Die Zinskurve in der Schweiz ist wieder steiler geworden: Die Banken freut’s. Zudem: Der Druck auf Baloise bleibt hoch, Mikron profitiert vom «Fettweg-Boom», Kardex bleibt ein Kauf, und Barry Callebaut leidet mit dem Kakaopreis.
Geschätzte Leserin, geschätzter Leser
Baloise hat geliefert. Der Versicherungskonzern hat im vergangenen Geschäftsjahr das operative Ergebnis um 58% auf 545 Mio. Fr. gesteigert und damit die Erwartungen der Analysten deutlich übertroffen.
Die robuste Kapitalausstattung erlaubt es, den Aktionären eine um 40 Rappen auf 8.10 Fr. je Aktie erhöhte Dividende auszuschütten. Auf dieser Basis errechnet sich derzeit eine Dividendenrendite von attraktiven 4,3%. Zudem kündigt Baloise ein bis zu 100 Mio. Fr. umfassendes Aktienrückkaufprogramm an.
Die Börse reagiert erfreut. Der Aktienkurs von Baloise stieg gestern Dienstag zeitweise auf über 190 Fr. Das ist ein Allzeithoch.
Seit Mai 2024, als die Generalversammlung mit grosser Mehrheit die Stimmrechtsbeschränkung abgeschafft hat und wenig später der aktivistische Investor Cevian Capital mit knapp 10% bei Baloise eingestiegen ist, hat der Aktienkurs mehr als 35% gewonnen. Wie ich damals hier geschrieben hatte: Verwaltungsrat und Management von Baloise wurden aus dem Tiefschlaf gerissen. Gut so.
Bedeutet der überraschend starke Jahresabschluss nun, dass es Baloise-CEO Michael Müller wieder ruhiger nehmen kann und keinen Druck von Cevian mehr befürchten muss?
Nein. Das Geschäftsjahr 2024 zeigte primär, wie profitabel Baloise in der Schweiz arbeitet. Das ist das Kerngeschäft – und Cevian drängt unter anderem darauf, dass sich Baloise von den schwachen Geschäftsfeldern in Deutschland und Belgien trennen soll.
Wenn überhaupt, dann dürften sich Cevian und andere Aktionäre durch die neusten Zahlen in ihrem Ansinnen sogar bestärkt fühlen: Wie Anne-Chantal Risold, Analystin beim Broker Octavian, festhält, stieg die Combined Ratio von Baloise im Sachversicherungsgeschäft in Deutschland im vergangenen Jahr auf 93,3%, verglichen mit 90,9% im Geschäftsjahr 2023. Das bedeutet, Baloise hat in Deutschland 2024 sogar noch weniger profitabel gearbeitet als 2023. Zum Vergleich: Der Konkurrentin Helvetia ist es gelungen, die Combined Ratio in Deutschland von 104 auf 89,7% zu senken.
Der Druck auf Baloise, sich operativ zu verbessern und auf das Kerngeschäft in der Schweiz zu fokussieren, wird also hoch bleiben. Das spricht mittelfristig für weiteres Kurspotenzial. Die Aktien bleiben ein Kauf.
Der Schweizer Maschinenbauer und Automatisierungsspezialist Mikron ist 2025 auf der Überholspur: +11% in den vergangenen vier Wochen, +23% seit Jahresbeginn. Der in den Jahren 2019/2020 eingeleitete Turnaround ist längst geschafft – ein Plus von 256% über fünf Jahre spricht für sich.
Das Unternehmen aus Boudry arbeitet heute nachhaltig profitabel und erwartet für 2025 eine Ebit-Marge von 8,5%, was deutlich über den historischen Werten liegt. Die strategische Fokussierung auf profitable Nischen und die geringere Abhängigkeit von der Automobilindustrie (2024 nur noch 8% des Umsatzes) machen Mikron widerstandsfähiger.
Mikron profitiert vom Boom der GLP-1-Medikamente zur Gewichtsreduktion und ist weltweit eines der wenigen Unternehmen, das Maschinen mit der nötigen Effizienz, Präzision und Fertigungstiefe für die Produktion von Injektionspens anbietet. Zu den Kunden gehört auch Ypsomed. «Mit dem Ausbau der Produktion in Boudry um 30% kann Mikron nicht nur den Umsatz steigern, sondern dank der Erhöhung des Medtech- und Pharma-Anteils von 61% auf voraussichtlich 70% auch die Marge weiter verbessern», sagt Ken Wong, Manager des IFS Swiss Small & Mid Cap Equity Fund.
Trotz der starken Performance bleibt die Aktie unter dem Radar und hat für meinen Geschmack ein grosses Handicap. Mit einer Marktkapitalisierung von bloss 288 Mio. Fr. gehört Mikron zu den Micro Caps, während der geringe Free Float von 36% die Liquidität einschränkt und für höhere Kursschwankungen sorgt. Zu den bedeutenden Aktionären gehören die Ammann Group Holding AG (48,9%), Rudolf Maag (7,3%) und Thomas Matter (5,1%).
