «Sozialethisch betrachtet», hiess es einmal bedeutungsschwer, sei Dillier «die mehrfach bessere Kandidatin». «Sie hat es nicht nötig, sich an der jetzigen Schlammschlacht zu beteiligen.»
Dabei war es auch «Linth 24», welches das politische Klima in den vergangenen Jahren angeheizt hatte. Das Portal berichtete angriffig über den Stadtrat, der mehrfach seine Anwälte einschaltete. Die Online-Version des im Frühling in alle Rapperswil-Joner Haushalte verschickten «Linth 24»-Magazins entfernte Hug nach Rechtsstreitigkeiten von der Website. Am vergangenen Mittwoch trug sich die neueste Episode zu. Die Stadt verschickte ein Communiqué zum Hotel Schwanen, wo das Polenmuseum Unterschlupf finden soll. Sie schreibt: «Im jüngsten Artikel zum Hotel Schwanen auf ‹Linth24› vermischt Bruno Hug die Fakten.»
Gerüchte und Geraune
Courant normal am Obersee, wo die Leute eine eigentümliche Freude an Gerüchten zu haben scheinen. Zum Beispiel hört man die Geschichte, Stöckling habe die Kampagne der «besorgten Bürgerinnen und Bürger in Rapperswil-Jona» initiiert und mitfinanziert. Er sei befreundet mit Ruggli, die beiden hätten miteinander Jus studiert. Darauf angesprochen, lacht Stöckling. Er sei zwar vorab informiert worden, aber nicht involviert gewesen. «Und ich habe nichts bezahlt. Sandro Ruggli hat in Zürich studiert, ich in Freiburg i. Ü. Ausserdem ist er mehrere Jahre älter als ich.»
Die Gemeinden Rapperswil und Jona sind erst 2007 zu einer Stadt verschmolzen – der mit etwa 27 000 Einwohnern zweitgrössten im Kanton St. Gallen. Die Fusion ist noch nicht in allen Köpfen angekommen. Bis heute feiern sie im Ort zweimal Fasnacht: einmal in Rapperswil, einmal in Jona.
Das Dörfliche zeigt sich auch in dem Geraune, im Hören- und Weitersagen. Die Wege sind kurz geblieben.
Ein anderes Gerücht, das sich hartnäckig hält, geht so: Thomas Schmidheiny soll einen wesentlichen Teil von Barbara Dilliers Wahlkampf bezahlt haben. Schmidheiny entstammt der gleichnamigen Rheintaler Industriellendynastie und war lange Zeit in der Konzernleitung des Baustoffkonzerns Holcim. Sein Vermögen wird auf mehrere Milliarden Franken geschätzt.
Schmidheiny, der sich ebenfalls als «Passivmitglied» der FDP bezeichnet, mischt seit Jahren im Rapperswil-Joner Politbetrieb mit. 2011 engagierte er sich erfolgreich gegen die Pläne für einen Stadttunnel, im September erst gegen das neueste Badi-Projekt. Beide Male an der Seite von Bruno Hug.
Ob Schmidheiny in diesem Wahlkampf mitwirkt, will er nicht verraten. Sein Sprecher bleibt in seiner Antwort vage: «Thomas Schmidheiny hat sich immer zugunsten einer positiven Entwicklung der Gemeinde Rapperswil-Jona eingesetzt. Dies wird er auch in Zukunft so halten.» Dillier lässt die Frage ebenfalls unbeantwortet. Sie teilt mit, ihr Wahlkampfbudget betrage für beide Wahlgänge rund 120 000 Franken, was ein aussergewöhnlich hoher Betrag ist. Wobei sie und ihr Mann knapp 100 000 Franken aus Erspartem beisteuerten. Woher die restlichen 20 000 Franken kommen, führt Dillier nicht näher aus.
Der Nachwuchs fehlt
Ob Stöckling Schmidheiny meint, wenn er sagt, es gebe FDP-Mitglieder, die aktiv an seiner Abwahl arbeiteten? Was ihn besonders enttäuscht: «Dass diese Leute nicht offen mit ihrer Kritik an mich herantreten.»
