Der Weckruf durch den Ukrainekrieg sorgt bei Rüstungsfirmen auch jenseits von Rheinmetall für volle Auftragsbücher und steigende Kurse. Doch ist deren Börsenstory damit schon auserzählt?
Mehr als 2000 Aussteller und über 75’000 Besucher, das klingt fast wie bei einer Auto- oder Freizeitmesse. Doch es sind die Daten der Eurosatory, eine der bedeutendsten Rüstungsmessen weltweit, die Mitte Juni in Paris zu Ende ging. Die Zahlen zeigen, wie gross seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine die Bedeutung des Themas Rüstung ist.
Zu den wirtschaftlichen Profiteuren gehören kotierte Unternehmen wie Rheinmetall, das unter anderem Panzer und Munition fertigt. Der Aktienkurs hat sich seit Beginn des Jahres 2022 beinahe versechsfacht. Sogar die Vervierfachung des Anlegerlieblings Nvidia wirkt da etwas mau.
«Lange waren Rüstungsaktien ein No-Go», beobachtet Kathrin Eichler, Geschäftsführerin der Eichler & Mehlert Vermögensverwaltung. «Doch spätestens 2023 hat sich das geändert, das Interesse der Investoren ist da.»
Ein Vorteil des Sektors ist, dass er kaum an der Gesamtkonjunktur hängt, sondern eigenen Trends folgt. «Rüstungsaktien passen eigentlich nicht in die herkömmlichen Kategorien wie defensiv oder zyklisch, da sie an der staatlichen Nachfrage hängen», sagt Götz Albert, Leiter Portfolio Management Small & Mid Caps bei Lupus Alpha. «Wichtig ist es daher, zum Beispiel auf die langfristigen Lieferverträge zu schauen.»
Ins Auge fallen die Hersteller der grossen Systeme wie etwa Panzer. Ebenso wichtig ist aber ein eher verdeckter Aspekt: die Zulieferer wie etwa Renk und Hensoldt.
Renk: Alle Kraft auf die Kette
Das Unternehmen Renk aus Augsburg schreibt auf der Website von der «zuverlässigem Nutzung hoher Kräfte und Drehmomente». Klarer ausgedrückt: Die rund 1500 Pferdestärken eines Leopard-II-Panzers muss ein Getriebe erst einmal auffangen und auf den Untergrund bringen können. Genau diese Getriebe liefert Renk. Dazu kommen weitere Komponenten für Militärgerät. Renk ist «weltweit führender Anbieter hocheffizienter Antriebs- und Steuerungstechnik», so das Unternehmen über sich selbst.
Im Juni erklärte Fondsmanager Trevor Gurwich im Interview mit The Market, wie gut die Position von Renk sei: «Wenn man einen Panzer konstruiert, ist es sehr schwierig, einen anderen Fahrwerktyp oder einen anderen Getriebetyp zu wählen.» Die gute Marktposition spiegelt sich in den Kennzahlen. Der operative Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) betrug 2021 noch 112 Mio. €. 2023 waren es schon 165 Mio. Die Ebitda-Marge stieg im gleichen Zeitraum von etwas mehr als 16 auf fast 18%. 2026 sollen es schon 21% sein bei einem Ebitda von mehr als 280 Mio. €, so die Konsensschätzung der Analysten.
Weltmarktführer ohne lange Datenreihe an der Börse
Da der Börsengang mit dem Ausgabepreis von 15 € pro Aktie im Februar 2024 erfolgte, kann Renk noch keine Börsenhistorie vorlegen. Für Grossanleger sind Papiere oft erst mit transparenten Geschäfts- und Quartalsberichten über drei oder fünf Jahre investibel. Die ehemalige MAN- und spätere Volkswagen-Tochter Renk war bis zum Jahr 2021 schon einmal unter diesem Namen kotiert, dürfte dem ein oder anderen Fondsmanager noch bekannt sein. Dann erwarb die Private-Equity-Gesellschaft Triton das Unternehmen für 624 Mio. $ und nahm die Aktien von der Börse. Derzeit hält die Beteiligungsgesellschaft noch 56% der Renk-Aktien – und am 7. August endet die Lock-up-Phase. Das bedeutet, Triton könnte sich von Aktien trennen und damit den Kurs vorübergehend belasten.