Gleichzeitig überzeugt mich das Unternehmen mit seiner soliden Bilanz: 120,2 Mio. Fr. Nettoliquidität, eine Eigenkapitalquote von 56,7% und eine Kapitalrendite (Return on Invested Capital, ROIC) von zuletzt 25,6%, die seit vier Jahren über den Kapitalkosten liegt. Verwaltungsratspräsident und «Mr. Interroll» Paul Zumbühl hat die aktuelle Strategie massgeblich geprägt.
Die Bewertung ist äusserst attraktiv. Das Verhältnis von Unternehmenswert zu Ebitda beträgt bloss 4,4. ATS Corporation, eine Konkurrentin aus Kanada im Medtech-Bereich, wird mit einem Vielfachen von 15,1 bewertet. Der Abschlag ist in meinen Augen trotz der geringen Liquidität zu hoch. Mikron bietet weiterhin Potenzial.
Regelmässige Leser dieser Zeilen wissen, dass wir Fans von Kardex sind – und den Aktien in den letzten Jahren gegenüber jenen von Interroll den Vorzug gegeben haben. Zwar verdienen beide Schweizer Intralogistiker das Prädikat «Qualitätsunternehmen». Doch während Interroll noch immer unter der Investitionszurückhaltung bei Grossprojekten (vor allem im Bereich E-Commerce) leidet und seit fünf Semestern kontinuierlich an Umsatz einbüsst, hat Kardex mit klugen Akquisitionen das Produkt- und Lösungsangebot geschickt ergänzt und sich breiter aufgestellt.
Vor allem die langfristige Kooperation mit dem norwegischen Partner AutoStore, dessen Lösungen laut Kardex den Vertrieb von kleinteiligen Gütern bis zu zehn Mal effizienter machen, ist ein Wachstumstreiber. Die Präferenz für Kardex hat sich an der Börse in den vergangenen Jahren ausgezahlt.
Doch seit einigen Wochen geben die Aktien nach, während deutsche Intralogistiker wie Jungheinrich und Kion vom in Deutschland angekündigten Infrastrukturfonds über 500 Mrd. € beflügelt werden – und auch Interroll zuletzt wieder etwas Boden gutmachen konnte.
Auch wenn ein Minus von 15% seit Mitte Februar sicher nicht schön ist, bietet der Kursrückgang für mich eher eine Kaufchance als einen Grund, nervös zu werden. Bei der Zahlenpräsentation Anfang März überraschte Kardex mit einem hoch angesetzten mittelfristigen Wachstumsziel von 10 bis 14% pro Jahr. Dass gleichzeitig «massive Investitionen» in Vertrieb und Forschung angekündigt wurden, die kurzfristig die Profitabilität beeinträchtigen könnten, dürfte einige Investoren zu Gewinnmitnahmen veranlasst haben.
Zudem wächst derzeit der margenschwächere Bereich Standardized Systems (inkl. AutoStore) schneller als die grössere Remstar-Sparte, die komplette automatisierte Lager- sowie Bereitstellungssysteme anbietet und festere Margen erwirtschaftet. Auch das könnte die Profitabilität auf Gruppenebene belasten.
Dennoch überwiegen für mich die langfristigen Wachstumschancen. Das Unternehmen ist bestens positioniert, um vom strukturellen Trend der Automatisierung von Material- und Warenflüssen zu profitieren. Dank des breit ausgerichteten Portfolios, das verschiedene Kundengruppen anspricht, ist Kardex überdies besser vor konjunkturellen Schwankungen gewappnet als Interroll.
Bei Barry Callebaut setzt sich währenddessen das seit rund zwei Jahren bekannte Muster fort: Die Aktien des weltgrössten Schokoladenherstellers werden weiterhin vom volatilen Kakaopreis durchgeschüttelt. Zwischen November 2024 und Februar 2025 fiel der Kurs um knapp 40% – parallel zu einem erneut stark steigenden Kakaopreis.
Anfang Februar, als der Kurs erstmals seit zehn Jahren unter die Marke von 1000 Fr. rutschte, setzte eine Gegenbewegung ein. Das Plus seither: rund 25%.
Auch in diesem Fall wurde die Kurserholung von einem fallenden Kakaopreis begleitet. Seit Anfang Februar hat sich der Preis je Tonne – gemessen am jeweils aktiven Terminkontrakt – von 12’000 auf unter 8000 $ reduziert.
Wir haben mehrmals beschrieben, dass sich ein hoher Kakaopreis negativ auf das Nettoumlaufvermögen (Net Working Capital) von Barry auswirkt. Der Lagerzyklus bei Schokoladenherstellern ist vergleichsweise lang: Zwischen dem Kauf der Kakaobohnen und dem Verkauf der Schokolade an die Kunden können bis zu anderthalb Jahre vergehen. Diese Lagerbestände müssen vorfinanziert werden.
