Vor über zwanzig Jahren war «Bend it like Beckham» ein Welterfolg. Trotzdem blieben Frauen im Fussball lange unter dem Radar. Doch nun ändert sich etwas.
Kommende Woche erscheint ein Kinderbuch von Lia Wälti, Captain des Frauen-Nationalteams. Gerade hat ihre Kollegin Coumba Sow eine Graphic Novel veröffentlicht. Fussballerinnen, Trainerinnen, Funktionärinnen, weibliche Fans kamen lange weder in Büchern noch in Filmen oder Serien vor. In jüngster Zeit sind sie sichtbar geworden.
Gut zwei Monate vor der EM in der Schweiz erscheinen zahlreiche Publikationen zum Thema Mädchen- und Frauenfussball; Serien, Dokumentationen und Podcasts beleuchten ihn. Das zeigt, wie rasant die Sportart in den letzten Jahren an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen hat. Der Terraingewinn auf dem Platz spiegelt sich in der Pop-Kultur.
Wie sich der Blick auf Frauen und Mädchen im Fussball seit der Jahrtausendwende verändert hat, zeigt sich an den Klassikern des Genres. Über zwanzig Jahre ist es her, dass Jess und Jules die Leinwand eroberten. «Bend it like Beckham» war 2002 die Mainstream-Vorlage für zahlreiche Filme, die in jenen Jahren den Frauenfussball thematisierten. Die britische Produktion erzählt die Geschichte von einem in London lebenden Mädchen indischer Herkunft und ihrer Freundin (Keira Knightley als hochgeschossener Teenie), die sich gegen alle Widerstände einem Frauenteam anschliessen.
Die Befreiung von Konventionen, jenen der Familien und jenen der Gesellschaft, ist das Hauptmotiv der Filme in den folgenden Jahren. Egal ob sie in Schweden oder einem afrikanischen Land spielen, erzählen sie Emanzipationsgeschichten. Die Spielerinnen gewinnen über den Fussball Selbstvertrauen und Autonomie, ihre Rebellion führt über Sport-BHs und Stollenschuhe.
Elfmeterschiessen in Stöckelschuhen
Zwar behandeln Sportgeschichten häufig Aufsteigermythen. Selbstermächtigung über Sport, das Hinauskämpfen aus miefigen Milieus zu gesellschaftlicher Anerkennung ist auch bei Filmen mit männlichem Personal ein Grundmotiv. Nichts ist schöner, als mit Underdogs zu leiden – und erlöst zu werden. Exemplarisch dafür steht die «Rocky»-Reihe. Doch die Frauen im Fussball haben einen Grundwiderstand zu überwinden: Man will sie erst gar nicht mitmachen lassen.
So geht es zum Beispiel Vanessa mit den wilden Kerlen. Die Buchreihe um eine Kinder-Fussball-Gang wurde Anfang der 2000er Jahre verfilmt. Mit ihrem Schlachtruf «Alles ist gut, solange du wild bist!» haben die «Wilden Kerle» einer ganzen Generation von Kindern aus dem Herzen gesprochen.
Vanessa, die Zugezogene, wird anfangs abgewiesen, als sie bei den Jungs mitkicken will. Erst nachdem sie den Anführer Leon beim Elfmeterschiessen (mit rosaroten Stöckelschuhen!) besiegt hat, wird sie in die Gruppe aufgenommen. Das ist die ermutigende Botschaft.
Wie unbedeutend der Frauenfussball damals allerdings noch war, zeigt der Traum von Vanessa. Sie will die erste Frau in der Männer-Nationalmannschaft werden – ausgerechnet 2003, als das deutsche Frauen-Nationalteam die WM gewann. Wenigstens konnte sich Vanessa, als sie dann ein «Kerl» war, nicht über mangelnden Respekt der Knaben beklagen. «Pechschwefliges Rübenkraut! Sie war die wildeste aller Kerle», lobt sie ein Kollege.
