Franziskus hat zwar 80 Prozent der Elektoren im Konklave bestimmt. Doch es ist alles andere als klar, ob sein Nachfolger seine Überzeugungen teilt.
Rom steht vor zwei Grossereignissen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Das eine ist das Begräbnis des verstorbenen Papstes am nächsten Samstag. Es ist trotz einigen von Franziskus gewünschten Änderungen planbar, es hat einen klar definierten Ablauf und folgt einem detaillierten Drehbuch. Nichts ist dem Zufall überlassen.
Das andere ist das Konklave, die Versammlung der Kardinäle, die den nächsten Papst wählen werden. Kaum jemand wagt eine Prognose, wie es sich abspielen wird, welche Dynamiken sich in der Sixtinischen Kapelle entwickeln werden – und wer am Ende als neuer Pontifex auf die Loggia des Petersdoms treten wird.
Pastoren, die nach Schafen riechen
Vom Moment an, in dem der päpstliche Zeremonienmeister mit dem Ruf «extra omnes!» alle nicht wahlberechtigten Personen zum Verlassen der Kapelle auffordert, herrscht Ungewissheit. «Alles fliegt in die Luft, auch die Szenarien, die die Kardinäle selbst am Vorabend der Versammlung entwickelt haben», schreibt der Vatikanist des «Corriere della Sera».
Dieses Mal, so meinen übereinstimmend die Beobachter in Rom, sei das Konklave noch unberechenbarer als früher. Das hat wesentlich mit der Art und Weise zu tun, wie Franziskus das Wahlgremium geprägt hat. 80 Prozent der wahlberechtigten Kardinäle wurden von ihm bestimmt. Dabei hat der verstorbene Papst einige Gewissheiten über den Haufen geworfen.
Zum einen hat er bei der Wahl von Kardinälen einige jener Diözesen und Länder übergangen, die informell stets einen Anspruch auf einen Sitz im Wahlgremium hatten: das Erzbistum Paris etwa oder dasjenige von Mailand oder Venedig. Diese traditionellen Machtzentren stehen derzeit ohne Kardinal da. Dafür sind neue Weltgegenden repräsentiert. Die Kardinäle aus Afrika, Asien und Lateinamerika machen mittlerweile rund 50 Prozent des Gremiums aus. Zu Beginn von Franziskus’ Amtszeit waren es noch rund 35 Prozent.
Zum anderen hat Jorge Mario Bergoglio einen neuen Typus Kardinal bevorzugt. Er habe eine Vorliebe für Pastoren gehabt, «die nach Schafen riechen», sagt man in Rom. Will heissen: weniger intellektuelle Theologen, mehr praktische Pfarrer.
Kein Bergoglio-Block
Doch selbst wenn alle diese neuen Kirchenmänner ihre Wahl dem argentinischen Papst zu verdanken haben, darf man sich keine Illusionen machen. Es handelt sich keineswegs um einen monolithischen und kompakten Block. Und es ist längst nicht ausgemacht, dass auf Bergoglio ein weiterer «Bergoglianer» folgen wird, also jemand, der die Ansichten und Prioritäten des Verstorbenen teilt.
Unter den neuen Kardinälen gibt es Konservative und Progressive, Liberale und Autoritäre, China-Freunde und Atlantiker, Vertreter des Südens wie des Nordens. Und selbst unter den Kardinälen der «Peripherie» existieren zu den verschiedenen Fragen – Stichworte Frauenordination, Zölibat, Haltung gegenüber homosexuellen Paaren – unterschiedliche Positionen. Viele der «Bergoglianer» zeichnen sich zwar durch ihr Engagement für sozial Schwache und Migranten aus. Doch in dogmatischen Fragen sind gerade die Kardinäle aus Afrika und Asien oft konservativer als diejenigen aus dem Westen.
Dazu kommt, dass sich die Wahlmänner untereinander nur schlecht kennen. Er kenne lediglich zwanzig bis dreissig Mitbrüder, sagte ein Kardinal am Dienstag in der «Repubblica». Das macht Allianzen schwierig, erleichtert aber auf der anderen Seite Beeinflussungsversuche und Lobbying. Vor allem konservative amerikanische Kreise würden im Vorfeld des Konklaves viel Druck ausüben, heisst es in Rom. Ob dies wirklich zutrifft und wie erfolgreich sie dabei sind, ist allerdings unklar. Auch Gerüchte und Mutmassungen gehören zum bevorstehenden Machtspiel.
Es dürfen wieder Italiener sein
Unbestritten ist hingegen, dass sich die katholische Kirche im Umbruch befindet. Die Kirche, die aus dem argentinischen Pontifikat hervorgehe, sei nicht nur gespalten, sondern «desorientiert und verwirrt», schreibt Massimo Franco, Autor vielbeachteter Bücher über Franziskus und seinen Vorgänger Benedikt XVI. Tatsächlich hat Franziskus zwar viele Reformen angestossen, aber nur wenige zu Ende geführt und dabei viele dogmatisch-politische Leerstellen hinterlassen.