Gegenwärtig liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), gemessen am geschätzten Gewinn für 2024, bei knapp 25 und damit knapp über dem Niveau nach dem Börsengang im Februar. Im Vergleich mit anderen europäischen Rüstungstiteln wirkt Renk nicht ungewöhnlich teuer.
Die Analysten haben sehr hohe Wachstumserwartungen für Renk. Der bereinigte Gewinn pro Aktie soll von 1 € im laufenden Jahr auf 1.75 € im Jahr 2027 steigen. Sollte das Unternehmen das schaffen, würde das KGV zum gegenwärtigen Kurs auf etwas mehr als 15 fallen.
Das schnelle Wachstum basiert auf steigenden Rüstungsausgaben. Für Rheinmetall prognostizieren die Analysten eine Verdopplung des Gewinns pro Aktie von 21.50 auf 45 € im gleichen Zeitraum. Für das erwartete Wachstum sind Anleger bereit, eine höhere Bewertung zu bezahlen.
Berenberg-Analyst Philip Buller zieht im Gespräch einen anderen Vergleich: Die Bewertungen von Airbus und Rheinmetall seien nicht allzu weit voneinander entfernt. «Aber Rheinmetall hat das Potenzial, den Gewinn viel schneller zu steigern und die Marktprognose zu übertreffen, was für viele Rüstungsaktien gilt», sagt Buller. Der Grund liegt für ihn auf der Hand: «Seit dreissig Jahren wird zu wenig Geld für die Rüstung ausgegeben.» In diesem Zeitraum hätten wir als Nato 1,4 Bio. € zusätzlich investieren müssen, um das Ziel von 2% des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen. «Da diese Ausgaben jetzt nachgeholt werden, befinden sich die Rüstungsunternehmen in einer guten Position».
Das Wachstum ist bei den Rüstungsunternehmen keine reine Analystenfantasie, sondern durch den stark gestiegenen Auftragsbestand abgesichert. Ende März vermeldete Renk einen Gesamtauftragsbestand im Wert von 4,7 Mrd. €. Das ist fast das Fünffache des für 2024 von den Analysten erwarteten Umsatzes. 1,8 Mrd. € dieses Auftragsbestands sind schon fest eingeloggt. Weitere 0,7 Mrd. waren durch Rahmenverträge abgesichert. Bei weiteren 2,1 Mrd. handelt es sich um erwartete Aufträge.
Während die Zeitenwende für mehr Aufträge sorgt, schützt eine weitere Eigenheit der Rüstungsindustrie die Profitabilität der Unternehmen: Bei vielen Produkten bestünden Oligopole, sagt Vermögensverwalterin Eichler. «Damit geht eine erhebliche Markt- und Preissetzungsmacht einher. Und die könnte noch wachsen, wenn die Unternehmen skalieren und zum Beispiel ihre Fertigungstiefe erhöhen.» Die starke Marktposition und der begrenzte Wettbewerb führen zu einer auskömmlichen Ebitda-Marge bei vielen Branchenunternehmen.
Hensoldt: mehr als nur einen Sensor fürs Geschäft
Ebenfalls in der Rüstungsbranche aktiv ist Hensoldt, allerdings mit ganz anderen Produkten als Renk. Da ist das Sensorgeschäft, für welches das Unternehmen mit steigender Nachfrage rechnet. Nicht nur wegen bestehender Systeme, die ein Update benötigen, sondern auch wegen Innovationen wie etwa unbemannten Vehikeln.