Tatsächlich stören sich sowohl die Unterstützer Stöcklings als auch jene von Dillier am Versteckspiel einiger in der Gegend namhafter Freisinniger.
Christian Meier, Präsident der örtlichen FDP, zeichnet ein anderes Bild. Stöckling habe die volle Unterstützung des gesamten Vorstandes. Auch die an der Mitgliederversammlung anwesenden Personen hätten sich klar für ihn ausgesprochen.
Wohl gibt es aber noch andere Kräfte, die wirken. Unternehmer, ältere Personen, die selten an Parteianlässen erscheinen und kein offizielles Amt innehaben.
Das hohe Durchschnittsalter wäre jedenfalls kein FDP-exklusives Problem. Als sich die Kandidaten in Hearings den Parteien vorgestellt haben, sollen die Exponenten einer Partei im Schnitt 70-jährig gewesen sein.
Das ist die Bühne dieses Wahlkampfs: ein politisches Brachland, in dem ein Gratisportal und eine Gruppe «besorgter Bürgerinnen und Bürger» die Hauptrolle spielen können – ohne nennenswerten Einfluss der Ortsparteien.
Immerhin: Sie haben den Ernst der Lage erkannt. 2023 setzten sich Grüne, SP, GLP, Mitte, FDP und SVP geschlossen für die Einführung eines Stadtparlaments ein. Sie erhofften sich unter anderem mehr mehrheitsfähige Vorlagen und politischen Nachwuchs. Aber das Parlament wurde abgelehnt, wie schon 2015. Vor beiden Abstimmungen machte Bruno Hug Stimmung gegen das Vorhaben. Heute sagen Parteienvertreter von links bis rechts, Hug sei gegen das Parlament, weil er sonst an Macht verlöre.
Bis heute ist Rapperswil-Jona die grösste Schweizer Stadt ohne eigenes Parlament.
Immer mehr Parteilose
Neu drohen die Ortsparteien auch in der Exekutive an Bedeutung einzubüssen. Sollte Dillier gewählt werden, sässen drei Parteilose im Fünfergremium. Und erstmals überhaupt stünde nicht ein FDP- oder Mitte-Politiker der Stadt vor.
Rapperswil-Jona würde damit den schweizweiten Trend bestätigen. Patrick Aeschlimann, stellvertretender Leiter am Zentrum für Gemeinden der Fachhochschule Ost, sagt: «Auf kommunaler Ebene hat sich die Zahl der Parteilosen in Exekutivämtern schweizweit seit 1988 etwa verdoppelt.» Im Kanton Zürich stellen sie laut Aeschlimann die höchste Anzahl Gemeinde- und Stadträte, im Kanton Aargau machen sie fast 55 Prozent aus. «Dabei zeigt sich die Tendenz, dass je kleiner eine Gemeinde ist, desto grösser ist die Zahl der Parteilosen in der Exekutive.»
Aeschlimann führt das unter anderem darauf zurück, dass gerade in kleineren Gemeinden «eher sachorientiert und weniger ideologisch diskutiert» werde. Im vergleichsweise grossen Rapperswil-Jona ist die Sache aber anders gelagert. «Wenn man die Kandidierenden bei einer Wahl nicht mehr persönlich kennt, dient die Parteizugehörigkeit als wichtige Entscheidungshilfe für die Bürgerinnen und Bürger.»
Die parteilose Barbara Dillier hat in den vergangenen Monaten nicht viel zur Entscheidungshilfe beigetragen. Sie blieb inhaltlich meist vage, versprach vor allem eine bessere Kommunikation. Ihre Politik dürfte sich nur unwesentlich von jener Stöcklings unterscheiden, eine liberale Färbung drückt durch.
Ob Dillier zeigen darf, was sie wirklich kann, wird sich am 24. November weisen. Dann geht es um die Wurst. Oder besser: um den Schüblig. Am politischen Klima in der Stadt dürfte sich kaum etwas ändern. Die Probleme liegen tiefer.