Frankreichs Minderheitsregierung steht vor dem Aus. Das linke und das rechte Lager wollen Premierminister Michel Barnier am Mittwoch vereint mit einem Misstrauensvotum zu Fall bringen. Das politische Chaos verschärft die finanzielle Krise des Landes.
Nicht einmal drei Monate hatte Michel Barnier Zeit, um sich als französischer Premierminister zu behaupten. Nun droht seiner Minderheitsregierung ein jähes Ende. Denn sowohl das linke Lager wie auch die Rechtsnationalisten in der Pariser Nationalversammlung haben angekündigt, den glücklosen Konservativen mit einem Misstrauensantrag am Mittwoch zu Fall bringen zu wollen.
Mit über drei Billionen Euro in der Kreide
Zum Verhängnis wird Barnier sein unpopuläres Haushaltsgesetz für 2025. Frankreich ist hoch verschuldet. Erst vor wenigen Tagen erinnerte der Premierminister im Fernsehen noch einmal daran, dass Paris mit mehr als 3200 Milliarden Euro in der Kreide stehe. Seine Mitte-rechts-Regierung hatte deswegen einen Sparhaushalt auf den Weg gebracht, der mit Kürzungen und Steuererhöhungen im Umfang von 60 Milliarden Euro plante.
Doch anstatt das Parlament noch einmal über das Gesetz über die künftigen Finanzrahmen für die Sozialversicherungen abstimmen zu lassen, machte Barnier am Montag von dem sogenannten 49.3-Verfahren Gebrauch. Dieses ermöglicht es dem Regierungschef, ein Gesetz ohne Abstimmung durch die Nationalversammlung zu bringen. Bei dem betroffenen Text handelt es sich um eines von zwei Gesetzen, die die Finanzierung des Staates und seiner Leistungen im kommenden Jahr sicherstellen sollen.
Vorausgegangen waren dem Exekutivdekret Wochen des Streites. Das linke Lager im Parlament, bestehend aus Sozialisten, Grünen, Kommunisten und radikalen Linken, hatte eine Zusammenarbeit mit der Barnier-Regierung von Beginn an boykottiert. Mit den aus ihrer Sicht sozial unausgewogenen Haushaltsplänen waren sie erst recht nicht einverstanden. Aber auch die Rechtsnationalisten des Rassemblement national (RN) lehnten die Sparvorschläge als «ungerecht» ab.
Barnier war der Partei von Marine Le Pen noch substanziell und in mehreren Schritten entgegengekommen. Unmittelbar vor der entscheidenden Parlamentsberatung am Montag in Paris kündigte er an, geplante Kürzungen bei der Erstattung von Medikamenten aus dem Gesetzentwurf zur sozialen Sicherheit herauszuhalten. Zuvor hatte er ausserdem die neue Energiesteuer, die dem Staat 3 Millionen Euro hätte einbringen sollen, aus dem Programm gestrichen.
Doch Le Pen, die entschlossen scheint, ihre Machtposition bis zum Äussersten zu nutzen, reichten die Konzessionen nicht. Bisher hatte ihre Partei Barniers Mitte-rechts-Kabinett aus Macronisten und Konservativen still geduldet, was dem Premierminister nicht zu Unrecht den Ruf einbrachte, ein Regierungschef von Le Pens Gnaden zu sein.
Der Gebrauch des umstrittenen Verfassungsartikels 49.3 kam insofern ebenso wenig überraschend wie die umgehende Reaktion von links und rechts, die Abgeordneten binnen 48 Stunden über einen Misstrauensantrag abstimmen zu lassen. Dass das RN nun freilich mit dem verhassten Linksbündnis, das es sonst eisern bekämpft, an einem Strang ziehen will, war dann aber doch bemerkenswert. Zudem reichte die rechtsnationale Partei am Montag demonstrativ einen eigenen Misstrauensantrag ein.
Eigentlich sollte in der Woche vor Weihnachten noch der zweite Teil des Budgets zur Abstimmung in die grosse Kammer des Parlaments kommen. Auch über seinen Inhalt wird seit Wochen gestritten. Doch nun ist unsicher, ob es überhaupt so weit kommen wird. Ist eines der Misstrauensvoten am Mittwoch erfolgreich, muss die Regierung Barnier zurücktreten. Frankreich hätte damit keine Chance, ein ordentliches Budget für das kommende Jahr auf die Beine zu stellen.
Macron soll schon nach einem Ersatz für Barnier suchen
Auch wäre unklar, wer sich um eine Übergangslösung kümmern könnte: Bleibt die Regierung vorerst geschäftsführend im Amt, oder ernennt der französische Präsident Emmanuel Macron vor Ende des Jahres einen neuen Regierungschef? Neuwahlen sind frühestens im kommenden Sommer möglich. Theoretisch könnte das Staatsoberhaupt im Wissen um das politische Chaos, das es mit der vorzeitigen Parlamentsauflösung im Juni selber angerichtet hat, auch demissionieren; so fordert es die Opposition von links und rechts seit langem. Aber noch hat Macron keine Anzeichen gezeigt, vorzeitig zu gehen.
Wie am Dienstag «Le Monde» berichtete, soll der Präsident, der zurzeit auf Staatsbesuch in Saudiarabien weilt, stattdessen schon nach einem Ersatz für Barnier suchen. In Paris kursiert der Name des liberalen Verteidigungsministers Sébastian Lecornu, der ein enger Vertrauter Macrons ist, aber auch von Le Pen respektiert wird, sowie derjenige des Zentrumspolitikers François Bayrou, der ebenfalls Kontakte zum RN pflegt. Auch die Möglichkeit einer parteilosen Expertenregierung ist im Gespräch. Für Frankreich wäre sie freilich völliges Neuland.
Auf jeden potenziellen Nachfolger kommen gewaltige Probleme zu. Wegen der hohen Staatsschulden und der schwierigen Wirtschaftslage im Land hatte sich in letzter Zeit die Nervosität auf den Finanzmärkten stark erhöht. Die Staatsanleihen verloren deutlich an Wert im Vergleich zu den als Massstab dienenden deutschen Staatsanleihen. Der Aufschlag zehnjähriger französischer Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen Anleihen stieg auf bis zu 0,9 Prozentpunkte. Ein solches Niveau hat Frankreich seit der Euro-Krise 2012 nicht mehr erreicht. Von einem drohenden Staatskollaps wie in Griechenland ist das Land aber noch weit entfernt.
Ein unkontrolliert wachsender Schuldenberg ist eine Belastung für die gesamte Euro-Zone. Aber für Europa ist die Regierungskrise in Frankreich auch ein politisches Problem. Zusammen mit Deutschland bildet die Nation üblicherweise das Führungsduo in der EU, doch derzeit leiden Paris und Berlin unter einer Führungsschwäche, und das inmitten eines russischen Angriffskrieges und wenige Wochen vor der Rückkehr Donald Trumps ins Weisse Haus.