Im März hat sich Barry zum zweiten Mal in diesem Jahr durch die Emission von Anleihen Liquidität verschafft. Dass sich die Konditionen der Emissionen nicht verschlechtert haben, ist für mich ein gutes Zeichen, zeigt es doch, dass der Markt trotz der steigenden Verschuldung kein erhöhtes Ausfallrisiko einpreist.
Am 10. April meldet Barry die Halbjahreszahlen für das Geschäftsjahr 2024/2025. Der freie Cashflow dürfte weiterhin stark negativ bleiben, die Verschuldung weiter steigen.
Geht man davon aus, dass Barry die Krise übersteht – und davon bin ich überzeugt –, ist das Potenzial der Aktien immens. Bis auf weiteres bleiben sie jedoch der Volatilität des Kakaopreises unterworfen.
Steigende Langfristzinsen beflügeln die Aktienkurse von Banken, sinkende Zinsen belasten die Kursentwicklung. Das ist die einfache Logik, um das Börsenleben von Schweizer Kantonalbanken und der Regionalbank Valiant zu erklären. Sie alle verfolgen ein ähnliches Geschäftsmodell: kurzfristig verzinste Kundeneinlagen entgegennehmen und langfristig verzinste Kredite vergeben – mehrheitlich in Form von Hypotheken.
Steigt das langfristige Zinsniveau und wird die Zinskurve steiler, weitet sich die Zinsmarge der Banken aus und der Zinserfolg steigt. Die Banken setzen die neuen – sprich: teureren Konditionen – bei der Kredit- und Hypothekenvergabe in der Regel rasch um. Bei den Einlagezinsen, die sie den Kunden bieten, lassen sie sich jedoch mehr Zeit – und geben sie auch nicht vollständig weiter. Die Banken profitieren.
Das funktioniert derzeit lehrbuchmässig für die Regionalbanken in der Schweiz – und reflektiert sich entsprechend in den Aktienkursen. Die Titel von Valiant beispielsweise haben sich seit November von 100 auf knapp 120 Fr. verteuert. Ähnliches gilt für die Aktien von Kantonalbanken, beispielsweise der St. Galler oder der Zuger.
Kantonal- und Regionalbanken: Valiant, St. Galler KB und Zuger KB
Um zu verstehen, woher der Rückenwind für die Banken weht, lohnt sich ein Blick auf das Zinsumfeld in der Schweiz. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat im März 2024 begonnen, den Leitzins zu senken. In insgesamt fünf Schritten hat sie ihn von 1,75 auf derzeit 0,25% gesenkt (gelbe Kurve in der untenstehenden Grafik). Die Rendite zehnjähriger «Eidgenossen» hat sich im vergangenen Jahr bis Anfang Dezember auf gegen 0,2% ermässigt, ist seither aber wieder auf rund 0,7% gestiegen (blaue Kurve).
Der Effekt dieser Entwicklung: Die vor einem Jahr noch stark inverse Zinskurve (gelb in der folgenden Grafik) hat sich in diesem Frühjahr normalisiert: Die langfristigen Zinsen sind derzeit wieder höher als die kurzfristigen (blau).
Eine steilere Zinskurve ist genau das, was Banken brauchen, um ihr Geschäftsmodell voll zum Tragen zu bringen: Die kurzfristigen Kundeneinlagen werden zu geringeren Zinsen abgegolten, und diese Gelder werden in Form längerfristig ausgelegter Kredite und Festhypotheken zu deutlich darüber liegenden Sätzen weiterverliehen. Das alimentiert den Zinserfolg.
Zugegeben: Im mittleren Bereich um drei bis fünf Jahre Laufzeit, der für viele Banken besonders wichtig ist, liegt das Zinsniveau heute unter den Werten von vor einem Jahr, was die Zinsmarge belastet. Doch diese Entwicklung preist der Markt seit der Zinswende ein, und Bankaktien haben im vergangenen Jahr deshalb teilweise nach unten korrigiert.
Die seit Jahresbeginn überraschend markant steilere Zinskurve sendet hingegen neu ein wieder optimistischer stimmendes Signal für Bankaktien und lässt deren Kurse anspringen. Für Valiant jedenfalls könnte das bedeuten, dass der Kurs endlich die vergangene Bestmarke der letzten Dekade von knapp über 120 Fr. im Jahr 2017 überwinden und hinter sich lassen wird.
Aus meiner Sicht gehören die Titel in jedes Anlageportfolio, das hohen Wert auf stabile Dividendenausschüttungen legt. Die Dividendenrendite von Valiant beträgt 4,8%.
Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12 auf Basis der Gewinnschätzungen für 2025 sowie einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 0,7 sind die Aktien nach wie vor attraktiv bewertet. Aufgrund dieser Attribute ist Valiant im The Market Dividend Portfolio vertreten.
Freundlich grüsst im Namen von Mr Market
Mark Dittli