In der österreichischen Hauptstadt hat die Signa-Holding architektonische Juwelen ausgehöhlt und Brachland mit gewaltigen Bauten zugestellt. Namhafte Architekten haben Beihilfe geleistet.
Der Wiener Volkszorn hat rote Farbe gezückt: «Danke, Benko . . .» steht auf dem Zaun vor einer der prominentesten Baustellen der Stadt. Das «Lamarr» an der Mariahilfer Strasse sollte das KaDeWe Wiens werden. Ein Luxuskaufhaus mit angeschlossenem Nobelhotel und Park auf dem Dach. Der Rohbau des 24 000-Quadratmeter-Projekts steht, doch seit den Signa-Insolvenzen steht auch die Arbeit still. 2024 hätte der Konsumpalast fertig werden sollen. Mit Glanz und Glitzer zur Eröffnung, passend zur Hollywood-Diva Hedy Lamarr, die aus Wien stammte. Wie es jetzt weitergeht, ist offen. Vielleicht übernimmt der Miteigentümer, die thailändische Central Group, zur Gänze.
René Benko, der Signa-Gründer, stammt aus Innsbruck, aber Wien war immer sein unternehmerisches Exerzierfeld. Mit besten Kontakten in der Politik konnte er die Stadt in prominenten Lagen umbauen. Benko hat architektonische Juwelen gekauft und ganze Viertel mit massiven Kubaturen bestückt, für die gemischte Nutzung vorgesehen war, die dann doch nur einem Zweck dienten: als Bürotürme.
Das globale Wirken des Immobilienkonstrukts Signa kann man in Wien in konzentrierter Form sehen. Hier ist alles beisammen, was Benkos Erfolge ausgemacht hat. Die Aufwertung in die Jahre gekommener Viertel durch Luxussanierungen. Die Besiedelung von Brachen durch auffällige Architektur. Das «Lamarr» sollte eine Art kulturpolitischer Höhepunkt des Signa-Schaffens werden. Wien ist Weltstadt, wenn es ein Kaufhaus à la KaDeWe hat. Müssig zu sagen, dass auch das Berliner Original dem Signa-Konzern gehört.
Grosse Eingriffe
Vor rund zehn Jahren hat René Benko die Wiener Innenstadt zum Schauplatz einer Revitalisierung gemacht, wie es sie zuvor noch nicht gegeben hat. Aus verträumten Gässchen mit vor sich hin bröckelndem barockem und historistischem Altbestand wurde das «Goldene Quartier». Das imposante, aus der vorletzten Jahrhundertwende stammende ehemalige Gebäude der Länderbank ist heute das Hotel Park Hyatt Vienna.
An seiner Rückseite liegt ein Viertel, das inzwischen nahezu ausschliesslich von Läden internationaler Luxusmarken und von gehobenen Restaurants besiedelt ist. Weitere Strassen in der Nähe haben nachgezogen. So entstand ein vom Tourismus angetriebenes Reservat, das scharfe Abrisskanten zu den nicht ganz so betuchten Lagen hat, die gleich daneben liegen.
Das sind internationale Phänomene des Immobilien-Investments, aber in Wien sind sie speziell. Die Signa-Insolvenz mit dem mahnmalhaften Stillstand auf der «Lamarr»-Baustelle könnte eine Phase des Atemholens sein. Der renommierte österreichische Architekturkritiker Maik Novotny, der sich eingehend mit dem Phänomen Benko beschäftigt hat, beschreibt im Gespräch mit der NZZ «die dunkle Seite der Aufwertung»: dass sie nämlich «schwarze Löcher» schafft. Monokulturelle Räume. Der Wiener Stadtplanung sei durch Benkos Aktivitäten zu oft das Heft aus der Hand genommen worden. Novotny: «Das kann viel zerstören in einer Stadt, die so feinkörnig parzelliert ist wie Wien. Firmen wie Signa denken in grossen Stücken, und entsprechend gross sind die Eingriffe.»
Es ist ein politisches Thema, nicht nur in Wien, doch hier besonders: Der alte und enorm dichte kulturelle Speicher, wie es ihn vor der Sanierung des Altstadtviertels gegeben hatte, ging mit ebendieser Sanierung verloren. Ganze Strassenzüge sind auf uniforme Weise an Luxusstandards angepasst, die sich international gleichen. Was bleibt, sind die Fassaden. Nach der Fertigstellung des «Goldenen Quartiers» hat es in unmittelbarer Nähe weitere Entkernungsaktionen gegeben. Von anderen Investoren. Es war also nicht Signa allein.
Rem Koolhaas’ Apparat
René Benkos Unternehmen hat in den letzten Jahren auch neue Fassaden und neue Gebäude hochgezogen. Und das ist der zweite Teil der Geschichte, auch ein Teil des Signa-Erfolgs. Man arbeitet mit berühmten Architekten zusammen und kapitalisiert deren Namen auf möglichst kostengünstige Weise. Beim Blick auf die Entwürfe käme niemand auf die Idee, dass das direkt neben dem Wiener Museumsquartier gelegene «Lamarr» von Rem Koolhaas erdacht ist.
Mit seiner Lamellenfassade und den triumphbogenhaft grossen Eingängen ist das Gebäude ein architektonisches Dutzendprodukt. Etwas verschämt ist das «Lamarr» auch auf der Website von Rem Koolhaas’ Büro OMA verzeichnet. Es sei, heisst es dort, «kein ikonisches Gebäude, sondern eher ein architektonischer Apparat». Das ist entwaffnend ehrlich und könnte auch auf zwei weitere Signa-Grossprojekte angewendet werden.
Der berühmte Renzo Piano hat für das Unternehmen die 2019 fertiggestellten Park Apartments am Wiener Hauptbahnhof entworfen. «Banale Investorenarchitektur, wie sie genauso in Kuala Lumpur oder sonst wo stehen könnte», sagt Maik Novotny. Sehenswert in Sachen Signa und gleichzeitig unüberschaubar ist auch ein Gebäudekomplex, den der Investor als «Austria Campus» auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs errichtet hat.
Mit einer Fläche von 200 000 Quadratmetern ist zu seiner Fertigstellung 2019 ein Komplex entstanden, der nicht nur dem planenden Architekten Boris Podrecca graue Haare beschert hat, sondern auch der Stadt Wien. Bei der Architektur wurde zu Tode gespart, bis ihr nur noch das fahle Gesicht der üblichen bahnhofsnahen Bürohäuser blieb.
Die Stadt Wien, die ihre Filetgrundstücke nur gegen die strikte Auflage gemischter Nutzung vergibt, hatte Wohnungsbau von der Signa verlangt. Noch vor Fertigstellung des Geländes allerdings verkaufte René Benko mit hohem Gewinn. Die nachfolgende Investorengemeinschaft wiederum versilberte ihr neues Eigentum, indem sie möglichst viel Fläche als Büros vermietete. Damit ist allemal mehr Geld zu verdienen als mit Wohnungen. Am «Austria Campus» begegnet man nur wenigen menschlichen Lebenszeichen. Er ist eines der schwarzen Löcher, die Signa in Wien hinterlässt.
Politisch gesehen ist Wien ein ironischer Sonderfall. Ausgerechnet die Sozialdemokratie, die hier seit Jahrzehnten am Ruder ist, hat die Stadt zu jener Wohlfühloase gemacht, in der Investoren wie René Benko reich werden konnten. Nicht, dass Wien durch das System Benko ärmer geworden wäre. Verloren aber hat die Architektur.