Geschichten um echte Fussballerinnen gab es zwar, sie blieben aber noch eine Weile unter dem Radar. Die sehenswerte Dokumentation «Die besten Frauen der Welt» etwa, die ganz nahe herangeht an die deutschen Weltmeisterinnen von 2007, lief nie in den Kinos, sondern im Abendprogramm der ARD. Anders als ihr Pendant «Deutschland. Ein Sommermärchen» über die Männer-Nationalmannschaft im Jahr davor von den gleichen Produzenten. Der Dok-Film um das Team von Jürgen Klinsmann erreichte in den Kinos und bei der TV-Ausstrahlung ein Millionenpublikum.
Dafür wurde die Spielerfrau entdeckt – inspiriert von Victoria Beckham und ihren Gals, die mit grossen Sonnenbrillen und kleinen Röcken die Tribünen stürmten. Da war fraglos mehr Glitter. Die Serie «Footballer’s Wives», die von 2002 bis 2006 im englischen Sender ITV lief, war Schrottfernsehen in Reinform, angelehnt an amerikanische Seifenopern wie «Denver-Clan» oder «Dallas». Sie war so himmelschreiend cheap, dass sie bis heute als Kultserie gilt.
Augenzwinkernd bezieht sich denn auch die beliebteste Fussballserie der letzten Jahre auf die Soap von damals. Der US-amerikanische Comedy-Renner «Ted Lasso» hat ebenfalls nicht Frauenfussball zum Inhalt, doch Frauen haben verantwortungsvolle Positionen, auch wenn sie High Heels tragen.
Rebecca Welton, dramatisch blond, starke Oberarme, wird bei ihrer Scheidung Besitzerin des fiktiven englischen Erstliga-Klubs FC Richmond. Von Fussball versteht sie nichts. Keeley Jones, mit einer Vergangenheit als Seite-3-Girl, ist schambefreit, was ihren Style angeht, und sie ist liiert mit dem egozentrischen Stürmer.
Gibt es eine idealere Ausgangslage, um die Frauen lustvoll durch den Klischee-Fleischwolf zu drehen? Dass genau das nicht passiert, ist eine grosse Qualität von «Ted Lasso». Stattdessen finden Frauen nicht nur ihren Platz im Mackerbusiness und bleiben dabei sogar freundlich. Die Macher der Serie weigern sich auch, die Frauen als Kratzbürsten zu zeigen. Statt Zickenkrieg wie in «Footballer’s Wives» gibt’s Solidarität, anstelle von Konkurrenz Freundschaft.
Biografien vom Laufband
Parallel zur Sichtbarkeit in der Kultur hat sich auch im Frauenfussball ein Zweig entwickelt, der nicht nur Perlen hervorbringt. Wie Lia Wälti und Coumba Sow erzählen zahlreiche weitere Fussballerinnen von ihrem Weg an die Spitze. Sich selber darstellen, statt die Abbildung anderen zu überlassen – das zeugt vom neuen Selbstverständnis der Fussballerinnen.
Viele der grossen Spielerinnen, von Alex Popp («Dann zeige ich es euch eben auf dem Platz») über Sam Kerr («My Journey to the World Cup») zu Hope Solo («Mein Leben als Hope Solo»), haben eine Biografie veröffentlicht. Man kennt es von den Männern: Das meiste ist wenig inspirierte Massenware.
Leider gilt das auch für zahlreiche Dokumentationen. Wenn im Auftrag des FC Bayern die Frauen des Klubs filmisch begleitet werden, ist das auch nicht interessanter als all die pseudodramatischen Kabinenstorys in Netflix-Ästhetik bei den Männern.
Da lösen die Gerüchte über die neueste Staffel von «Ted Lasso» mehr Freude aus. Offenbar soll der Kulttrainer mit dem Labradorblick nun das Frauenteam des AFC Richmond trainieren. «Gradarius Firmus Victoria», «mit kleinen Schritten zum Sieg», steht beim Klub in der Kabine. Wie gemacht für den Frauenfussball.
