Wer beerbt Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär? Der Niederländer Mark Rutte gilt als Favorit. Doch nun hat sich der Rumäne Klaus Iohannis beworben. Auch die Estin Kaja Kallas wäre wohl nicht abgeneigt.
«I like this guy!», sagte Donald Trump im Sommer 2018 über Mark Rutte. Der niederländische Ministerpräsident hatte den amerikanischen Präsidenten bei einer Aussprache über transatlantische Streitfragen um den Finger gewickelt. Fünf Jahre später zeigte auch Trumps Nachfolger Joe Biden seine Sympathien für den geschmeidigen Europäer bei einem Treffen in Washington: «Sie sind einer unserer stärksten Verbündeten und ein grossartiger Freund!»
Rutte – seit 2010 Regierungschef in Den Haag, seit vergangenem Juli aber nur noch geschäftsführend im Amt – hat derzeit beste Chancen, im Herbst die Nachfolge von Jens Stoltenberg als Nato-Generalsekretär anzutreten. Von den Amerikanern, ohne deren Plazet niemand den wichtigen Posten bekommt, wird der liberal-konservative Niederländer offiziell unterstützt. Auch die führenden Mitgliedstaaten Grossbritannien, Deutschland und Frankreich haben sich inzwischen hinter ihn gestellt.
Es ist hilfreich, wenn die Chemie stimmt zwischen dem künftigen Generalsekretär und einem Amtsinhaber im Weissen Haus, der bald wieder Donald Trump heissen könnte. Wohl auch aus diesem Grund fällt bei der Kandidatensuche in Brüssel kein Name häufiger als der des Niederländers. Doch vielleicht wähnt sich Rutte zu früh am Ziel.
Rumänien erfüllt das 2-Prozent-Ziel spielend
Vergangene Woche berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg, dass sich der rumänische Präsident Klaus Iohannis ebenfalls um Stoltenbergs Nachfolge bewerbe. Rumänische Medien bestätigten später, dass die Regierung in Bukarest die Nato-Verbündeten über den Schritt informiert habe. Offiziell bekanntgegeben wurde die Kandidatur aber noch nicht.
Für Iohannis spricht seine Herkunft. Besonders seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind die Rufe lauter geworden, die einen Generalsekretär aus dem Osten Europas fordern. In den ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten ist das Bewusstsein für die Gefahr, die von Moskaus Hegemonialbestrebungen ausgeht, seit je stark ausgeprägt. Dies schlägt sich nicht zuletzt im Verteidigungshaushalt nieder. Die meisten Staaten erfüllen das 2-Prozent-Ziel seit langem. Rumänien, das sich explizit als Frontstaat versteht, stellt für die Landesverteidigung 2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zur Verfügung.
Hoffnung auf Unterstützung darf sich Iohannis zudem von Staaten machen, die gewisse Vorbehalte gegenüber Rutte haben. Dazu gehören Ungarn oder die Türkei, wo die bilateralen Beziehungen zu den Niederlanden wegen der Kontroverse um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker zeitweise schwer belastet waren. In Bulgarien wiederum hat man Rutte sein Veto gegen den Schengen-Beitritt nicht verziehen.
Mehr als Aussenseiterchancen hat Iohannis dennoch nicht. In Rumänien vermuten viele, dass es dem Präsidenten eigentlich auch um etwas anderes geht. Iohannis hat in der Vergangenheit mehrmals angedeutet, dass er sich nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit einen Spitzenposten in Brüssel vorstellen könnte. Die Nato-Kandidatur sei demnach vor allem ein strategisches Manöver für die Verhandlungen nach der Europawahl, argwöhnen seine Kritiker.
Iohannis geniesst als Vertreter eines proeuropäischen Rumänien im Westen einen guten Ruf. Als Angehöriger der kleinen deutschen Minderheit ist er besonders in Deutschland bestens vernetzt. Im Land selber gibt es aber auch viel Kritik. Iohannis setzte sich im Amt über das Gebot der Überparteilichkeit hinweg und ging mit jenen Kräften Allianzen ein, die den rechtsstaatlich vorübergehend äusserst zweifelhaften Kurs des Landes zu verantworten hatten.
Bessere Karten für den «Trump-Flüsterer»?
Die Frage ist, ob sich Ruttes Befürworter überhaupt noch umstimmen lassen. Für den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz etwa ist der Niederländer «mit seiner immensen Erfahrung, seiner grossen sicherheitspolitischen Expertise und seinem ausgeprägten diplomatischen Geschick» ein «herausragender Kandidat». Ähnliche Komplimente bekommt Rutte aus London und Paris. Man schätzt an ihm, dass er über die Jahre schon mit etlichen Regierungschefs zusammengearbeitet hat, als ein ehrlicher Makler gilt und sich dezidiert für die Unterstützung der Ukraine einsetzt.
Zu den Nato-Staaten, die das 2-Prozent-Ziel erfüllen, zählen die Niederlande allerdings nicht. Tatsächlich wurden die Streitkräfte des Landes unter Rutte geschrumpft und kaputtgespart. Erst mit dem Ukraine-Krieg setzte ein Umdenken ein. 2023 lagen die Ausgaben für Verteidigung bei 1,7 Prozent des BIP. Die Militärhilfe aus Den Haag für Kiew ist seither beträchtlich, Rutte war auch der Erste, der die Lieferung von F-16-Kampfjets versprach.
In den Niederlanden verdiente sich der 57-Jährige mit seiner Art, Krisen an sich abperlen zu lassen, den Spitznamen «Teflon-Mark». Nicht jeder goutierte seinen Politikstil, im Sommer zerbrach sein viertes und letztes Kabinett auch deswegen, weil das Vertrauen in ihn aufgezehrt war. Bei der Nato, wo wohl noch heftige Turbulenzen zu erwarten sind, könnte Ruttes stoischer Charakter freilich von Nutzen sein.
Aussenseiterin aus dem Baltikum
Es gibt aber noch eine andere Aspirantin auf den Chefposten in der Allianz: Kaja Kallas, die estnische Ministerpräsidentin, signalisierte mehrfach, dass sie gerne die Führung in der Nato übernehmen würde – als erste Frau und als erste Osteuropäerin. An der jüngsten Münchener Sicherheitskonferenz hielt Kallas eine kämpferische Rede, in der sie mehr Hilfe für die Ukraine einforderte und vor den imperialen Ambitionen Wladimir Putins warnte.
Aus Sicherheitskreisen gibt es viel Unterstützung für Kallas, auf Ebene der Staats- und Regierungschefs weniger. Estland ist zweifellos ein Frontstaat, dessen Verteidigungshaushalt mit 3,2 Prozent weit über den Nato-Vorgaben liegt. Vielen Mitgliedern ist die Baltin aber gerade wegen ihrer klaren Gegnerschaft zu Russland zu sehr ein «Falke».
Am Ende muss der Beschluss, wer Stoltenberg als Generalsekretär ersetzt, einstimmig fallen. Das Mandat des Norwegers endet am 1. Oktober. Doch allerspätestens im Juli, zum Gipfel aus Anlass des 75-Jahr-Jubiläums der Allianz, soll die Entscheidung verkündet werden.