Dazu kommt das Geschäftsfeld und Tech-Thema Optronik, also zum Beispiel Laserentfernungsmesser. Da passt auch die in diesem Jahr abgeschlossene Übernahme von ESG ins Gesamtbild: ESG ist ein deutsches Militär-Tech-Unternehmen, das zum Beispiel am Missionsmanagement des Future Combat Air System mitarbeitet (FCAS), dem Mehrkampfflugzeug, das für Deutschland, Frankreich und Spanien entwickelt wird. Diese Technik von Hensoldt soll beispielsweise jene Informationen zusammenführen, die die Sensoren aufspüren. Nichts, was dem militärischen Laien auf den ersten Blick ins Auge fällt, aber eben sehr wichtig.
«Tech-Unternehmen in Tarnfleck»
In die gleiche Richtung geht es mit dem Thema künstliche Intelligenz (KI). Die kann etwa helfen, auf dem Gefechtsfeld schneller auf Bedrohungen wie etwa einen Drohnenschwarm zu reagieren. Deswegen hat Hensoldt schon 2023 eine Kooperation mit dem Tech-Unternehmen 21strategies vereinbart. «Wenn man so will, sind manche Rüstungsunternehmen eher Tech-Unternehmen in Tarnfleck», sagt Vermögensverwalterin Eichler.
Operativ geht es bei Hensoldt aufwärts: Von 2021 bis 2023 sprang das Ebitda von 112 auf 165 Mio. €. Schon 2026, so der Konsens der befragten Analysten, soll die Kennzahl bei mehr als 282 Mio. liegen. Auch die Ebitda-Marge, 2023 noch bei 17,8%, soll 2026 fast 22% erreichen.
Wie stark das Wachstum ist und wie gut es durch Aufträge unterfüttert ist, zeigt auch hier die Kennzahl «Bo0k-to-Bill». Sie liegt im ersten Halbjahr 2024 bei 1,6. Das aktuelle Volumen der Bestellungen ist deutlich höher als der Umsatz, was sich als gutes Zeichen für die Zukunft lesen lässt. Dazu kommt: Die überwiegende Mehrzahl der Aufträge laufe über jeweils mehrere Jahre, heisst es auf Nachfrage. Im Optronics-Segment mit ein bis drei Jahren etwas kürzer, im Sensors-Segment eher drei bis fünf Jahre.
Für das abgelaufene erste Halbjahr vermeldete Hensoldt einen Auftragsbestand im Wert von 6,6 Mrd. €, 16% mehr als im Vorjahreszeitraum. Das ist immerhin fast das Dreifache des für 2024 von Analysten erwarteten Umsatzes. 1,4 Mrd. € dieses Auftragsvolumens sind fest verbucht, der Rest steckt in der planerischen Pipeline.
Bewertet ist das Unternehmen dabei mit einem KGV von knapp 20, was ungefähr dem Durchschnitt seit dem Börsengang von 2020 entspricht. Die Risiken liegen nicht zuletzt bei den Auftraggebern, den Staaten. Haushaltsprobleme könnten dazu führen, dass entgegen anderslautender Ankündigungen an Rüstungsausgaben gespart oder zumindest mit der Auftragsvergabe gezögert wird. Zudem braucht die Bürokratie oft viel Zeit für die Ordererstellung und formuliert detaillierte Spezifizierungen sowie Sonderwünsche. Die können die Rüstungsunternehmen bieten. Aber das dauert, treibt die Kosten – und der Umsatz wird erst später realisiert.
So langsam und kompliziert die Beamten in den Beschaffungsämtern auch arbeiten mögen und so hitzig auch über den Haushalt diskutiert wird: Es ist unwahrscheinlich, dass Regierungen angesichts der internationalen Bedrohungslage dauerhaft vermeiden können, künftig mehr Geld für Rüstung auszugeben. Eher im Gegenteil: Berater des US-Präsidentschaftskandidten Donald Trump haben bei Medien die Idee platziert, die Nato-Verbündeten zu Verteidigungsausgaben von 3% der Wirtschaftsleistung zu drängen, anstatt der bisher vereinbarten 2%.
Beide Unternehmen profitieren vom Nachholbedarf bei den Rüstungsinvestitionen: Hensoldt als Tech-Schmiede, Renk als schwer zu verdrängender Getriebezulieferer.