Diese Bücher, Serien und Filme lohnen sich
Flucht aus Afghanistan
Khalida Popal verliebt sich als Kind in den Fussball, sie gründet 2007 das afghanische Frauenfussball-Nationalteam und wird Captain. Bei der Machtübernahme der Taliban 2021 führt sie das Nationalteam und viele Nachwuchsfussballerinnen über geheime Routen aus dem Land und rettet so Hunderten das Leben. Ihr berührendes Buch erzählt vom Fussball als Instrument der Befreiung, aber auch von Verzweiflung, Mut und bedingungsloser Solidarität.
Khalida Popal: Meine wundervollen Schwestern. 2025. 34.90 Fr.
Verdrängte WM
Der Dokumentarfilm «Copa 71» zeigt, wie gross der Frauenfussball schon einmal war. Hunderttausende verfolgten damals in vollen, lauten Stadien eine Frauen-WM in Mexiko, die komplett in Vergessenheit geraten ist. Die Filmemacher holen sie ans Licht und zeigen mit wunderbarem Archivmaterial eine Parallelwelt, die es nicht geben durfte. Nach ihrer Rückkehr wurden die Frauen systematisch kleingemacht. Wie die Männer ihr Terrain verteidigt haben, erzählen die Spielerinnen von damals.
Copa 71. 2024. 89 Minuten. Amazon.
Fussballerin und Aktivistin
Megan Rapinoe wurde einer breiten Öffentlichkeit in Europa bekannt, als sie sich an der WM 2019 mit Donald Trump zoffte. Sie werde bei einem Titelgewinn nicht in das «fucking» Weisse Haus gehen, sagte sie. Der Rest ist Geschichte: Die USA siegten, und die Frau mit den rosa gefärbten Haaren entwickelte noch mehr Strahlkraft. Rapinoe war immer mindestens so sehr Aktivistin wie Fussballerin. Ihre Biografie ist denn auch ein Manifest: für die Rechte von Minderheiten und den Schutz aller, die gerade unter die Räder kommen.
Megan Rapinoe: One Life. Gegen Diskriminierung und Rassismus. 2023. 19.90 Fr.
Intime Einblicke
2023 fand die Frauen-WM in Australien und Neuseeland statt. Was lag also näher, als die Matildas, wie das australische Nationalteam genannt wird, auf dem Weg ans Heimturnier zu begleiten. Entstanden ist eine Dokumentation, die sich abhebt von vergleichbaren Produktionen. Die Spielerinnen lassen viel Nähe zu, wir sehen sie mit ihren Familien, ihren Freundinnen, wir leiden mit nach einer Verletzung und teilen die Zweifel nach Rückschlägen. Das Leben als Profisportlerin wird in der ganzen Bandbreite erfahrbar – man kann nicht anders, als Matildas-Fan zu werden.
Matildas: Die Welt liegt uns zu Füssen. 2023. Disney+.
Drei Champions für die Schweiz
Zum ersten Mal werden in der Champions-Reihe der SJW-Hefte ausschliesslich Frauen porträtiert. Martin Helg (Redaktor bei der «NZZ am Sonntag») stellt Lia Wälti, Coumba Sow und Alisha Lehmann vor. Die Frauen sind geschickt ausgewählt, weil sie sich stark unterscheiden. Captain Wälti, die geborene Leaderin, die Kämpferin Sow, die früh mit Rassismus konfrontiert wird, und Lehmann, die berühmteste Fussballerin der Welt, wenn es nach Instagram-Followern geht. Das Büchlein ist die beste Vorbereitung auf die EM im Sommer.
Fussballchampions 06 – Lia Wälti, Coumba Sow, Alisha Lehmann. SJW-Verlag. 7 Fr.
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