Das wiederum könnte dazu führen, dass die Kardinäle im kommenden Konklave nach einer ausgleichenden, weniger sprunghaften Persönlichkeit suchen. Einer, der diesem Profil derzeit besonders gut entspricht, ist die Nummer zwei im Vatikan, der Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Der Kirchenmann aus dem Veneto gilt derzeit als einer der Kronfavoriten für die Nachfolge Franziskus’.
Parolin hat es als oberster Diplomat jeweils verstanden, die Wogen zu glätten, die der Papst zum Beispiel hinsichtlich des Ukraine- oder des Gaza-Konflikts verursacht hatte. Ausserdem gilt er als Architekt des historischen Abkommens des Heiligen Stuhls mit China über die Ernennung von Bischöfen. Anders als der frühe Bergoglio ist er mit den Gepflogenheiten der Kurie bestens vertraut und verfügt in Rom über ein grosses Netzwerk. Dass er Italiener ist, muss ihm diesmal nicht zum Nachteil gereichen.
Denn im Unterschied zum letzten Konklave sind die Italiener nun wieder wohlgelitten. Wie man mittlerweile weiss, galt noch 2013 die Losung «Nie wieder ein Italiener». Die «Einheimischen» galten als besonders intrigant und anfällig für Machtspiele. Nach den Erfahrungen mit dem argentinischen Papst heisse es unterdessen «Nie wieder ein Südamerikaner und ein Jesuit», schreibt Massimo Franco.
Das kommt neben Parolin auch dem Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz, Kardinal Matteo Zuppi, zugute. Auch er gehört zum engsten Favoritenkreis. Zuppi hat im Auftrag von Papst Franziskus versucht, im Ukraine-Konflikt zu vermitteln. Von seiner Art her ist Zuppi unter den Papabili wohl derjenige, der Franziskus dogmatisch am nächsten steht.
Im Bann des «Toto-Papa»
Der dritte aussichtsreiche Italiener im «Toto-Papa», wie man hier die Spekulationen über die Papstnachfolge nennt, ist schliesslich Pierbattista Pizzaballa, der Patriarch von Jerusalem, der sich im gegenwärtigen Nahostkonflikt einen Namen gemacht hat. Er gilt allerdings mit 60 Jahren als zu jung.
Nicht zu unterschätzen sein dürften auch jene beiden Kardinäle, die kürzlich die grosse Weltsynode geleitet haben: der maltesische Kirchenmann Mario Grech und der Luxemburger Jean-Claude Hollerich. Sie sind mit der Kurie in Rom zwar vertraut, konnten aber während der von Franziskus anberaumten grossen Kirchenversammlung zwischen 2021 und 2024 ziemlich autonom agieren. Beobachter attestieren beiden, dass sie die schwierige Aufgabe mit Umsicht gelöst haben. Hollerichs Nachteil ist, dass er wie Bergoglio ein Jesuit ist und damit wohl etwas schlechtere Chancen hat.
Konservative Kreise setzen auf den Ungarn Peter Erdö. Der Kirchenrechtler wurde von Johannes Paul II. zum Erzbischof von Budapest ernannt. Er soll der Theologie von Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., nahestehen.
Von den aussereuropäischen Kardinälen werden Luis Antonio Tagle oder Fridolin Ambongo zum Favoritenkreis gezählt. Der Erste stammt aus den Philippinen und leitet heute das Dikasterium (Ministerium) für die Evangelisierung, die Zentralbehörde im Vatikan, welche die missionarische Tätigkeit der katholischen Kirche leitet. Zusammen mit Ambongo, dem Erzbischof von Kinshasa, vertritt er jene Weltgegenden, in denen die Kirche noch wächst und zulegt. Ambongo ist zudem insofern ein bemerkenswerter Kandidat, als er sich gegen die Segnung von homosexuellen Paaren zur Wehr gesetzt hat.
Doch so vielfältig das Feld der Papabili ist, so unklar ist, wie das Konklave ausgehen wird. Am Ende, so sagen langjährige Beobachter, wählen die Kardinäle nicht ein Schema, sondern eine Person. Die Wahlversammlung, die 2013 Franziskus gewählt hatte, war von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. schon konservativ geprägt und hatte sich trotzdem für den Argentinier entschieden.
Letztlich geht es darum, eine Person zu wählen, die man für fähig hält, mit den weitreichenden Befugnissen angemessen umzugehen, die das Amt mit sich bringt – jenen Mann also, der gemäss kanonischem Recht «die höchste, volle, unmittelbare und universale Gewalt über die Kirche» haben wird.