Seit sie sich mit Thomas Gottschalk bei «Wetten, dass . . .?» angelegt hat, ist sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Seit ihrem siebten Nummer-eins-Hit, «Bauch, Beine, Po», ist Shirin David die erfolgreichste Sängerin Deutschlands. Doch die Konzerthalle bleibt bei ihrem Besuch in Zürich halb leer.
Shirin David ist in Deutschland erfolgreicher als Madonna. Keine Sängerin erreichte öfter den ersten Platz der offiziellen deutschen Single-Charts. Mit dem Song «Bauch, Beine, Po» brach sie im Sommer 2024 mit ihrer siebten Nummer eins den Rekord ihres Landes.
Doch als die Rapperin auf ihrer «Schlau aber blond»-Tour am vergangenen Montag im Zürcher Hallenstadion haltmacht, bleibt die Halle halb leer. 2023 füllte sie diese noch. Wo sind ihre «Barbies» – weibliche Fans – und «Atzen» – die männlichen?
Barbie heisst Barbara
Wer Deutsch-Rap hört, erfährt einiges über junge Frauen. Die Stuttgarter Gruppe Massive Töne etwa wusste schon vor Jahren, dass Mädchen mit Küsschen grüssen und jede Kleinstadt samt Solarium kennen. Bushido wiederum, dass sie viel reden, dabei wolle er einfach seine Ruhe. Das sind nur die jugendfreien Beispiele. Und die Rapperinnen selbst? Früher hatten Künstlerinnen wie Tic Tac Toe und Sabrina Setlur vor allem das Leben mit Männern zu beklagen. In den Charts waren sie mit «Verpiss dich», «Du liebst mich nicht», «Ich find’ dich scheisse». Shirin David ist witziger.
In einem Interview fragte sie «Der Spiegel» 2021, was Angela Merkel während ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin für die Frauen geleistet habe. Auch wollte das Magazin ihre Meinung zu Alice Schwarzer hören. Angela Merkel? Nicht offensiv genug. Alice Schwarzer? Nicht inklusiv genug. Es wird in dem Gespräch durchgehend nachgespürt, wo Frauen überall diskriminiert werden.
Barbara Schirin Davidavicius antwortet souverän, aber ganz im Sinne des selbst ausgerufenen Neofeminismus. Aber: Shirin David ist witziger, wenn sie rappt. «Als wäre ich Goliath, jeder macht auf David, seit ich da bin», «Gewinne jede Misswahl, ausser die für Missgunst» – und sie macht, was sie will, weil sie «darf das».
Alles ausser Demut
Die 1995 in Hamburg geborene Tochter einer Litauerin und eines Iraners, die eigentlich einst John Neumeiers Ballettschule besuchte, begann ihre Karriere mit Beauty-Videos und Coverversionen berühmter Songs auf Youtube. Mit Auftritten in der Jury von «Deutschland sucht den Superstar» und einem kurzen Schlagabtausch 2023 bei «Wetten, dass . . .?»mit Thomas Gottschalk. Er wunderte sich, dass Feministinnen so aussehen können, worauf sie erwiderte, die würden alles können, ausser Demut, kam David dem Mainstream näher. Auf dem Weg dahin wurde sie mit ihrer Musik, einer eigenen Eistee-Marke und ein paar Werbedeals zur Millionärin – gemäss dem Magazin «Forbes» ist sie mittlerweile eine 130-fache.
Künstlerisch am herausragendsten in den vergangenen Jahren war ihr zweites Album, «Bitches brauchen Rap» (2021). Die Songs darauf klingen im besten Sinn eingängig, ungeheuer selbstbewusst, und inhaltlich brodelt es vor Dringlichkeit. Doch David rappt auch von Selbstzweifeln und Depressionen, was man nur kann, wenn man sich von gewissen Erwartungen befreit hat. Das neue Album «Schlau aber blond» liegt weit hinter dem Vorgänger zurück. Die Musik ist nun sehr charakterlos geworden. Treibende, clubbige Beats, ein bisschen Gesang, ein bisschen Autotune, zwischendrin ein paar dieser von 808-Drum-Machines angeschobenen musikalischen Strassentauglichkeiten, die zwar noch immer gut zu ihr passen. Aber verglichen mit «Bitches brauchen Rap» wirken die Texte blutleer.
Womit wir wieder im halbleeren Hallenstadion angelangt wären, in dem auch schon Zehnjährige die Zeilen «Du willst einen Body? / Dann musst du pushen / Bist du ein Hottie / Werden sie gucken» und «Geh’ ins Gymmie, werde skinny» mitsingen können. Zu diesem Work-out-Rap auf housigem Beat und ähnlichen Stücken mit dem Thema Glamour-Leben stolziert David über die Bühne, mit bierernstem Blick. Nur während der Schlussposen, beim einsetzenden Applaus, kämpft sie jeweils gegen das Lächeln. Das erinnert daran: Shirin David ist eigentlich witzig.
Würden die Videoeinspieler während des Konzertes, die David für lange Umkleidepausen nutzt, nicht jedes Mal die Spannung zerstören, wäre das Ganze ein perfekt durchchoreografierter Abend auf der Höhe von Shows internationaler Stars. Zwischendurch ermutigt die Deutsch-Rapperin die Mädchen und die Frauen im Publikum, alles zu tun, was sie tun wollten: teure Autos fahren, teure Kleidung tragen, Schönheitsoperationen (sie selbst beschreibt ihren Körper als «60 Prozent Doc – 40 Prozent Gym»). Und vor allem gut Geld verdienen.
Kritik an sich selbst
Vor kurzem sagte Shirin David zu «Forbes», sie habe eine neue Zielgruppe erschlossen, die viel jünger sei als die bisherige. Die Infantilisierung der Sprache (aus Gym wird «Gymmie», aus Yacht «Yachti» und aus Musk «Elon Muski») und die stereotype Überzeichnung der Lyrics sind nun an die Generation Tiktok angepasst, die nicht mehr in Songs denkt, sondern in Schnipseln.
David operiert inzwischen mehr als Geschäftsfrau denn als Künstlerin. Und sie sagt, sie interessiere sich jetzt dafür, «wie ich meine Gewinne optimieren und strategisch kluge Entscheidungen treffen kann». Knapp 7 Millionen folgen diesem Interesse schon nur auf Instagram.
Shirin David ist eine Art Chamäleon. Einerseits hat sie sich den Regeln der Leistungsgesellschaft angepasst. Als Influencerin tut sie alles, was andere Influencer auch tun. Andererseits hat sie sich mit ihrer Musik eine Identität als Künstlerin erarbeitet, die diese Welt wenn nicht kritisch, so zumindest satirisch reflektiert. Deshalb prallt die Kritik an der Vermarktung ihres Selbst ab. Shirin David, so scheint es, vermag alles ironisch zu hinterfragen ausser sich selbst.
Während der letzten Jahre hat sie sich vom Rap stark in Richtung Pop bewegt («Bubble-Pop mit etwas Rap», ihre Worte). Das hat zwar dem Hip-Hop nur gutgetan und der Pop-Musik nicht geschadet, doch es gibt hier Luft nach oben. Das Hallenstadion ist halb voll.